Da spielte ein gewisser DENISON WITMER zum ersten Mal seit langer Zeit wieder in Hamburg, und wie es der Zufall so will, musste man natürlich genau an diesem Abend zur Schulung nach Marburg. Also galt es, das sonstige Tourprogramm durchzuschauen. Nichts mehr in der Nähe, aber dafür ein Konzert am Wochenende in Kassel, zusammen mit LAST DAYS OF APRIL – große Helden aus der Vergangenheit. Warum das Ganze passend dazu nicht mit einem Trip in die Vergangenheit verbinden? Göttingen liegt ja quasi direkt oberhalb von Kassel, und dort habe ich immerhin einen bedeutenden Teil meiner Jugend verbracht. Weil inzwischen aber auch alle ehemaligen Kommilitonen von dannen gezogen sind, quartierte ich mich erstmals in ein Hotel im Stadtzentrum ein und erkundete tagsüber meine damalige Studentenstadt. Der 70er Charme der Hauptmensa musste modernem Edelstahl weichen, die Lernkabinen aus der Bibliothek wurden in ein separates Lerngebäude ausgelagert und dem Haus, in dem ich damals lebte, wurde ein neuer Anstrich verpasst. Nur der Kaffee und Kuchen bei Cron & Lanz ist gleich geblieben. Aber vielleicht ist die Zeit in dem antiken Göttinger Kaffeehaus in den letzten 138 Jahren eh langsamer verlaufen als anderswo.
Auch wenn wir damals mehr oder weniger regelmäßig zu Konzerten nach Kassel gefahren sind, kann ich mich an kein Konzert im Schlachthof erinnern. Und die Räumlichkeiten kamen mir tatsächlich nicht bekannt vor. Im holzvertäfelten Nebenraum ließ ich mir ein regionales Dunkelbier zapfen, bis pünktlich um neun DENISON WITMER die Bühne betrat. Leider nur solo, obwohl mir auf seinen Platten vor allem auch die Arrangements immer sehr gut gefielen. Aber das tat dem guten Eindruck keinen Abbruch. Fehlende Instrumente wurden mittels Effektpedalen und Loopstation wettgemacht, gleiches galt für seine Stimme, die sein Konzert mit einem live eingesungenen Chor beendete. Dazwischen gab es hauptsächlich Songs von seinem letzten Album, das immerhin schon zwei Jahre alt ist, und man erfuhr neben bei, dass Denisons Sohn „Asa“ heißt, was die Autokorrektur seines iphones aber in „ass“ umwandelte, als er seine Frau nach dem Befinden des Nachwuchses fragte. Tolle Stimme, sympathischer Typ und ein gefühlvoller Auftritt. Was mehr kann man sich wünschen.
Umso spannender war, wie LAST DAYS OF APRIL ihr just veröffentlichtes Album „Sea of clouds“ live umsetzen würden, das NEIL YOUNG mittlerweile mehr ähnelt als ihren anfänglichen ungestümen Emo-Wurzeln. Die Antwort: relativ entspannt. Von der ursprünglichen Besetzung ist zwar nur noch Karl Larsson als Kopf der Band übrig geblieben, seine Mitmusiker an Bass und Schlagzeug hat er sich von der Popband OH LAURA zusammengesucht, die zuvor in den schwedischen Top Ten vertreten waren und einen Werbespot für einen namhaften Autohersteller vertont hatten. Auf alle sonstigen Instrumente wurde verzichtet – keep it short and simple! Doch ganz so ruhig wie das Album fiel das Liveset dann doch nicht aus. Auch wenn der Fokus selbstverständlich auf dem neuen Material lag, sorgte vor allem das kraftvolle Schlagzeugspiel dafür, dass die sonst doch sehr folkigen Songs etwas rockiger rüberkamen. Besonders freute ich mich, als gegen Mitte des Sets mit „Aspirins and alcohol“ ein Klassiker vom 2000er Album „Angel youth“ gespielt wurde. Dies wurde auch vom Publikum lautstark quittiert, bevor Larsson zum Ende des Sets zwei Lieder solo zum Besten gab, wo seine markante und wahrlich schöne Stimme besonders zum Ausdruck kam. „Kannst Du mir den Mann nicht in mein Wohnzimmer stellen, und ich kann ihn anschalten, wenn er singen soll?“, wurde ich gefragt. Ein durchaus nachvollziehbarer Wunsch. Mal sehen, ob der Weihnachtsmann das regeln kann.