Regelmäßigen Lesern unseres kleinen Online-Magazines wird bereits bekannt sein, dass Beiträge mit HipHop-Bezug beim Blueprint-Fanzine äußerst rar gesät sind. Dies ist natürlich kein Zufall, denn wir verstehen uns in erster Linie als Magazin für verschiedene Arten alternativer Gitarrenmusik und überlassen die Berichterstattung über Rap-Platten, Freestyle-Battles und HipHop-Jams lieber anderen. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir ein Problem mit HipHop-Musik haben, im Gegenteil: Es gibt durchaus die ein oder andere HipHop-Veröffentlichung, die in keiner gut sortierten, genreübergreifenden Musiksammlung fehlen sollte! Wir stellen euch im Folgenden eine (selbstverständlich rein subjektive) Auswahl an Rap-Klassikern vor, die in irgendeiner Art Geschichte geschrieben und entscheidend zum heutigen Stellenwert des HipHop als weltweit verbreitete Subkultur beigetragen haben. Wer sich darüber hinaus auch für die Ursprünge der HipHop-Musik interessiert, dem sei ausdrücklich die vor zwei Jahren erschienene "Early Rappers"-Compilation ans Herz gelegt, die die Entwicklung verschiedener afro-amerikanischer Musikstile hin zum Rap nachvollziehbar aufzeigt. Aber genug eingestimmt, Vorhang auf für unsere persönlichen Top 12 der HipHop-Platten:
SUGARHILL GANG – s/t (1980)
Mit "Rappers delight" veröffentlichte die SUGARHILL GANG 1979 die erste kommerziell erfolgreiche HipHop-Single. Die Band aus New Jersey verband Funk- und Disco-Sounds mit Party-Raps und trat mit der allseits bekannten, wenngleich etwas dadaistisch anmutenden Eröffnungszeile ”I said a hip a hop the hippie the hippie to the hip hip hop and you don´t stop the rock it to the bang bang boogie say up jumped the boogie to the rhythm of the boogie, the beat” die HipHop-Welle los. Das Stück befindet sich auch auf dem im darauf folgenden Jahr erschienenen Debütalbum, welches allerdings als Gesamtwerk deutlich weniger Beachtung fand. Dennoch etablierte sich HipHop unter anderem durch diese Platte endgültig in der Musikindustrie und bescherte Freunden des Sprechgesangs ein sehr veröffentlichungsstarkes Jahr.
GRANDMASTER FLASH & THE FURIOUS FIVE – "The message” (1982)
Auch bei der zweiten Platte in dieser Auflistung dreht sich eigentlich alles nur um einen bestimmten Song, nämlich den Titeltrack "The message". Die New Yorker Formation GRANDMASTER FLASH & THE FURIOUS FIVE thematisierten hier den trost- und perspektivlosen Alltag in der South Bronx und schufen somit einen absoluten Klassiker, der in keiner Old School HipHop-Aufzählung fehlen darf. DJ Grandmaster Flash war zudem stilprägend für den späteren "Turntablism", da er nicht nur verschiedene DJ-Techniken wie das "Backspinning" erfand, sondern auch als einer der Ersten das sogenannte "Beatjuggling", bei dem die Beats zweier verschiedener Schallplatten übereinandergelegt werden, praktizierte. 1985 trennte sich die Gruppe schließlich, wobei drei der Mitglieder fortan unter dem Namen MELLE MEL & THE FURIOUS FIVE weitermachten. Neben RUN DMC und den BEASTIE BOYS sind GRANDMASTER FLASH & THE FURIOUS FIVE die einzige HipHop-Gruppe, die bis heute in die "Rock´n´Roll Hall of Fame" aufgenommen wurde.
BEASTIE BOYS – "Licensed to ill" (1986)
White men cant´t rap?! Von wegen! Nachdem die BEASTIE BOYS sich zunächst als resolute Hardcore-Punkband versucht hatten (bestens nachzuhören auf der Zusammenstellung "Some old bullshit"), entdeckten die weißen Mittelklasse-Kids aus New York den Sprechgesang für sich. Mit "Licensed to ill" gelang ihnen der Durchbruch: Hier finden sich unsterbliche Klassiker wie "Ryhmin and stealing", "You got to fight" und "No sleep till Brooklyn" ebenso wie das famose A capella-Rapstück "Girls". Zudem steht das Album stellvertretend für die Kombination von Rap mit verzerrten Rockgitarren. Relativ zeitgleich mit der "Walk this way"-Kooperation zwischen RUN DMC und AEROSMITH, zogen die BEASTY BOYS dieses Konzept erstmalig auf Albumlänge durch, und wer weiß, ob es Projekte wie den legendären "Judgement night"-Sampler oder eine dermaßen breite Crossover-Welle wie in den Neunziger Jahren ohne "Licensed to ill" gegeben hätte…
THE 2 LIVE CREW – "As nasty as they wanna be” (1989)
Jeder ernstzunehmende HipHop-DJ wird zwar anlässlich der Tatsache, dass die 2 LIVE CREW bei einer Aufzählung der wichtigsten Rap-Meilensteine Erwähnung findet, ungläubig mit dem Kopf schütteln. Aber seien wir ehrlich: Was wäre Anfang der Neunziger eine Schulklassenreise gewesen, bei der keine vom Biermixgetränk Mac Two beschwippsten Teenager durch die Jugendherbergsflure torkelten und dabei inbrünstig "One and one – we´re having some fun – in the bedroom all day and all of the night" sangen? Halbstarke brauchen nun einmal schlechte Vorbilder, die den Spagat aus Coolness und Humor mit Bravour meistern. Die FAT BOYS taugten höchstens als rappende Klassenclowns, daher kamen die mit dicken Goldketten behangenen, obszönen Badboys aus Florida mit ihrem Porno-Rap gerade recht, auch wenn Songs wie "Me so horny" oder "Bad ass bitch" maximal den geistigen Nährwert einer halben Scheibe Knäckebrot hatten. "As nasty as they wanna be” ist nicht nur das erfolgreichste Album der Band, sondern war zudem die erste Rap-Platte, auf der wegen ihrer obszönen Texte der "Parental advisory – explicit lyrics"-Warnhinweis aufgebracht werden musste. Spätestens mit der ersten Freundin war das Thema 2 LIVE CREW für die meisten ihrer jugendlichen Fans jedoch durch, für viele davon wahrscheinlich auch das Thema HipHop generell.
PUBLIC ENEMY – "Fear of a black planet" (1990)
Kaum eine Rap-Formation wird derart mit politischen Inhalten in Verbindung gebracht wie PUBLIC ENEMY. Die Rapper Chuck D., Flavor Flav und Professor Griff sowie ihr DJ Terminator X hatten nicht nur ein Faible für überdimensionierte, um den Hals hängende Wecker und eine uniformierte, als Leibwächter fungierende Backgroundtänzer-Armee, sondern sie fielen vor allem durch ihre radikalen Texte auf, die inhaltlich der "Black Power"-Bewegung nahestanden und die Formation zu einem der wichtigsten Protagonisten des sogenannten Conscious Rap machten. Ihr dritter Longplayer "Fear of a black planet" erregte jedoch nicht nur aufgrund seiner schonungslosen Lyrics Aufmerksamkeit, sondern auch wegen seiner unglaublichen Anzahl an Samples, die alle bisherigen HipHop-Veröffentlichungen in den Schatten stellte. Der auf dieser Platte enthaltene Song "Fight the power" dürfte das bekannteste Lied der Band und auch vielen Nicht-Rap-Begeisterten ein Begriff sein.
A TRIBE CALLED QUEST – "The low end theory" (1991)
Ende der 80er Jahre gründeten in New York City einige Rap-Gruppen mit der "Native Tongues Posse" einen losen Zusammenschluss von HipHop-Crews, die sich auf ihre afroamerikanischen Wurzeln besinnen und wieder vermehrt sozialkritische und politische Inhalte transportieren wollten. Diesem Zusammenschluss gehörten neben Acts wie DE LA SOUL und den JUNGLE BROTHERS auch A TRIBE CALLED QUEST an, die vor allem mit ihren intellektuellen Texten und den in den Instrumentals eingebauten Jazz-Elementen einen erfrischenden Kontrast zu dem zu dieser Zeit verstärkt aufkommenden Gangsta-Rap-Trend darstellten. Ihr zweites Album "Low end theory" gilt unisono als das Meisterwerk der Band und zählt zu den wichtigsten HipHop-Patten aller Zeiten. In den Texten wurden Themen wie Sexismus, Gewalt oder auch die Vereinnahmung des HipHops durch die Musikindustrie aufgegriffen. In dem abschließenden Stück "Scenario" wurde übrigens ein gewisser BUSTA RHYMES gefeatured, der damals noch Mitglied der LEADERS OF THE NEW SCHOOL war und wenige Jahre später eine erfolgreiche Solo-Karriere starten sollte…
HIJACK – "The horns of Jericho" (1991)
Auch in Großbritannien breitete sich der HipHop-Virus spätestens in den späten Achtziger Jahren rasant aus. Eine der wegweisendsten Gruppen war hierbei zweifelsfrei HIJACK, die zu den Pionieren des britischen Hardcore-Raps zählt. Die Band beeinflusste maßgeblich Bands wie GUNSHOT oder KILLA INSTINCT und fand auch in Deutschland, allen voran im Norden der Republik, zahlreiche Anhänger. So gründeten sich auch hierzulande sogenannte "Britcore"-Bands wie NO REMORZE, READYKILL oder MENTAL DISORDA, die ebenfalls auf einen harten Rapstil, ausgiebigen Scratching-Exzesse und düstere, geradezu apokalyptische Beats setzten. Der Urquark des Ganzen liegt jedoch in "The horns of Jericho". Die Platte ist heute ein gesuchtes Sammlerstück.
DAS EFX – "Dead serious" (1992)
DAS EFX nehmen auf den ersten Blick zwar keinen besonders hohen Stellenwert in der HipHop-Geschichte ein, zählen aus meiner Sicht aber zweifelsfrei in Sachen Reimstil zu den innovativsten und interessantesten Vertretern dieses Genres. Wurde bis dato vornehmlich klassisch drauflos gereimt, so überraschen die beiden Rapper aus dem EPMD-Umfeld mit ihrem vom Ragga beeinflussten "Iggedy"-Style, indem sie Wortanfänge gedoppelt und dazwischen die Endung "Iggedy" geschoben haben (Beispiel: "I wriggedy-wreck da miggedy-microphone every day"). Über typisch rustikalen Eastcost-Beats, die meist nur aus einem Drumcomputer-Beat, einer simplen Bassline sowie ein paar kleinen Samples bestanden, haspelten sich die Rapper Dray und Skoob im Jahre 1992 durch Songs wie "Mic checka", "Klap ya handz" oder "Straight out the sewer" und lassen dabei kaum einen Zweifel daran aufkommen, dass sie die MCs mit den derbsten Mikrophon-Skills und der krassesten Underground-Credibility sind. Wie auch immer: Was sie auf "Dead serious" und auch den darauffolgenden Alben abliefern, ist auf jeden Fall ganz große Wortakrobatik.
DIE FANTASTISCHEN VIER – "Vier gewinnt" (1992)
Es gibt zweifelsfrei andere Bands wie beispielsweise ADVANCED CHEMISTRY, die bereits früher und auch anspruchsvoller auf Deutsch gerappt haben als DIE FANTASTISCHEN VIER. Doch erst mit dem Album "Vier gewinnt" der Stuttgarter wurde dem deutschen Sprechgesang eine große Aufmerksamkeit zuteil. Blieb der Vorgänger "Jetzt geht´s ab" noch weitestgehend ungeachtet, so wurden die Fantas mit ihrem Hit "Die da" quasi über Nacht zu Popstars. Über den musikalischen Stellenwert der auf "Vier gewinnt" enthaltenen, poppigen Klamauk-Rap-Nummern lässt sich sicherlich streiten, dass die Band mit dem Album aber einen waren Deutschrap-Boom ausgelöst hat, lässt sich dagegen schwer abstreiten.
ICE-T – "Home invasion" (1993)
Die Schimpfwort-Tirade, mit der ICE-T sein Album "Home invasion" eröffnet, ist legendär: "Attention! At this moment you are now listenin´ to an Ice-T LP. If you are fendet by words like shit, bitch, fuck, dick, ass, hoe, cumb, dirty bitch, low motherfucker, nigga, hooker, slut, tramp, dirty lowsluttrampbitchho´niggafuckshit whatever… take the taste out now! This is NOT a pop album – and by the way: suck my motherfuckin´dick!”. Der Musiker und Schauspieler gilt als Prototyp des rüpelhaften Gangsta-Rappers und hat mit seiner öffentlich zur Schau gestellten Glorifizierung des Pimp-Lifestyle einen nicht unerheblichen Anteil daran, dass zahlreiche junge Heranwachsende heutzutage nicht mehr nur Feuerwehrmann oder Fußballprofi, sondern auch Zuhälter als potentiellen Traumberuf in Erwägung ziehen. Doch ICE-T hat mit seinen Texten über das Leben auf der Straße nicht nur zahlreiche Kleinkriminelle beeinflusst, sondern vor allem auch unzählige spätere Gangsta-Rap- und G-Funk-Acts. Auf "Home invasion" finden sich allerdings auch Lieder mit politischem und sozialkritischem Hintergrund: "Race war" etwa nimmt Bezug auf den Polizeiübergriff auf den Afro-Amerikaner Rodney King und die damit verbundenen Rassenunruhen, und auch "Message to the soldier" setzt sich mit dem Thema Rassismus auseinander. "Home invasion" ist das fünfte und wahrscheinlich erfolgreichste Album von ICE-T.
CYPRESS HILL – "Black sunday" (1993)
Anfang der Neunziger wurde die sich bis dato ausschließlich über Rapmusik, Breakdance und Graffiti definierende HipHop-Kultur um eine weitere (inoffizielle) Disziplin ergänzt: Kiffen. Endlich konnten fortan auch die kreativ Untalentierten vermeintlich aktiv am HipHop-Geschehen teilnehmen, und im Umkehrschluss wurden aus trägen, von ihrem Umfeld eher spöttisch belächelten Kiffer-Kids plötzlich coole Chiller mit subkulturellem Anspruch. Den Soundtrack zum munteren Tetrahydrocannabinol-Konsum lieferten CYPRESS HILL vor allem auf ihrem zweiten Album "Black sunday" ab: Hier finden sich solch illusteren Kifferhymnen wie "I wanna get high", "Insane in the brain" und "Hits from the bong". Aufgrund der berauschenden Kernaussagen der Songs fanden CYPRESS HILL zudem Anerkennung in der breiten Alternativerock-Szene. Schien HipHop bis dato in deren Kreisen überhaupt nicht wahrgenommen zu werden, so liefen plötzlich auf jeden großen Musikfestival hunderte von Kids mit CYPRESS HILL-Shirts herum und sollten den Latino-Rappern in der Folgezeit auch den einen oder anderen gut dotierten Auftritt bescheren. Somit war das Kifferrap-Konzept auch aus finanzieller Sicht ein voller Erfolg.
WU-TANG CLAN – "Enter the Wu-Tang (36 chambers)" (1993)
Als HipHop Anfang der Neunziger Jahre zunehmend kommerziell wurde und sich die meisten neuen Veröffentlichungen Richtung Pop und Funk orientierten, brach plötzlich der WU-TANG CLAN mit seinem Album "Enter the Wu-Tang (36 chambers)" über die Szene herein. Ihr düsterer, experimenteller Stil und die seltsame Kung-Fu-Mythologie, mit der sich die Band umgab, wirkten wie eine Frischzellenkur und richtete den HipHop-Fokus von der Westküste wieder zurück nach New York. Während die Clan-Mitglieder in den darauf folgenden Jahren eher durch Größenwahn, Eskapaden und so manch denkwürdige Anekdote auffielen (unvergessen, wie Ol Dirty Bastard einmal völlig zugedröhnt während eines Fernsehinterviews neben dem Moderator der Sendung einschlief) gilt das Album bis heute als absoluter Meilenstein der Rapgeschichte.