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LOS PROBLEMAS – „Wir bringen unsere Frustration über die Gesellschaft und ihre Probleme zum Ausdruck“

Wenn von Punk in Südamerika die Rede ist, kommen einem als allererstes Argentinien und Brasilien in den Sinn. Beide Länder verfügen über relativ große Punk-Communities, aus denen einige Bands mittlerweile auch in Europa einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt haben. Über die Punk-Situation in anderen Ländern wie Kolumbien, Equador oder Venezuela erfährt man hierzulande jedoch relativ wenig. Insofern war ich sehr neugierig, als hier der Longplayer „El ultimo de su especie“ einer Streetpunk-Band names LOS PROBLEMAS aus Chile eingetrudelt ist. Wie muss man sich die dortige Punk-Szene vorstellen? Wie hat sich die soziale und wirtschaftliche Lage in dem Land verändert, nachdem es dort vor einigen Jahren zu großen politischen Aufständen kam? Und wie ist die Band mit Smith & Miller Records ausgerechnet auf einem deutschen Label gelandet? Antworten auf diese Fragen findet ihr im folgenden Interview, das wir per Mail mit Sänger Andrés geführt haben. Here we go!

Die meisten unserer Leser werden euch wahrscheinlich noch nicht kennen. Stellt euch daher doch bitte erstmal kurz vor. Wie lange gibt es LOS PROBLEMAS schon? Wer ist alles in der Band, und was treibt ihr so wenn ihr nicht gerade Musik macht?

Hallo, wir fühlen uns sehr geschmeichelt, dass ihr unsere Band aus so weiter Entfernung wahrgenommen habt. Ich bin Andrés, der dieses Interview beantwortet. LOS PROBLEMAS sind eine seit 2019 aktive Punk- und Oi!-Band aus Santiago de Chile, Südamerika. Bis heute haben wir einige Alben und Singles veröffentlicht, die vom Publikum gut aufgenommen wurden. Seit dem Ende der Covid-19-Pandemie konnten wir auf verschiedenen Bühnen in unserem Land auftreten, sowohl mit lokalen als auch mit internationalen Bands, wobei wir unter anderem als Vorgruppe für Superstars wie AGNOSTIC FRONT, TOY DOLLS und RICHIE RAMONE auftraten. Derzeit sind wir ein Quartett, bestehend aus Andrés (Gesang und Bass), Rodrigo (Gitarre), Mauricio (Gitarre) und Felipe (Schlagzeug). Wenn wir nicht gerade Punkmusik machen, arbeiten die meisten von uns in typischen Arbeiterjobs. Ich und Rodrigo haben Familie und Kinder zu versorgen, also müssen wir hart arbeiten. Was unsere Aktivitäten angeht, so ist Rodrigo wahrscheinlich der Aufregendste von uns, er ist ein professioneller Kämpfer und Besitzer eines Mixed Martial Arts Fitnessstudios, und fast alle von uns sowie einige unserer Kinder haben mit ihm trainiert. Mauricio nimmt Werbespots mit berühmten Leuten auf, ich widme mich nebenbei noch der Country-Musik, und Felipe ist ein berüchtigter Hooligan des chilenischen Teams „Colo Colo“ (Club Social y Deportivo Colo-Colo / die Redaktion).

Könnt ihr uns ein wenig über die chilenische Punk- und Skinhead-Szene erzählen? Wie groß ist die Szene bei euch? Gibt es viele Auftrittsmöglichkeiten, oder habt ihr vielleicht sogar ein paar Band-Empfehlungen für uns?

Die Punk- und Skinhead-Szene in Chile ist kompliziert und wir haben das Gefühl, dass sie weltweit rückläufig ist, weil wenig neue Punks nachkommen. In Chile bröckelt sie im Moment ein wenig, weil der Generationswechsel, von dem ich spreche, ausbleibt. Es gibt eine politische Szene (sowohl rechts als auch links), die deutlich im Niedergang ist, aber immer noch mit regelmäßigen Konzerten überlebt… Es gibt auch eine neue junge nihilistische Punkszene, die viel Aufmerksamkeit bekommt, aber aufgrund ihrer Ideale sind sie nicht an irgendeiner Art von Anerkennung und noch weniger an Wachstum interessiert. Die Skinhead-Szene wird nur von einigen alten Leuten aufrechterhalten, die sich weigern zu verschwinden (wie einige von uns), und es gibt nur sehr wenige Bands aus dem Oi!-Bereich, die neues Material veröffentlichen oder relevant sind. Das Publikum kommt aus seinen Höhlen gekrochen, wenn bekannte Bands kommen, um zu spielen, aber es gibt keine Auftrittsmöglichkeiten für die Bands aus der Szene, und wir haben alle Respekt davor, selbst etwas auf die Beine zu stellen und unsere eigenen Konzerte zu organisieren. Wir persönlich versuchen mit LOS PROBLEMAS, unsere eigene Szene aufzubauen, und das fängt damit an, gute Musik zu machen. Wir glauben nicht, dass es eine andere Möglichkeit gibt, also sind wir noch in der Anfangsphase. Wir können euch klassische Bands wie 8 BOLAS (die Band ist aktuell, spielt allerdings nur Oi!-Songs von ihren ersten Alben), CRIMINAL SKIN (meine alte Band, R.I.P.), KAS (Rodrigos Band, machen derzeit Pause) ans Herz legen. Aus dem Oi!-Bereich können wir BOOTBOYS und LOS DEAD empfehlen, die regelmäßig gutes Material veröffentlichen. Was Punk-Band angeht spielen derzeit gute Bands wie EDIONO, CRIMENES DE ODIO oder ALAMBRE DE PÚAS.

Im Jahr 2019 gab es in Chile massive Proteste und Ausschreitungen, die durch zunehmende soziale Ungleichheit und steigende Lebensunterhaltskosten ausgelöst wurden. Wie bewertet ihr die Entwicklung, die das Land seitdem durchgemacht hat? Hat sich seitdem etwas an der Situation verbessert?

Wir haben uns kurz vor dieser Periode, die „Sozialer Ausbruch“ („El Estallido Social“ ) genannt wurde, gegründet, und es gab monatelang Chaos und massive Proteste. Wir alle waren auf die eine oder andere Weise und aus unterschiedlichen Gründen daran beteiligt… Um deine Frage zu beantworten: Wir glauben, dass sich nichts geändert hat und dass es am Ende nur eine Entladung von aufgestauter Wut war. Unser Land ist von seinem Grundwesen her konservativ, aber von Zeit zu Zeit sind es die Leute satt, dass auf ihnen herumgetrampelt wird, und sie brennen alles nieder. Leider kehren wir anschließend zum alten Zustand zurück, oder es wird sogar schlimmer.

Lasst uns nun auf euer Album zu sprechen kommen. Sowohl euer Sound, als auch das Artwork erinnert stark an die britischen Oi!- und Punk-Bands der 70er und 80er Jahre. Welche Bands haben euch konkret beeinflusst?

Wir pflegen einen melodischen Stil, der in den Wurzeln von Punk und Oi! aus den 70er Jahren verwurzelt ist. Also sind wahrscheinlich COCK SPARRER, SHAM 69, COCKNEY REJECTS, SEX PISTOLS, THE CRACK sowie ab und zu der etwas härtere UK82-Stil unsere direkten Einflüsse. Was das Artwork betrifft, haben wir ein sinnbildliches Foto ausgewählt und es an unseren Stil und unser Land angepasst – alles Dank der Unterstützung von Gonzalo Osorio, der ein großartiger Künstler für Bands in Chile ist.

Neben euren eigenen Kreationen befindet sich auch eine auf spanisch gesungene Coverversion von DAVID BOWIEs „Heroes“ auf der Platte. Warum habt ihr diesen eher Punk-untypischen Song ausgewählt?

Nun, ich denke nicht, dass das Stück so untypisch ist, schließlich haben es sogar die genialen MOTÖRHEAD gecovert. Wir mögen Punk, aber auch Musik im Allgemeinen sowie große Songs aus allen möglichen Zeiten. Und dies ist ein absolut großartiger Song, eine regelrechte Hymne. Wir haben den Text geändert, wobei wir die Grundstimmung beibehalten haben. Da ich muttersprachlich kein Englisch verstehe, habe ich mir ein etwas anderes Thema vorgestellt, als ich den Song hörte. In unserer Version sprechen wir daher über die Vergangenheit, über unser Leben als Gangmitglieder, darüber, wie arrogant wir waren und es uns am Ende überhaupt nichts gebracht hat. In unserer Version heißt es im Refrain „…The passage of time took its toll on us, we were just heroes, from a dirty corner“.

Ihr singt ja auf Spanisch, weswegen viele potenzielle Hörer eure Texte nicht verstehen werden. Was sind das für Themen, über die ihr singt?

Unsere Texte folgen keiner bestimmten Ideologie. Sie erzählen die Lebensgeschichten der Arbeiterklasse aus der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, mit einer starken Verbindung zur Straße und dem Umfeld, in dem wir leben. Zu den universellen Themen, die wir ansprechen, gehören unter anderem die Sitten in den Slums, die Gleichgültigkeit gegenüber dem Urteil und der Meinung anderer, der Kampf gegen Unterdrückung, die Gewalt der Banden, die Verachtung der Autorität, die Bedeutung der Loyalität in Freundschaftsbeziehungen, einige Klischees der Subkulturen, die wir lieben, und die Notwendigkeit, einen Sinn im Leben zu finden. Wir bringen unsere Frustration über die Gesellschaft und ihre Probleme zum Ausdruck, aber auch unser Bestreben, eine parallele, authentische und erfüllende Lebensweise zu finden. Auf jeden Fall haben wir unser gesamtes Album auf YouTube hochgeladen, mit den Texten auf Spanisch und Englisch, damit diejenigen, die verstehen wollen, wovon wir sprechen, sich das Album anhören und gleichzeitig die Texte lesen können, ganz egal wo auf der Welt.

Euer Album erscheint auf dem deutschen Label Smith & Miller Records. Wie kam der Kontakt zu dem Label zustande?

Das war ein Glücksfall! Als Leute, die nicht viele Chancen im Leben hatten, wurden wir von dieser überrascht und nahmen sie sofort wahr. Es begann damit, dass wir eingeladen wurden, an der Compilation „We can do the ska“ teilzunehmen, bei der Bands aus der ganzen Welt, die normalerweise keinen Ska spielen, sich daran versuchen, einen Song des Genres zu spielen… Die Wahrheit ist, dass wir eigentlich nicht die Absicht hatten, Ska zu spielen, aber es war eine sehr interessante Gelegenheit, und wir haben sie genutzt. Wir glauben, dass die Leute beim Label mit unserem Ergebnis und unserem Engagement zufrieden waren, und als wir ihnen vorschlugen, das Album auf Vinyl zu veröffentlichen, haben sie zugestimmt, was uns sehr gefreut hat, da wir so die Möglichkeit haben, mehr Leute zu erreichen. Ich weiß nicht, wie es bei euch ist, aber hier ist es sehr cool, mit Deutschen zu arbeiten, weil ihr weltweit den Ruf habt, euer Wort und eure Zusagen immer pünktlich einzuhalten. Und das ist sehr selten in Lateinamerika, wo alles zu spät kommt, alles verzögert wird und vieles nur vorgetäuscht ist.

Was sind eure Pläne für die Zukunft? Besteht die Möglichkeit, euch in absehbarer Zeit auch mal in Deutschland zu sehen?

Im vergangenen Jahr 2023 haben wir uns darauf konzentriert, viel zu spielen. Deshalb werden wir 2024 weniger auftreten, außer wenn wir uns in Städte einladen, in denen wir noch nie waren. Wir werden uns der Vorbereitung unseres neuen Albums widmen, welches wir hoffentlich Ende 2024 aufnehmen, um es dann Anfang 2025 zu veröffentlichen. Alle Songs sind bereits geschrieben, also bleibt nur das Aufnehmen. Wir sind erwachsene Menschen, daher ist die Zeit nicht gerade unser Freund, und wir müssen schnell und präzise arbeiten. Was das Spielen in Deutschland oder Europa im Allgemeinen angeht, so wünschen wir uns das sehr, und wir hoffen, dass es eher früher als später klappt. Das Problem ist, dass hier die meisten Bands, die reisen, für ihre Tickets bezahlen müssen, so dass das Geld von den Konzerten die einzige Möglichkeit ist, über die Runden zu kommen. Wir sind einfache Leute, die nicht die finanziellen Mittel haben, um diese Ausgaben selbst zu tragen und für Wochen oder Monate zu verschwinden, ohne Geld für unsere Familien daheim zu hinterlassen.  Aber es wäre sehr genial, und wenn die Zeit reif ist, werden wir schon einen Weg finden.

Vielen Dank für das Interview! Habt ihr noch irgendwelche abschließenden Worte für unsere Leserschaft?

Akzeptier Probleme, stell dich ihnen und nimm dabei auch Schwierigkeiten in Kauf! Du bist nie zu jung oder zu alt, um das zu tun, was du liebst und zu versuchen, auf deine Art zu leben. Hör die Musik, die du magst, triff dich, mit wem du willst, denke, was du willst und ändere deine Meinung jedes Mal, wenn du merkst, dass du dich geirrt hast! Das Leben ist zu kurz, um ein Schaf zu sein, Sklave einer Idee oder darauf zu warten, dass sich deine Wünsche von alleine erfüllen. Und ewige Verachtung für die selbst ernannten Internet-Krieger, der wahre Ruhm liegt auf der Straße. „Cheers!“ und danke an alle unsere Freunde in Deutschland, die uns unterstützen und an diejenigen, die uns durch dieses Interview kennenlernen werden.

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Bernd Cramer

Konzert-Junkie & Vinyl-Liebhaber. Schreibt über Musik, ohne zu Architektur zu tanzen.