You are currently viewing Kurz & schmerzlos (Oktober – Dezember 2023) – CD-Besprechungen in aller Kürze

Kurz & schmerzlos (Oktober – Dezember 2023) – CD-Besprechungen in aller Kürze

  • Beitrags-Autor:
  • Beitrags-Kategorie:Specials

In dem Dokumentarfilm „She Chef“ geht es um den Werdegang der jungen Köchin Agnes in die Spitzengastronomie. Nachdem sie mit dem österreichischen Jugendnationalteam 2018 die Weltmeisterschaft erkochte, wird sie von einem Kamerateam auf ihren Lehr- und Wanderjahren durch die renommiertesten Restaurants der Welt begleitet, muss sich dabei in einer Männerdomäne behaupten und landet schließlich in einem abgelegenen Zwei-Sterne-Restaurant auf den Faröer Inseln, wo sie ihr Glück gefunden zu haben scheint. Denn Haute-Cuisine bedeutet nicht nur Leidenschaft, Ehrgeiz und Akribie, sondern auch Kreativität, Teamwork, im Idealfall auch Nachhaltigkeit und Selbstverwirklichung. Und was ihre letzte Station inmitten weiter Landschaft und unberührter Natur betrifft: auch eine ganze Menge Idealismus.
Idealismus sollte man ebenfalls als aufstrebende Band jenseits der Major Labels mitbringen. Ob sich der ganze Aufwand und die Kosten immer lohnen, lässt sich schwerlich bemessen. Selbst wenn man bei blueprint „nur“ in den Kurzreviews landet (manchmal liegt es an der stilistischen Ausrichtung, am subjektiven Geschmack des Rezensenten, am kleinen Format oder manchmal auch einfach nur an fehlender Zeit der Schreiber – denn auch wir bei blueprint machen dies nur hobbymäßig und aus Lust an der Musik): lasst Euch davon nicht demotivieren! Wir freuen uns jedenfalls, dass Ihr Musik macht und diese so vielfältig ausfällt. Was auch wieder auf die aktuellen Platten zutrifft. Viel Spaß beim Lesen!

ALI N. ASKIN – Up chute (Label: Yatak Records, VÖ: 08.12.2023)
(jg) Nach einem etwas mauen Einstieg dreht ALI N. ASKIN im Titelstück „Up chute“ mächtig auf und zeigt, was spielerisch und vor allem stilistisch in ihm steckt. Man könnte dieses Album zwar korrekt als eine Mischung aus Jazz, Fusion und Elektro umschreiben – zur musikalischen Einordnung hilft aber vielleicht mehr der Vergleich mit TORTOISEs Meilenstein „T.N.T.“, an das mich diese großartig verspielte (vielleicht auch verspulte) Platte ein wenig erinnert, wo auch noch Einflüsse aus Krautrock, Dub und Ambient mit einfließen. Wen wundert es da, dass ALI N. ASKIN zwischendurch an diversen Projekten, unter anderem auch mit FRANK ZAPPA (!) mitgewirkt hat. Toll, dass dieser Mann auch mit über 60 Jahren in Sachen Kreativität noch kein bisschen müde geworden ist und nach wie vor so zeitlose Musik schafft!
https://www.askin.info/

CARMEN SEA – Sorry-EP (Label: La Claudière, VÖ: 24.11.2023)
(jg) Selten, dass ich eine so große Diskrepanz zwischen den einzelnen Tracks einer Band gehört habe. CARMEN SEA stammen aus Paris, haben auf dieser EP einen Autounfall mit dem Tourbus thematisiert (der zum Glück glimpflich ausging) und machen eigentlich instrumentellen Rock. Aber nicht nur zarten Postrock, wie man ihn schon oft gehört hat, sondern mitunter einen ziemlichen Radau mit Noise-Einflüssen. Der Opener „Speed“ lärmt herum wie DEATH GRIPS, in „Crash“ wird es etwas grooviger, fast stonerrockig, bis der Song doch noch in Richtung Postrock driftet. Im nachfolgenden „Exit“ tauchen auch Industrial-Einflüsse auf, die größte Überraschung (leider nicht im positiven Sinne) ist sicherlich der Song „Sorry“ mit Gastsängerin TETHA, der auch beim Eurovision Song Contest gut gepasst hätte. Wichtigste Erkenntnis dieser EP: nicht müde hinters Steuer setzen!
https://carmensea.bandcamp.com/

CÉLINE BONACINA – Jump! (Label: Cristal Records, VÖ: 27.10.2023)
(jg) CÉLINE BONACINA macht Jazz mit dem Saxophon im Mittelpunkt. Dabei schafft es die Französin durchaus, einerseits virtuos zu klingen, den Jazzlaien aber gleichzeitig an die Hand zu nehmen und dieses Terrain für ihn zugänglich zu machen. Das liegt vielleicht aber auch daran, dass die Backing Band (Drums, Rhodes, Bass) recht groovige und eingängige Musik spielt, die stellenweise fast schon HipHop-Einflüsse aufweist. Das tut ihrem Stil gut, da ihre akademischen Ausbildung manchmal dann doch noch durchscheint.
https://celine-bonacina.com/

CONNY OCHS – Wahn und Sinn (Label: Exile on Mainstream, VÖ: 20.10.2023)
(so) „Turin“ ist eine Ode, die sich zwischen den Extremen DEINE LAKAIEN und MARIUS MÜLLER-WESTERNHAGEN abspielt. Und irgendwie bewegen sich diese Namen immer wieder während des Hörens durch meinen Kopf. Eben irgendwie „Wahn und Sinn“. Zwischendurch werde ich auch an die EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN auf ihren neueren Alben erinnert. Musikalisch denkt man hier wenig an das, was man von CONNY OCHS gewohnt ist, vielmehr widmet er sich dem leisen, harmonischen Ton mit einem leichten Hang zur Melancholie. Texte, die sich schnell in deinen Kopf bohren und dort mal blutende, mal heilende Wunden hinterlassen. Ein interessantes und seltsames Album.
https://connyochs.bandcamp.com/album/wahn-und-sinn

DANIEL SCHOLZ – Château les clos (Label: Broken Silence Records, VÖ: 13.10.2023)
(jg) Der renommierte Schlagzeuger DANIEL SCHOLZ wollte ein Album komponieren, „welches das Gefühl langer Sommerabende in Frankreich schenkt“. Man muss schon etwas mit Jazz (Grundausrichtung), Saxophon (manchmal etwas zu präsent) und Soul (Rhodes, den relaxten Sound) anfangen können, aber dann ist DANIEL SCHOLZ das definitiv gelungen. Zudem spielt er ein anspruchsvolles, aber nicht anstrengendes Schlagzeug. Leider kann das Album aber die Qualität, die es anfangs ausstrahlt, nicht über die gesamte Länge halten, so dass man sich am Ende des langen Sommerabends doch ins Bett sehnt.
https://www.scholzd.de/

DIE DORKS – Geschäftsmodell Hass (Label: Demons Run Amok, VÖ: 22.09.2023)
(bc) Irgendwie landen die DORKS-Alben zum Besprechen immer bei mir. Vermutlich weil ich so etwas wie der Punk-Experte unseres kleinen Online-Magazines bin. Dabei machen DIE DORKS seit einer personellen Umbesetzung vor einigen Jahren eigentlich gar kein Punk mehr, sondern deutschsprachigen Metal, mit dem ich persönlich nicht viel anfangen kann. Was mich jedoch durchaus anspricht, sind die sehr guten politischen Texte von Stücken wie „So stand es geschrieben“ oder „Wir sind nicht das Volk“, die in der stellenweise doch recht konservativ geprägten Metal-Kultur vielleicht die eine oder andere Person zum Nachdenken bewegen.
https://diedorks.de

EVAN FREYER – Im Gestern nichts Neues (Label: Anti-Allez, VÖ: 09.09.2023)
(so) Unspektakulärer, fast langweiliger Singer/Songwriter-Pop mit deutschen Texten. Songs, bei denen man nach 15 Sekunden weiß, wohin der Weg führen wird, selbst dann, wenn der Versuch gestartet wird, sich ein bisschen punkig anzuhören. Bei EVAN FREYER bleibt vieles Versuch, vieles auf der Strecke und die leicht gekünstelte Stimme tut dann ihr Übriges, um mich immer weiter von der Box zu entfernen. Im Hauruck-Verfahren erzeugte Aktualität („Kohleofen“) wirken eher gewollt als gewusst, der pädagogische Zeigefinger wächst fast aus dem Album heraus. Es bleibt alles irgendwie an der Oberfläche, alles belanglos und wenig überzeugend. Daher trifft der Albumtitel eigentlich die Dinge ganz gut.
https://evanfreyer.bandcamp.com

GREYSHADOW – Unfulfilled desires (Label: Greyshadow, VÖ: 29.09.2023)
(so) Wie schrieb Jens in seiner Ankündigung so schön: „Etwas zu seicht.“ Ja, das trifft es. „Unfulfilled desires“ bietet fluffige, eingängige Melodien, mit sympathischer Stimme vorgetragene Lyrics. Nicht mehr und nicht weniger. Ein Popalbum, das sich problemlos in jeden Supermarkt schmuggeln ließe, um dort als Hintergrundunterhaltung zu dienen. Mal ein bisschen Indie, mal ein bisschen JAMIROQUAI, dann ein bisschen TOM PETTY, Popperherzen dürften bei diesem Album allemal höher schlagen. Dabei bleibt es aber eben leider zu sehr an der Oberfläche, wagt sich nie in gefährliche Gewässer, taucht nicht und springt auch nicht aus dem Wasser. Eben genau das, was Jens sagte: „Etwas zu seicht.“
https://www.greyshadow.at

HENRY SPENCER – The defector (Label: AMP Music & Records, VÖ: 29.09.2023)
(jg) Der Brite HENRY SPENCER versuchte sich mit sechs Jahren am Klavier, wechselte aber mit zehn Jahren an die Trompete. Nach einem Hochschul-Stipendium spielte er mit namhaften Künstlern und Ensembles zusammen, und auch mit seiner eigenen Band konnte er bereits diverse Preise einheimsen. Auf dem neuen Album, wo er auch als Komponist agierte, präsentiert sich HENRY SPENCER mit seiner Band im Modern Jazz. Dabei steht seine Trompete nicht allein im Fokus. Auch Drummer David Ingamelis darf sein Können durch ausgefeilte, zum Teil aber etwas holprig konstruierte Rhythmen präsentieren. Hinzu kommen zahlreiche weitere Instrumente, die mitunter durch ungewöhnliche Spielarten neuen Wind ins etwas überstrapazierte Genre bringen – beispielsweise erinnert die Gitarre von Ant Law in „Moment gained“ mehr an TOE als an PAT METHENY. Die zusätzlich ergänzten Streicher schmücken das Album weiter aus, wären aber nicht immer nötig gewesen. So wirken einzelne Songs etwas überladen. Warum dieses Album bereits 2019 (also noch weit vor Corona) eingespielt wurde, aber erst jetzt veröffentlicht wird, kann ich leider auch nicht beantwortet.
https://www.henryspencermusic.com/

INGVAY – One magic mile (Label: Jamtone Records, VÖ: 01.12.2023)
(so) „One magic mile“ ist wieder so ein Album, bei dem ich nachfragen muss, weshalb es mich erreicht hat. Denn dieser 08/15-Bluesrock amerikanischer Machart ist definitiv nicht das Meinige. INGVAY klingt nach Lehrerband, in der die Musiklehrer:innen sich beweisen möchten, zeigen, was sie alles an der Gitarre können. Sich für einen Tag wie GARY MOORE fühlen. Sorry, aber das sind alles Songs, die es schon einmal gegeben hat, oftmals auch in besser oder innovativer. Das ist nicht schlecht, was dieses Album bietet, aber es fehlt jegliche Besonderheit, jegliche Verrücktheit, ja, ich würde fast sagen: Jeglicher Mut, etwas zu wagen, was die Fans eventuell verunsichern und aus ihrem Trott herausholen könnte. Aber so schafft man es sicherlich auf dem ein oder anderen Straßenfest, die Menschen zum Tanzen zu bringen und so auch Geld in die Bandkasse zu spülen. Das kann ja auch sehr befriedigend sein. Mich bekommen INGVAY mit ihrer Musik leider nicht aus der Ecke heraus, in der ich mich vor ihnen verstecke.
https://www.ingvay.com/home

JACK POTT – Hass im Ärmel (Label: Dackelton Records, VÖ: 20.10.2023)
(bc) Langspieler Nummer zwei von JACK POTT, die für mich wie kaum eine andere Band die neue Generation junger, selbstbewusster Deutschpunk-Bands verkörpert. Dabei ist „Hass im Ärmel“ stilistisch deutlich breiter aufgestellt als der Vorgänger „Bomben über Disneyland“: Zu dem nach wie vor präsenten BROILERS-Einfluss kommen beispielsweise NDW-Anleihen, und vor allem der Synthesizer kommt noch stärker zur Geltung. Bei „4 von 10“ fühle ich mich gar an KRAFTKLUB erinnert, und für „Deutschland ist zu fett für Rock’n’Roll“ konnten MONTREAL als Gäste gewonnen werden. Meinen persönlichen Geschmack trifft dies nur bedingt, doch wer mit den genannten Referenz-Bands sympathisiert, sollte sich „Hass im Ärmel“ auf jeden Fall mal zu Gemüte führen.
https://jackpott-band.de

JANDA – Apnoe (Label: Viel Erfolg mit der Musik, VÖ: 17.11.2023)
(so) Als hätte TORI AMOS sich mit SIGUR ROS zusammengetan, um ein Album zu produzieren, so klingt „Apnoe“ für mich. Eine prägnante, dominante und dennoch nicht penetrante Stimme mit jeder Menge Macht trifft auf obskure Soundstrukturen oder auch harmonisch-gefällige Melodien. In den experimentellen Momenten ist dieses Album deutlich stärker als in den mainstreamigen, dann, wenn der Stimme alle Kraft entlockt und sie herausgefordert wird. Wenn JANDA eben ohne zu atmen hinabtaucht in die Tiefe des Lebens und sich mitreißen, treiben oder auch versenken lässt. „Apnoe“ könnte noch mehr erreichen, wenn es sich komplett auf die eigenen Stärken verlassen würde.
https://jandasings.bandcamp.com/album/apnoe

LES MAMANS DU CONGO & RROBIN – Ya mizole (Label: Jarring Effects, VÖ: 24.11.2023)
(jg) Dieses Projekt aus Kongo klingt so herrlich afrikanisch – und gleichzeitig auch wieder nicht. Vielleicht liegt es an der Kooperation von Tradition und Moderne, die es so ungwöhnlich macht. LES MAMANS DU CONGO stammen, wie es der Name bereits verrät, aus Kongo und thematisieren in ihrer Musik die Stammesgeschichte sowie den Alltag kongolesischer Frauen. Dabei werden regionale Werkzeuge wie Gabeln, Teller, Körbe und Trommelstöcke zu Instrumenten umfunktioniert und mit HipHop-Beats, Traprhythmen und Elektroelementen von RROBIN (aka GREMS, einem französischen Rapper und Produzenten) kombiniert. Das Ergebnis klingt recht chillig und modern und würde sowohl auf dem Reeperbahn-Festival als auch auf dem Überjazz funktionieren. Ungewöhnlich und einzigartig!
https://lesmamansducongo.bandcamp.com/album/ya-mizol

MALUMMÍ – The universe is black (Label: Irascible Records, VÖ: 17.11.2023)
(so) Zwischen anstrengend und dem zuckersüßen Pop der NO ANGELS befindet sich MALUMMÍ mit dem neuen Album „The universe is black“. Ja, da sind auch Indie- und Grunge-Töne zu hören, aber für meine möglicherweise zu einfach gestrickten Ohren klingt das Ganze nach „hör mir bitte zu und sag, dass das voll kunstvoll ist und so!“ Mag auch sein, dass die Stimme, die so sehr versucht, wie KATE BUSH zu klingen, dabei aber katastrophal scheitert, meine Meinung etwas zu stark überdeckt. Wie dem auch sei, eins ist klar: „The universe is black“ ist nichts für mich – aber vielleicht für dich?
https://malummi.bandcamp.com/album/the-universe-is-black

MANOU GALLO – Afro bass fusion (Label: Manou Gallo, VÖ: 17.11.2023)
(jg) Eigentlich verrät der Albumtitel schon sehr präzise, wohin die Reise geht. Eine Wahnsinnsbassistin mit Wurzeln in der Elfenbeinküste, die hier einen ziemlich fetzigen Stilmix präsentiert, der beispielsweise auf dem Überjazz-Festival auf Kampnagel das Publikum von den Sitzenplätzen reißen und auf den Dancefloor befördern würde. Da bin ich mir sicher!
Erfreulicherweise läuft MANOU GALLO nämlich nicht Gefahr, ihr Können demonstrativ zur Schau zu stellen, stattdessen werden hier regionale Stile wie Afrobeat, Rumba, Makossa und Salsa bunt miteinander vermischt und mit westlichen Hörgewohnheiten (Pop, Jazz, Funk und Soul) dezent angereichert, so dass das ivorische Lebensgefühl hier perfekt eingefangen wird.
https://www.manougallo.com/

ONE TAPE – Monologe mit dir (Label: recordJet|Langstrumpf, VÖ: 24.11.2023)
(bc) Um gleich zu Beginn schon mal die Katze aus dem Sack zu lassen: Die beiden vorherigen Alben „Raus“ und „Goldfischglas“ von ONE TAPE habe ich mehr oder weniger verrissen, und auch „Monologe mit dir“ trifft nicht so wirklich meinen Geschmack. Dennoch muss ich anerkennen, dass sich die Band auf ihrem mittlerweile dritten Album deutlich gesteigert hat. Rockig angehauchter, moderner Punkrock, der in seinen besten Momenten durchaus mit Bands wie beispielsweise den weiter oben genannten JACK POTT mithalten kann. In schlechteren Augenblicken erinnern sie mich dann aber doch wieder zu sehr an REVOLVERHELD. Schade.
https://www.onetape.rocks

PETER KERNEL – Drum to death (Label: On The Camper Records, VÖ: 13.10.2023)
(jg) „Drum to death“ klingt wie der bedrohliche Titel des Soloalbums eines Schlagzeugers. Mit dem in der Regel niemand etwas anfangen kann – außer Schlagzeuger. Doch das Konzept von „Drum to death“ ist ein anderes. Vielleicht zunächst einmal zur Klärung des Bandnamens: hinter PETER KERNEL verbirgt sich ein schweizerisch-kanadisches Post-Pop-Art-Punk-Duo, bestehend aus Aris Bassetti und Barbara Lehnhoff, die bereits seit 2005 zusammenarbeiten. Für ihr neues Album haben sie sich von elf verschiedenen DrummerInnen Rhythmen zuschicken lassen und darauf neue Songs entwickelt. Bei der Bandbreite der SchlagzeugerInnen (Jazz, Industrial, Improvisation, Indie, Electro) fällt auch das Ergebnis entsprechend kunterbunt aus. Von Afrobeat über Indie, New und Dark Wave bis hin zu orientalischen Klängen ist hier alles zu hören. Das schöne „Sdeng“ (feat. Julian Sartorius) hätte beispielsweise auch von BLONDE REDHEAD stammen können. Letztendlich definitiv kein Album nur für Drummer!
https://www.peterkernel.com/

SHAMIR – Homo anxietatem (Label: Kill Rock Stars, VÖ: 18.08.2023)
(so) Das nächste Album, das sich „anstrengend“ auf die Fahnen geschrieben hat. Auch hier, wie schon bei MALUMMÍ kämpft eine Stimme mit den eigenen Ansprüchen und der Realität, auch hier versucht man sich an „wir machen das mal anders!“ – und anders ist eben nicht direkt besser. Das geht mir jedenfalls bei SHAMIR so, die sich sogar noch etwas tiefer in die Kunst hineingraben, als das den oben Genannten gelingt. Hier verheddern sich Gitarren, bahnen sich die Texte triefnass einen Weg durch den Sumpf der Songs. Nicht Pop, nicht Indie, nicht(ssagend). Gibt sicherlich Menschen, die das „stunning“ und „effortless“ empfinden, ich gehöre nicht dazu.
https://shamir.bandcamp.com

SPILIF – Irgendetwas das du liebst (Label: Eigenregie, VÖ: 06.10.2023)
(bc) Hinter dem Anagramm SPILIF verbirgt sich genau genommen nicht nur die Rapperin Bettina Filips, sondern vielmehr eine ganze Band. Denn im Gegensatz zu den meisten anderen Musiker*innen dieses Metiers leistet sich die Österreicherin eine komplette Backing-Band, die ihre Raps mit ausgefeilten Jazz-Arrangements unterfüttert. Ähnlich wie bei den letzten Alben von NICO SUAVE verschwimmen hier die Grenzen zwischen HipHop und Pop, zwischen Underground und Mainstream. Doch vielleicht macht gerade dies „Irgendwas das du liebst“ auch erst so interessant.
https://www.instagram.com/spilifsound

SPLINTER – Role models (Label: Noisolution, VÖ: 25.08.2023)
(so) Wenn ich so die Beschreibungen des Albums lese, stelle ich eindeutig fest, dass ich keine Ahnung von Musik habe. Denn in die Genres Punk, Wave oder Heavy Rock würde ich „Role models“ im Leben nicht einordnen. Eher in die Kategorie extrem anstrengender Pop-Rock, der auf Teufel komm raus besonders sein möchte. Diese Rubrik heißt zwar „kurz und schmerzlos“, Letzteres kann ich für dieses Album bei mir leider nicht unterschreiben. Diese nervige Stimme, diese poppige Fröhlichkeit und die noch viel nervigere Hammond-Orgel … nein, geht bei mir gar nicht. Aber es gibt ja jede Menge Menschen, denen das gefällt.
https://listentosplinter.bandcamp.com/album/role-models

STATUES ON FIRE – „IV“ (Label: Rookie records, VÖ 29.09.2023)
(bc) Der Output von STATUES ON FIRE ist beeindruckend. Vier Alben in neun Jahren, das bekommen nicht viele Bands hin – zumindest insofern sie die Musik weitestgehens hobbymäßig betreiben und nicht von ihr leben. Erneut liefern die Brasilianer Melodic-Hardcore auf hohem technischen Niveau ab, wobei sie trotz einiger Ausreißer (man höre sich nur mal das Riff-Gewitter in „I hate your god“ an) mittlerweile weniger Metal-lastig als noch in ihren Anfangstagen unterwegs sind und in einigen Momenten inzwischen eher Richtung Alternative Rock tendieren. Ungeachtet dessen: Coole Platte!
https://www.facebook.com/statuesonfire

STEVE LEHMAN & ORCHESTRE NATIONAL DE JAZZ – Ex machina (Label: ONJ, VÖ: 20.10.2023)
(jg) Auch wenn wir bei den aktuellen Kurzreviews bis hier unten schon so manches Album besprochen haben, das trotz seiner jazzigen Ausrichtung durchaus für Jazzlaien geeignet wäre: der Saxophonist STEVE LEHMAN und die Big Band ORCHESTRE NATIONAL DE JAZZ, die hier zusammen mit KI-Software neue Stücke komponiert haben, zählen definitiv nicht dazu. Um an „Ex machina“ seinen Spaß zu haben, sollte man als Hörer schon generell etwas mit schiefen Taktzahlen und schrägen Tönen anfangen können…
https://stevelehman.bandcamp.com/album/ex-machina

TRAM DES BALKANS & MELISSA ZANTAM – En cavale (Label: Les Entêtés, VÖ: 10.11.2023)
(jg) Der Bandname könnte in die Irre führen. Denn mit Balkanpop und Klezmer haben die Franzosen nichts mehr zu tun, bewegen sich inzwischen eher in Richtung Osteuropa. Ihr neues Album klingt ein bisschen so, als ob die KELLY FAMILY auf einem kleinen Bergdorf in den Alpen aufgewachsen wäre, ganz in der Nähe von Heidi und dem Alm-Öhi. Dort wird beim folkig traditionellen Musizieren ordentlich gefeiert, ein Akkordeon und eine Geige im Vordergrund, eine Flasche Obstler macht die Runde, dazu mehrsprachiger Gesang und Raps. Gute Stimmung ist offensichtlich, aber mir ist das am Ende doch eine Spur zu feucht-fröhlich und verschroben.
https://lesentetes.com/tram-melissa-zantman

URGE – Noiseversity (Label: Rookie Records, VÖ: 01.12.2023)
(bc) Ach was, die gibt es wieder?! URGE waren in den Neunzigern fester Bestandteil der Hannoveraner Hardcore-Szene. Stilistisch orientierten sie sich dabei nicht in Richtung NYHC oder Oldschool-Hardcore, sondern ihr Hardcore war eher von der progressiven Sorte, was ihnen damals u.a. eine gemeinsame Tour mit FUGAZI eingebracht hat. Anyway – eingerostet klingen sie auf diesem neuen Werk definitiv nicht. So bestechen Songs wie „Interfere the game“ oder „Hellnoise“ durch detailverliebtes Songwriting und kommen ziemlich groovy daher. Für einen Bachelor-Abschluss auf der „Noiseversity“ sollte das doch locker reichen.
https://urge-band.com

VERO NOUK – Verronée (Label: Mosaik Records, VÖ: 08.12.2023)
(jg) Was CHILLY GONZALES auf seinem neuen Album „French kiss“ mit einfließen lässt, setzt die studierte Musikerin VERO NOUK hier in klassischerem Sinne um: französischsprachige Chansons. Aufgewachsen in einem musikalischen Zuhause in Süddeutschland probierte sie sich später im Chor und Kindermusicals, bis sie an der Musikhochschule schließlich bei Bossa Nova, Chansons und Jazz landete. Zusammen mit Roman Andor, der hier eine Vielzahl an Instrumenten beisteuert, und CHRISMO (Spoken Words), liefert VERO NOUK eine gefühlvolle EP ab, die es mit der Unbeschwertheit von ZAZ aufnimmt, wegen ihrer Intimität aber auch sehr gut in die Hasenschaukel gepasst hätte. Dazu Songs mit Titeln wie „Lèffet de café“ und „Le vagabond fatigué“ hätten sicherlich auch der fabelhaften Amélie gefallen.
https://www.veronouk-music.com/

WERCKMEISTER – Maruschka (Label: Erdgleich, VÖ: 06.10.2023)
(so) Wieder so eine seltsam verwaschene, verkünstelte Stimme irgendwo zwischen UDO LINDENBERG und BEN BECKER. Klingt für mich so, wie Berlin gerne klingen würde, immer besonders, immer anders, immer speziell. Wirkt für mich als Hamburger aber eher anstrengend. Hinzu kommen intellektuell veranlagte Texte, die vor „übrigens, kenn ich auch!“ sprühen. Auch das eher anstrengend für mich. „Dass ich mir auf meinen Wortschatz niemals einen runterhole!“ sei hier kurz zitiert. WERKCMEISTER wirkt ein wenig wie der Deutschlehrer, der in seinen Songs darlegen möchte, über wie viel Wissen er verfügt. Klingt möglicherweise etwas unverschämt, aber als Deutschlehrer und zu kryptischen Lyrics neigender Singer/Songwriter darf ich das vielleicht sagen. Könnte mir aber vorstellen, dass „Maruschka“ in Berliner In-Kneipen ziemlich erfolgreich sein dürfte.
https://werckmeister.bandcamp.com/album/maruschka

ZERO GR4VITY – Une très légère oscillation (Label: Jarring Effects, VÖ: 15.12.2023)
(jg) Das Info nennt als Referenzen NIELS FRAHM und JOHN HOPKINS, die mit ihrer sphärischen Musik auf dem Maifeld Derby Festival das Palastzelt zu einem magischen Ort machten. Das passt auch zur musikalischen Einordnung des Debütalbums von ZERO GR4VITY ganz gut, vielleicht wären mir auch noch JEAN-MICHEL JARRÉ oder diverse Indietronica-Bands wie APPARAT oder KIASMOS in den Sinn gekommen. Mal klingt die Musik von Johann Guillon, der sich hinter ZERO GR4VITY verbirgt, hypnotisch, so wie in dem Opener „Rue des dunes“, mal wird es clubcompatibler wie in dem ravigen „Akaora“. Dass Guillon nebenbei als Gitarrist bei der für über Genregrenzen schauenden Band EZ3KIEL aktiv ist, passt dabei recht gut ins Gesamtbild.
https://jarringeffects.bandcamp.com/album/une-tr-s-l-g-re-oscillation