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Freier Tag im Landschaftspark Duisburg-Nord, 12. November 2023. Von links nach rechts: Schlagzeuger Lars Horl, Gitarrist Joachim Franz Büchner, Mercher und Posaunist Tamer Fawzy, Gitarrist Tilman Heyden, Bassist Thorsten „Taucher“ Weßel, DJ Melanie, Sänger und Gitarrist Carsten Hellberg

OSTZONENSUPPENWÜRFELMACHENKREBS – Was kommt nach der Reunion?

Sie gelten als Vorläufer der Hamburger Schule, doch der Erfolg, den sie mit ihrem vierten Album „Leichte Teile, Kleiner Rock“ hätten einheimsen können, verpuffte im Nirgendwo. Denn nach der Veröffentlichung und einer kurzen Tour war Schluss, und die Band löste sich auf. Aber das letzte Wort war noch nicht gesprochen. Anlässlich des 25jährigen Albumjubiläums fand man wieder zusammen, veröffentlichte das Album erstmals auch auf Vinyl und absolvierte eine gemeinsame Tour. Im Anschluss daran traf ich mich mit Sänger und Gitarrist Carsten Hellberg, um die Tour noch mal Revue passieren zu lassen, um in die Vergangenheit, aber auch um in die Zukunft zu schauen. Wie war das damals mit OSTZONENSUPPENWÜRFELMACHENKREBS, und wie geht es nun weiter?
Inzwischen liegt die Tour mehr als ein Vierteljahr zurück, und ich treffe Carsten im 439, einer eher unauffälligen Kneipe in der Vereinsstraße. Die Hamburger Tourismusseite spricht von „einer Institution unter den Bars und Kneipen zwischen Schanze und Eimsbüttel“ und berichtet, dass „das 439 seit den 1980er-Jahren als unaufgeregter Treffpunkt für Musiker, Künstler und Leute aus der Nachbarschaft gelte“. Hätte es einen passenderen Rahmen für das Gespräch geben können, wo der Band doch ebensolche Attribute zugeschrieben werden? Vielleicht liegt es aber auch einfach nur daran, dass hier noch geraucht werden darf, und so treffe ich Carsten mit einem Bier und einer Selbstgedrehten in der Hand an einem Ecktisch. Er begrüßt mich herzlich, und wir kommen zuerst auf die vergangene Tour zu sprechen. Wie hat es sich angefühlt?  
„Die ganze Tour war ein einziger Traum, auch wenn wir doch etwas abgekämpfter waren, als wir uns das vorgestellt hatten. Aber jeder Abend der Tour war getragen von rührenden, berührenden, lustigen Geschichten, die davon handelten, dass unsere Musik von damals heute noch eine Gültigkeit hat. Man schwebt nach so einer Tour gedanklich weiter. Als wir uns im Januar wiedertrafen und alle ein positives Fazit zogen, war auch der Entschluss gefasst weiterzumachen. Wir haben uns nun einen Proberaum gesucht und haben morgen unsere erste Probe. Ob dabei was herauskommt, ist natürlich offen. Aber die Magie, die bei den Konzerten nach so langer Zeit wieder aufkam, war schon ein großartiges Erlebnis.“

Carsten berichtet mir davon, dass die Tour insgesamt einen Vorlauf von mehr als fünf Jahren gehabt habe. Es fing damit an, dass ein Booker und Fan von damals nachgefragt habe, ob man nicht wieder auftreten wolle. Daraus ergaben sich lose Gespräche und schließlich der Entschluss, an die letzte Platte anknüpfen zu wollen. Es folgten Proben, eine Zwangspause wegen Corona und die Aufnahme eines weiteren Gitarristen als neues Bandmitglied. Das letzte Jahr verbrachte man mit den Vorbereitungen auf die Tour im Proberaum, bis man schließlich die letzte Platte wiederveröffentlichte und im Anschluss daran die Tour startete. „Es ist schon faszinierend, als Band mit einer so langen Geschichte Leute zu treffen, denen wir etwas bedeutet haben. Im höheren Alter erlebt man so eine Tour viel bewusster. Wir haben die Wirkung der Platte damals gar nicht so klar mitbekommen. Gleichzeitig sind unsere Zuschauer ja auch älter geworden und zeigen ihre Begeisterung viel leichter als früher, weil man ja nicht mehr von einer gewissen Coolness befangen ist. Wir waren zwar auch damals schon im engen Austausch mit dem Publikum, aber das war diesmal noch viel intensiver.“

Habt Ihr denn mit dieser Tour auch etwas nachgeholt?
„Für uns als Band war tatsächlich noch etwas offen. Wir existierten damals seit 13 Jahren, hatten vier Alben veröffentlicht und an der letzten Platte vier Jahre lang gearbeitet. In der Regel spielt man nach einer Veröffentlichung etwa zwei Jahre lang an die 50-70 Konzerte, bis man an der nächsten Platte arbeitet. Aber bei uns war nach zehn Auftritten plötzlich Schluss. Das ging alles viel zu schnell, obwohl auf jener Tour schon mehr zurückkam als zuvor. Vielleicht auch, weil die Texte etwas persönlicher waren.“

Der Entschluss, die Platte noch mal wiederzuveröffentlichen, erschien dann nur logisch. „Für die Tour die alten CDs noch mal einzupacken, wäre einfach blöd gewesen.“ Übrigens erschien „Leichte Teile, Kleiner Rock“ ursprünglich in Form von zwei EPs, weil das Songwriting länger als bisher dauerte. Dass die beiden EPs erst zusammen ein Album ergeben, war aber von Beginn an klar. Deshalb betrachtet Carsten „Leichte Teile, Kleiner Rock“ auch als ein Album, das in zwei Schritten veröffentlicht wurde und nicht als eine Compilation, wie es zur Wiederveröffentlichung in einem Infotext hieß oder wie das Vinyl auch bei discogs einsortiert wurde.
„Deshalb haben wir auch die Songreihenfolge geändert und nicht Songs stumpf aneinandergereiht. Als Album hört man das Ganze anders als in Form von zwei EPs. Ich musste damals selbst davon überzeugt werden, dass die elf Songs nun eine eigene Geschichte haben und man dafür einen eigenen Fluss und eine eigene Dramaturgie finden sollte.“
Eine Re-Release der älteren Platten plane man allerdings nicht. Das wäre zu sehr ein Verharren in der Vergangenheit gewesen, findet Carsten, während ihm die leichte personelle und musikalische Veränderung wie ein Schritt in die Gegenwart erscheint. Doch auch diese Tour ist damit abgeschlossen. „Für uns war es vielmehr eine Erinnerung daran, wie toll es ist, Musik zu machen! Jetzt kann man ohne Druck schauen, wie es weitergeht.“

„Terrorists of Flamenco“, offizielles Bandfoto zum zweiten Album, „Absolut nicht frei“, 1992 (Oben: Carsten, Tilman, Mixer Jörn Kundzins, unten: Bassist und Bratschist Philipp Bussmann, Harry Wagener, Taucher).

Wahrscheinlich ist das genau der richtige Weg. Wer die vier bisher veröffentlichten Platten miteinander vergleicht, dem fällt vor allem auf, dass OSTZONENSUPPENWÜRFELMACHENKREBS nie stillgestanden haben und sich nie vorhersagen ließ, in welche Richtung die nächste Platte geht. Oder gibt es nun bereits Anzeichen dafür?
„Ausgesprochen nein. Ich bin sogar absolut dafür, und muss mir das auch immer selbst vor Augen halten, dass das absolut falsch wäre. Wir mussten zunächst unsere Plätze im Bandgefüge neu wiederfinden. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass wir uns in erster Linie nicht als Musiker, sondern als Freunde gesehen haben. So hat man musikalisch alle Freiheiten, zumal wir in der neuen Konstellation ja auch noch nie zusammen Songs geschrieben haben. Ich denke, dass die Unterschiedlichkeit der Platten uns immer ausgemacht hat.“

Die Gefahr, dass man damit alte Fans verliert, sieht Carsten aber nicht. „Wir haben ja auch in der Vergangenheit keine klare rote Linie verfolgt. Vielleicht hat sich aus diesen Unklarheiten auch ein Kern der Suppenwürfel-Fans herausgebildet. Die Verbindung zur Hamburger Schule gab es ja eigentlich erst mit der letzten Platte, wo wir erstmals deutschsprachige Texte hatten. Die soziale Verbundenheit über Labels und Kneipen schien mir da immer wichtiger zu sein. Im Grunde ist ja auch BLUMFELDs Bandhistorie eine Geschichte der ständigen Brüche. Wer hätte mit „1000 Tränen tief“ gerechnet und mit einem Saxophonsolo in „Graue Wolken“? Von unserer Instrumentalplatte haben wir letztendlich auch nur 500 Stück verkauft. Jetzt reden wir aber schon so davon, als ob eine nächste Platte konkret wäre. Am Ende wird uns eine Erwartungshaltung wahrscheinlich eh egal sein.“   

Seht Ihr Euch dann gar nicht unbedingt als Vorläufer der Hamburger Schule an?
„Es hängt von der Betrachtung ab. Musikalisch gesehen haben wir diesen Stil ja erst mit der letzten Platte eingeschlagen, als der Höhepunkt dieser Welle schon fast überschritten war. Da waren wir sicher keine Vorreiter. Aber wir waren schon zu Beginn des Labels L’Age d’Or dabei, was damit zusammenhängt, dass ihre Gründer Carol von Rautenkranz und Pascal Fuhlbrügge zuvor eine Konzertreihe in der Werkstatt 3 in Ottensen veranstaltet hatten, die uns sehr gefiel. Dort traten viermal im Jahr jeweils vier Bands auf, die sich stilistisch sehr unterschieden. Weil wir das mochten, haben Taucher und ich dort ein Demotape abgegeben, das ihnen wiederum gefiel, und so wurde eine Verbindung zwischen uns und den anderen Bands geschaffen. Die Compilation „Dies ist Hamburg (nicht Boston)“, die 1989 erschien, bietet einen guten Überblick darüber, weil hier all diese unterschiedlichen Bands versammelt waren und dieser Sampler ihnen auch einen ziemlichen Schub gab. So entstand in Hamburg tatsächlich eine Szene, die ich als Hamburger Schule bezeichnen würde, wo wir dazugehörten. Diese soziale Szenerie erscheint mir übrigens viel wichtiger als der Genrebegriff. Das war zeitlich auch noch weit vor BLUMFELD, DIE STERNE und TOCOTRONIC.“

Rose Club, Köln, 28. September 1989, auf der L‘Age D‘Or Label-Tour „Bauer & Fischkopp“ mit Kolossale Jugend und Der schwarze Kanal (Taucher, Carsten, Harry, Tilman, Philipp)

Wo wir schon so weit in der Vergangenheit gelandet sind: wie fühlt es sich für Dich heute an, Texte zu singen, die Du Dir in einer ganz anderen Lebensphase ausgedacht hast?
„Es gibt ein paar Songs, in denen ich mein Selbst von vor 25 Jahren sehe, und andere Stellen, wo ich die Dinge heute ein wenig anders betrachte. Aber die meisten Themen sind für mich noch immer gültig. Ein Fußballfreund von mir, der unsere Band wahrscheinlich gar nicht wirklich kannte, sagte nach einem Konzert, dass er sich in den Texten wiedergefunden habe. Das hat wiederum mich sehr überrascht.“

Apropos Texte, wie würdest Du Euch eigentlich einordnen? Seid Ihr eine politische Band? Oder eher eine selbst- und gesellschaftskritische Band ohne näheren politischen Bezug?
„Dezidiert politisch sind wir eigentlich nirgendwo aufgetreten. Wir haben zwar 1987 auf einem kleinen Festival in der besetzten Hafenstraße gespielt. Zwischen den Barrikaden in einer sehr aufgeladenen Stimmung, zusammen mit HUAH! und den GOLDENEN ZITRONEN. Ich fand es auch gut, wenn Bands wie DIE GOLDENEN ZITRONEN in der Zeit der Wende mit Hoyerswerda usw. eine klare Position bezogen haben. Aber als ich versucht habe, über Dinge wie den Golfkrieg, der mir wirklich naheging, zu schreiben, ist der Text echt miserabel geworden. Ich habe uns eher in kleineren politischen Zusammenhängen gesehen. Wir haben z.B. als Band auf einem Festival in Pankow anlässlich der bevorstehenden Schließung des DDR-Jugendsenders DT64 unsere Solidarität gezeigt – auch wenn wir dort nicht aufgetreten sind. Unsere Basis war mehr die direkte Kommunikation auf der sozialen Basis.“

Badehaus, Berlin, 18. November 2023 (Taucher, Carsten, Tilman)

Dieses verbundene Hand-in-Hand fiel mir auch auf ihrem Abschlusskonzert in Hamburg auf, als ihr ehemaliger Schlagzeuger Harry, der nur als Zuschauer anwesend war, sich irgendwann das Mikro schnappte und seine emotionale Ergriffenheit zum Ausdruck brachte. Als er im Anschluss daran auf seine aktuell schwierige finanzielle Lage hinwies und um Spenden bar, antwortet Sänger Carsten direkt: „Mensch, Harry. Das regeln wir nach dem Konzert mit der Band untereinander. Das ist doch klar!“

Als ich Carsten darauf anspreche, antwortet er: „Wenn wir irgendjemandem davon erzählt haben, dass wir wieder spielen, war die erste Frage immer: „Ist Harry dabei?“ Harry konnte wirklich toll Schlagzeug spielen, ist optisch immer hinter seiner riesigen Marching Drum, die er als Bass Drum nutze, verschwunden. Wir hatten zuvor ein privates Konzert in Hamburg im kleinen Rahmen und in Stade auf einem Festival. Da wollten wir Harry auch einladen, haben ihn aber schlichtweg nicht erreichen können. Nun hat es geklappt, wir haben uns vor dem Konzert unterhalten, aber man ist natürlich trotzdem immer etwas nervös, wie ein ehemaliges Bandmitglied es wahrnimmt, wenn er nicht mehr auf der Bühne steht. Durch seinen Redebeitrag war er aber quasi doch auf der Bühne, hat sich noch mal gezeigt, war Teil der Band, und so war auch die Distanz gebrochen. Das war toll!“

Nachdem Carsten noch mal Bier nachbestellt, spreche ich ihn auf den markanten Bandnamen an. Dass der Name OSTZONENSUPPENWÜRFELMACHENKREBS einer Bild-Schlagzeile entstammt, ist nicht schwierig zu recherchieren. Aber wieso ist es gerade diese Überschrift geworden?
„Der Bandname entstammt einer ganz konkreten Situation. Wir haben uns im Frühjahr 1986 gegründet und hatten im September desselben Jahres unseren ersten Auftritt. In dieser Zeit hatten wir sechs, sieben Songs geschrieben und ständig drüber nachgedacht, wie wir heißen sollen. Ein guter Bandname ist ja fast wichtiger als der erste Song. Aber unsere Ideen waren alle öde. Am Ende war die Zeit so knapp, dass der Sozialpädagoge vom Jugendzentrum uns ein Ultimatum von einer halben Stunde setzte, weil die Plakate für den Auftritt endlich gedruckt werden mussten. Etwa einem Monat vorher lief auf dem NDR eine Doku über die Bild-Zeitung. Die tatsächliche Schlagzeile lautete übrigens „Ostzonen-Suppenwürfel bringen Krebs“. Beim Band-Brainstorming wurde dann dieser Name in die Runde geworfen, und er traf den Konsens, weil er wirklich nicht wie irgendeine andere Band klingt. Wenn Leute aber heute mitkriegen, dass ich in einer Band spiele und nach dem Namen fragen, ist mir dieser etwas alberne Bandname immer unangenehm. Da würde ich lieber „THE SMITHS“ antworten können.“