Kurz & schmerzlos (Oktober – Dezember 2009) – CD-Besprechungen in aller Kürze

Die morgendliche S-Bahnfahrt zu meiner Arbeitsstätte nutze ich in letzter Zeit gerne dazu, mir auf meinem alten Walkman nach und nach einige meiner über 200 Musikkassetten anzuhören, die größtenteils seit Jahren ein tristes Dasein in verstaubten Pappkartons fristen. Auf diese Weise komme ich immer wieder in den Genuss alter Schätzchen, die früher einmal den Soundtrack meiner Jugend darstellten, doch die im Laufe der Jahre leider zusehends in Vergessenheit geraten sind. So auch am letzten Montag: Mir gegenüber saß ein junger Mann, Anfang zwanzig, und hörte Musik über sein iPhone. Nun begab es sich, dass die erste Seite des von mir an diesem Tag ausgewählten LORDS OF THE UNDERGROUND-Tapes durchgelaufen war und ich die Kassette umdrehen musste. Als ich also umständlich meinen über 10 Jahre alten, silbernen Aiwa-Walkman (der zugegebenermaßen durch einen blauen Plastikkreis sowie mehreren „Multi Sound Processor“-Knöpfe auf der Oberseite für die damalige Zeit ziemlich futuristisch aussah) aus der engen Jackentasche fummelte, bemerkte ich aus dem Augenwinkel, dass ich damit das Interesse meines Gegenübers geweckt hatte: Neugierig starte der Typ auf das übergroße Abspielgerät in meiner Hand und fragte sich offensichtlich, um was für eine brandneue Erfindung der Elektrotechnikindustrie es sich bei diesem außergewöhnlichen Kasten handeln würde und was man damit wohl so alles machen könne. Als ich dann den Deckel öffnete und eine klobige schwarze BASF-Kassette zum Vorschein kam, verwandelte sich seine neugierige Miene umgehend in einen verächtlichen Gesichtsausdruck und der junge Mann widmete seine Aufmerksamkeit umgehend wieder der Landschaft, die draußen am Fenster vorbeirauschte. Die Tatsache, dass jemand im 21. Jahrhundert immer noch Kassetten hört, schien ihm offensichtlich so befremdlich zu sein wie die Vorstellung, dass seine Eltern heutzutage immer noch miteinander Sex haben könnten.

Ungeachtet der Gefahr, als rückständiger Technikmuffel verschrien zu werden, motiviert euch diese kleine Episode aus meinem Laben ja vielleicht dazu, selber mal wieder euren alten Walkman auszugraben und längst vergessene Kassetten anzuhören. Man kann dabei nicht nur hervorragend in Erinnerungen schwelgen, sondern entdeckt unter Umständen so manche musikalische Perle, die man eigentlich schon längst aus seinem Gedächtnis gestrichen hatte. Solltet ihr euch dagegen lieber brandneuem Ohrenfutter zuwenden wollen, dann findet ihr hier in unserer quartalsmäßigen „Kurz & schmerzlos“-Rubrik vielleicht das eine oder andere potentielle Juwel, das, aus welchen Gründen auch immer, nur in einer abgespeckten Form in unserem Online-Fanzine besprochen werden konnte. Viel Spaß!

4TH TIME AROUND – „A morning prayer“ (Label: Rhinozorro Records / Finetunes)
(bc) Offensichtlich haben sich die Schweizer nach einem BOB DYLAN-Song benannt. Ungeachtet dessen spielen sie einen sehr authentisch klingenden Americana-Sound, so richtig schön mit Banjo, Mandoline und Slideguitar. Der Opener „Fall out“ ist ein kleiner Hit, mit dem sie beinahe schon TONY CAREYs „Room with a view“ Konkurrenz machen könnten, der Rest des Albums ist durchaus nett, aber auch nicht herausragend. Auf CD ist „A morning prayer“ bereits im Jahre 2007 erschienen, da die CD jedoch nur direkt über die Band zu beziehen ist, folgt in Deutschland nun Dank Rhinozorro Records die Veröffentlichung über den Vertrieb Finetunes. (5)
http://www.myspace.com/4thtimearoundband

BLOTCH – „Love & rockets“ (Label: bluNoise, VÖ 30.10.2009)
(jg) Platten auf bluNoise zeichnen sich ja nicht selten durch eine lange Spielzeit aus. Ebenso bei BLOTCH. Wobei acht Songs in einer Dreiviertelstunde nicht gerade für das allgemeine Popsong-Schema sprechen. Aber damit hat das Label von Guido Lucas ja eh nicht viel am Hut. Auch BLOTCH scheren sich einen Dreck um gängige Prinzipien, und verzichten auf Gesang, wobei die Songs durchaus Momente haben, die mich an FOALS erinnern und perfekt für den Dancefloor geeignet wären. Aber dann folgen auch wieder Stellen, wo sich die Band im Rumgejamme verstrickt und zu lange auf einer Idee herumreitet. Wenn hier alles etwas gestrafft und manche Passage gestrichen wird, würde mir das gut gefallen – auch ohne Sänger. (6)
http://www.myspace.com/blotchband

BLUENECK – „The fallen host“ (Label: Denovali Records, VÖ 10.11.2009)
(jg) BLUENECK aus Bristol machen ihre Sache wirklich gut. Die Melodien sind schön, die ruhigen Momente verträumt, die Ausbrüche impulsiv – Postrock at its best sozusagen. Aber genau da liegt auch das Problem: braucht man neben SIGUR RÓS, MOGWAI, EXPLOSIONS IN THE SKY, MÚM und etwa tausend Artgenossen wirklich noch eine weitere Band? Immerhin gibt es BLUENECK schon seit zehn Jahren. Doch selbst, wenn Innovation anders geschrieben wird – das hier ist schon schön. Entscheidet selbst! (6,5)
http://www.myspace.com/blueneck

THE BRIAN SETZER ORCHESTRA– „Songs from lonely avenue” (Label: Surfdog Records, VÖ 16.10.2009)
(mm) BRIAN SETZER ist einer der bekanntesten, wenn nicht sogar der bekannteste Rockabilly-Musiker überhaupt. Obwohl ich schon Leute getroffen habe, die diesen Namen noch nie gehört haben. Na ja, nicht jeder kann etwas mit Rockabilly und beispielsweise den STRAY CATS anfangen. Doch hier geht es nicht um Brian Setzer, Slim Jim Phantom und Lee Rockers Band, sondern um THE BRIAN SETZER ORCHESTRA, das etwas massenkompatibler ist. Zwar hört man hier Brians Rockabillywurzeln, aber nicht nur. Swing ist die zweite Musikrichtung, die er gekonnt darbietet. Alles sehr angenehm, mal wild, mal ruhig – super Hintergrundmusik und mehr. Der Mann kann einfach Musik machen. (7)
http://www.myspace.com/briansetzer

COLORBLIND – „Anywhere out of the world” (Label: Phénix Records/Radar, VÖ 30.11.2009)
(jg) Beim Recherchieren nach der myspace-Seite, schien es zunächst, als ob sich die Band aufgelöst habe, und im nächsten Moment erschrak ich wegen des HC-Gebolzes, das mich erwartete. Ups… falsche Band. Entsprechend haben die richtigen COLORBLIND ihre Seite colorblindforever genannt. Na bitte! Schön sind einige der zehn Songs und in „daylight“ und „moonlight“ eingeteilt. Zumeist bewegen sich COLORBLIND im Singer/Songwriter-Bereich, setzen akzentuiert auch so süße Instrumente wie Triangel, Klanghölzer und Glockenspiel ein. Die Produktion ist warm, die Stimme gut, aber nicht selten bewegen sich die vier Schweizer auch im allzu glatten Poprock-Bereich. Dann wird es arg langweilig, manchmal fast kitschig. Schade. (5)
http://www.myspace.com/colorblindforever

DAANTJE & THE GOLDEN HANDWERK – „Aha“ (Label: Omaha Records, jüngst erschienen)
(bc) Hinter diesem merkwürdigen Namen steckt der Stuttgarter Joachim Zimmermann. Nachdem er sich in den letzten Jahren überwiegend mit Elektrogefrickel-Projekten beschäftigt hat, besinnt er sich nun auf seine Singer/Songwriter-Qualitäten und setzt dabei überwiegend auf seine charismatische Stimme und ruhige Akustikgitarrenklänge. Und das macht er zugegebenermaßen ziemlich anständig, schafft er es doch, eine schwer zu beschreibende „Wohlfühlstimmung“ mit seinen Liedern zu verbreiten. Mit GISBERT ZU KNYPHAUSEN hat er übrigens einen prominenten Unterstützer gefunden, der nicht nur diese EP auf seinem kleinen Label Omaha Records veröffentlicht, sondern zudem auch noch das hierauf enthaltene Stück „Wer du bist“ bei seinen Konzerten covert. (6)
http://www.myspace.com/daantjeandthegoldenhandwerk

DANIEL JOHNSTON – „Is and always was“ (Label: Feraltone Records, VÖ 20.11.2009)
(jg) DANIEL JOHNSTON ist ein Sympathieträger und seine Biographie, sich allein durch seine Begeisterung für Kunst und Musik durchs Leben zu schlagen, äußerst charmant. Dabei legen ihm der Autismus und manische Depressionen immer wieder Hindernisse in den Weg, die den Durchbruch als Künstler stets gebremst haben, wenn er gerade erst in Fahrt kam. Ein Unbekannter ist DANIEL JOHNSTON schon lange nicht mehr, wobei Bands wie NIRVANA und SONIC YOUTH entscheidend dazu beigetragen haben. Trotzdem konnte ich der musikalischen Begeisterung nie so ganz folgen, was möglicherweise auch daran liegt, dass ich meine Wurzeln nicht im Indie-Rock habe. Auf „Is and always was“ wurden Johnstons Ideen mit Hilfe namhafter Musiker erstmals „professionell“ aufgenommen, und so langsam verstehe auch ich, was andere offenbar schon vor mir erkannt haben: die Schönheit der Melodien. Für mich eines der aktuellen k&s-Highlights! (7)
http://www.myspace.com/dannyjohnston

DAVID BAZAN – „Curse your branches“ (Label: One-Four-Seven-Records, VÖ 05.10.09)
(fd) Es gibt Alben, die bestechen erst auf den zweiten Höreindruck: Plötzlich entdeckt man eine neue Tiefe in der Musik und viele Details, die eine vermeintliche Mittelmäßigkeit in einen neuen Lieblingssong verwandeln. Im Gegensatz zu offensichtlichen Hits, die man schnell überhört hat, kennzeichnet solche unaufdringlichen Songs meistens eine viel längere Halbwertszeit. So kommt mir das jedenfalls manchmal vor.
„Curse your branches“ hat beides nicht so richtig. Die Platte des ehemaligen PEDRO THE LION Masterminds schwankt bedenklich zwischen Songs, die wie knapp vor der Indiehit-Synthese liegen gelassen wirken (was freilich ja auch eine Stärke sein kann – hier aber irgendwie nicht), wie zum Beispiel das melodiegetragene „Hard to be“ und Songs, die sich bedenklich in Richtung Belanglosigkeit neigen, wie zum Beispiel „When we fall“. (5)

DLGZ ROCK 5TET – „New tricks for old dogs” (Label: Start Play Records, VÖ 30.09.2009) (Start Play Records)
(mb) HA! Endlich werde ich doch belohnt für meine Bereitschaft, mich durch so viel unsinnigen Klumpatsch zu wühlen. Da erwische ich doch eine erfrischend verquere, cool und durchweg anspruchsvoll rockende Scheibe dieser französischen Band, die dazu auch noch hervorragend produziert ist. Nämlich von Herrn JOHN McENTIRE persönlich. Und was der Mann anpackt, klingt einfach immer gut – ganz gleich, ob er selbst mitspielt oder nur die Regler bedient. Erinnert an manchen Stellen etwas an die ebenfalls von ihm produzierten PIVOT, ist aber weniger elektronisch, auch Freunde von JOAN OF ARC werden voll auf ihre Kosten kommen. (7,5)
http://www.myspace.com/dlgz

EAGLE TWIN – „The unkindness of crows” (Label: Southern Lord, VÖ 16.10.2009)
(mb) Ein schwer zu verdauender Brocken, eine Mischung aus Doom, Drone, Noise und Metal. Nichts für meine Ohren, auch wenn es in diesem Bereich einige Bands gibt, die ich zumindest nicht schlecht finde. Bedingt vielleicht auch MELVINS-Fans zu empfehlen, dazu aber eigentlich nicht wirklich eigenständig genug. Keine Platte, die ich freiwillig anmachen würde. (4)
http://www.myspace.com/eagletwin

ERVING – „Lonely girl at heart” (Label: Popup Records, VÖ 13.11.2009)
(mm) In die schon fast unzählige Schar der Singer/Songwriter reit sich auch Carrie Erving ein, und eigentlich wehre ich mich auch gegen diese Musikrichtung, die einen, grob gesagt, nur mit Gitarre und Gesang unterhalten will. Doch Carrie ist wenigstens etwas kreativer, denn wir hören neben der Gitarre auch sanft elektronische Beats, Glockenspiel, Zither und Ukulelenklänge. Also mal eine verspielte Singer/Songwriterin mit einer echt guten Stimme. Trotzdem ist es Rosa-Zimmer-Mädchenmusik, die ruhig noch etwas experimentierfreudiger sein dürfte. (6)
http://www.myspace.com/carrieerving

FALL OF EFRAFA – „Inlé” (Label: Sound Devastation Records, VÖ 30.10. 2009)
(mm) Bei FALL OF EFRAFA geht es düster zur Sache, und das ist fast noch untertrieben – finster trifft es eigentlich noch eher. Es ist schon sehr spezielle Musik, die die Jungs aus Großbritannien da abliefern. Einerseits sind sie melodisch, was die instrumentalen Parts angeht, andererseits sind sie extrem brachial, und das bezieht sich auf den Gesang. Eigentlich ist diese Mischung ganz interessant, doch leider nicht besonders abwechslungsreich. Trotzdem gibt es jede Menge Sound fürs Geld, denn die sieben Tracks laufen circa 80 Minuten. Man sollte schon Bands wie zum Beispiel NEUROSIS mögen, um FALL OF EFRAFA gut zu finden. (5,5)
http://www.myspace.com/fallofefrafa

FFF – „Fernwaerme“ (Eigenregie, out now)
(mm) Ich weiß auch nicht so genau, was ich von Musik mit Samples halten soll. Ab und an mal ein geschickt eingesetztes Sample kann ja äußerst erfrischend sein, aber wenn der komplette Liedtext aus einen Sample besteht, ist das für mich fast schon etwas unkreativ. Doch glücklicherweise ist die ganze CD nicht nach diesem Muster gestrickt, es gibt auch Songs bei denen wirklich gesungen wird, und diese sind ganz ansprechend. Besonders gut haben mir die FEHLFARBEN-Gitarrenklänge gefallen. Doch obwohl ich Fan experimenteller Musik bin, haut mich der Sound nicht so ganz vom Schlitten. Deutscher Experimentalpop, der weder Fleisch noch Fisch ist. Zu welcher Gelegenheit hört man so eine Musik? (4)
http://www.myspace.com/fffernwrme

FLAIRS – „Sweat symphony” (Label: 3rd Side Records, VÖ 04.12.2009)
(jg) „Post-moderner Offbeat-orientierter Elektro-Dancepop“ klingt schon mal gut. Und im Prinzip verbindet FLAIRS auch schräge Ideen, krude Sounds und wummernde Beats gekonnt mit eingängigem Pop. Eigentlich müsste dieses Album also genau meine Baustelle sein, aber irgendwie berührt es mich keineswegs. Ganz im Gegenteil würde ich „Sweat symphony“ sogar zwischen „langweilig“ und „nervig“ einordnen. Keine Ahnung, warum. (3,5)
http://www.myspace.com/mightyflairs

FOR ARKADIA – „s/t“ (Label: Millipede Records, VÖ 30.10.2009)
(bc) Als erstes fällt diese CD durch ihr Äußeres auf: Auf der Einschweißfolie des Digipaks ist ein kleines Leporello-Faltblatt aufgeklebt, dass einem beim Stöbern im Plattenladen geradezu entgegenspringt. Gute Idee! Ebenfalls an Ideen mangelt es der Band aus Süddeutschland auch nicht in ihren, wie sie es nennen, „Dark-Punk-Indie-Wave-Pop-Songs“. Diese sind nämlich sehr vielseitig: Stellenweise noisig und dann wieder melancholisch, manchmal aber auch leicht experimentell und nicht immer gleich durchschaubar. Mal fühlt man sich etwas an INTERPOL erinnert, mal an GIRLS AGAINST BOYS oder hin und wieder auch an THE CURE. Für Freunde anspruchsvoller Indie-/Shoegaze-Musik könnte dieses Mini-Album auf alle Fälle interessant sein. (7)
http://www.myspace.com/forarkadia

FREDDY FISCHER & HIS COSMIC ROCKTIME BAND – „Tanz doch!” (Label: Sounds Of Subterrania, VÖ 23.10.2009)
(mb) Das ist mal ein komisches Ding, dieses Doppel-Album hier. Funky und cool beginnt es wie „Shaft“, um schon im nächsten Stück knietief im Schlagersumpf zu waten. Da ist man schnell mit einem vernichtenden Urteil bei der Hand, doch würde man der Band damit ganz sicher Unrecht tun. Denn alles hier ist wohl geplant, musikalisch über weite Strecken durchaus ansprechend und eigenwillig. Ein Gute-Laune-Album, das ganz tief in den Sechzigern und Siebzigern steckt, mit Schweineorgel, Synthies, Funk, Soul und eben auch Schlager, der ja hierzulande ebenfalls in jener Zeit seine Blüte erlebte. Vieles davon klingt heutzutage ein wenig albern, aber es finden sich einige sehr gute Stücke hier. (5)
http://www.myspace.com/freddyfischer

JE SUIS ANIMAL – „Self-taught magic from a book” (Label: Angular Recording Corporation, VÖ 20.11.2009)
(jg) Ja, welches Tier ist diese Band aus Oslo denn? Ich sehe auf dem Cover eine Eule, einen Hund, eine Katze und ein Kaninchen. Es fehlt ganz klar der Goldfisch. Der zählt ja bekanntlich zu den langweiligsten Tieren auf der Welt. Und wenn das Info von „verträumt und hypnotisch“ spricht, möchte ich das durch ein Adjektiv mit derselben Bedeutung ersetzen: „einschläfernd“. Wie gut, dass auch das Info von „girly harmonies“ und „für Mädchen“ spricht – dann kann mir hier kein Chauvinismus unterstellt werden. (4)
http://www.myspace.com/jesuisanimal

KENT – „Röd” (Label: RCA / Sony Music, VÖ 06.11.2009)
(jg) Au weiah, ist das die Strafe, weil ich Weihnachten nicht im Gottesdienst war? Nein, der Kirchenchor dient nur als Opener, es folgt eine bunte Mischung aus Pop und Rock, mit leichten Einflüssen aus Elektro und Wave und jeder Menge Pomp. In ihrer Heimat Schweden sind KENT schon seit mehr als zehn Jahren Helden, ihre Alben landen dort regelmäßig auf Platz eins, bleiben für bis zu 85 (!) Wochen in den Charts. Wenn man jedoch kein schwedisch spricht und mit Konsens-Poprock eher wenig anfangen kann, sind KENT nicht unbedingt zu empfehlen. (4)
http://www.myspace.com/kentsweden

KODIAK & NADJA – Split (Label: Denovali Records, VÖ 13.12.2009)
(jg) Puh, mit Drone kann ich ja so ziemlich gar nichts anfangen, und aus meiner Sicht könnte dafür mal jemand eine exemplarische Review verfassen, die man per „copy & paste“ bei jedem Album aus diesem Bereich einsetzt. KODIAK lassen 21 Minuten lang die Gitarren klingen und andere Sounds rauschen und brauchen in der Zeit so wenig Beats, dass man sie fast an zwei Händen abzählen kann. Für NADJA gilt im Prinzip dasselbe, nur dass das Rauschen weniger massiv klingt. Aber ansonsten passiert hier zwanzig Minuten lang noch weniger als bei KODIAK. Ungefähr so spannend wie das Coverartwork. (2)
http://www.myspace.com/kodiakdoom
http://www.myspace.com/nadjaluv

MAD X-RAY – „Neon” (Label: Palmo Music, VÖ 23.09.2009)
(mb) Musik, die so einfallslos ist wie der Bandname, bekommt man auf diesem Album zu hören. Klingt in den besten Momenten wie die QUEENS OF THE STONE AGE, mit dem Unterschied, dass die es immerhin auf durchschnittlich zwei gute Stücke pro Album bringen. MACH DAS AUS! (2)
http://www.myspace.com/madxray

MARIE DAHL – „Adelaide and hells bridegroom” (Label: Divine Records, VÖ 27.11.2009)
(jg) Der Name der Künstlerin klingt schon so antik – ebenso ihre Musik, die sich zwischen Chanson, Country und Kammerpop bewegt. Stets mit ernster Attitüde. Das ist stellenweise schön und verträumt, desöfteren wird man aber auch an Gesangsstudenten erinnert, und die Musik schlägt gar unangenehme Richtungen ein. Eher was für meine Eltern. (4)
http://www.myspace.com/mariedahlmariedahl

THE MONROES – „Roulette” (Label: Tocado Records, VÖ 01.10.2009)
(mm) Aus dem Land der Windmühlen und Holzschuhe kommen THE MONROES, und mit „Roulette“ präsentieren sie ihr famoses Debütalbum. Die Groninger kommen mit ihrer Mischung aus Sixties Soul, Surf und Garagepop durchgehend sehr angenehm rüber. Das liegt zum größten Teil an der bezaubernden Stimme von Josje Kobès. So kann man die Band mit ruhigem Gewissen mit den DETROIT COBRAS vergleichen. Zwar sind THE MONROES etwas poppiger als die DETROIT COBRAS, doch trotzdem sind sie in der gleichen Liga anzusiedeln. So ist das Album „Roulette“ ein kleiner melodischer Geheimtipp für Sixtiesfans und eine gute musikalische Begleitung für jede Gelegenheit. (8)
http://www.myspace.com/themonroes

NOISEFREAK – „Sick sessions” (Label: SN-Punx Records, VÖ Herbst 2009)
(mb) Na, da ist aber jemand an den richtigen Rezensenten geraten, denn Heavy Metal mag ich ja fast so gern wie Wurzelbehandlungen beim Zahnarzt. Dies hier ist dummes Gebolze mit billigen Riffs und unverständlich gegrunzten Texten, bei denen mir erst im dritten Stück auffiel, dass das ja deutsch ist, was sie da singen. So etwas sollte es nicht geben, für so etwas niemals Kunststoff zu Tonträgern verarbeitet werden. Und dass mir niemand glaubt, sie hätten einfach nur Pech gehabt, weil ich eben kein Metaller bin: ich kann deshalb sehr gut eine gute von einer schlechten Metal-Platte unterscheiden. Dies hier ist Exkrement! BAH!!! (0)
http://www.myspace.com/noisefreaksn

RONIN – „L´ultimo re” (Label: Ghost Records, VÖ: 27.11.2009)
(mm) Bei diesem Artwork, das einem wirklich ins Auge springt, denkt man an Horrorpunk oder vielleicht auch an Sachen aus der Billyrichtung. Doch weit gefehlt, RONIN bieten euch sehr ruhige und zarte Klänge, und diese werden ausschließlich instrumental dargeboten. Beim Hören beschleicht einen das Gefühl, einen Soundtrack zu lauschen. Die Scheibe würde sich auf jeden Fall gut als Filmmusik für einen traurigen Roadmovie oder einen Western eignen. Eine beschwingte und fröhliche Stimmung kommt jedenfalls nicht bei der rockig-folkigen Musik auf, aber Hintergrundbeschallung muss ja nicht immer was mit Fingerschnipsen zu tun haben, gell? (6)
http://www.myspace.com/ronintheband

RUMEN WELCO – „I never learned to raise my fist“ (Label: K&F Records, 13.11.2009)
(bc) Der aus Dresden stammenden Band RUMEN WELCO hört man ihre sächsische Herkunft nicht gerade an. Die einstige Indie-Kapelle schielt nämlich heutzutage stark in Richtung Südstaaten und präsentiert auf „I never learned to raise my fist“ verträumten Folk / Country /Americana-Sound mit schönem Männlein-Weiblein-Wechselgesang. Aufgepeppt mit unterhaltsamen Texten, die meistens abstruse Geschichten erzählen, hebt sich dieses Album erfrischend von zahlreichen anderen Veröffentlichungen dieses Genres ab und ist mit einer Flasche Rotwein zusammen der perfekte Begleiter für einen melancholischen Abend bei Kerzenschein. *schmalz* (6)
http://www.myspace.com/rumenwelco

STANFOUR – „Rise and fall“ (Label: Universal Music, VÖ 04.12.2009)
(ob) Um es kurz und knapp auf den Punkt zu bringen: ONE REPUBLIC hat funktioniert, mit STANFOUR wird reagiert. Auch wenn die Jungs aus dem höchsten Norden durchaus sympathisch, bodenständig und positiv rüberkommen. Das hier ist wirklich NDR2 zum Einschlafen. Anders als COLDPLAY oder kleinere Bands wie E FOR EXPLOSION, die auf einen ähnlich hohen männlichen Gesang und Delays & Echos setzen, schaffen STANFOUR es nie, sich abzuheben oder zu überraschen. „Wishing you well“ sollte jeder von euch schon mal gehört habe – spielt NDR2 rauf und runter (4)

STEREO TOTAL – „No controles“ (Label: Elefant Records, VÖ 08.01.2010)
(bc) Eine Art „Best of”-Album des Franco-Berliner Elektropop-Duos STEREO TOTAL auf dem spanischen Markt zu veröffentlichen, mag ja vielleicht Sinn ergeben. Aber muss man dafür den Gesang tatsächlich komplett in Spanisch aufnehmen? Zwar haben Françoise Cactus und ihr Kompagnon Brezel Göring schon immer mit verschiedenen Sprachen herumexperimentiert, und gerade diese sprachliche Vielfalt hat bedeutend zu dem ganz besonderen Charme, der das Duo stets ausgezeichnet hat, beigetragen. Doch die nun erfolgte, konsequente „Einspanisierung“ der Texte raubt den Liedern nicht nur ein Stück weit ihren ursprünglichen Charakter, sondern ist aus meiner Sicht schlicht und ergreifend überflüssig. Diese Veröffentlichung ist hierzulande höchstens für eingefleischte STEREO TOTAL-Fans interessant, wer dagegen nach einer CD sucht, die stellvertretend für das Schaffen dieser Band ist, sollte lieber zum „regulären“ Best of-Album aus dem Jahre 2007 greifen. (5)
http://www.myspace.com/stereototal

TIME TRAVELLER – „Chapters 1&2” (Label: Nordic Notes, VÖ 09.10.2009)
(mb) Oh wow, wenn man das nicht selbst gehört hat, glaubt man es wahrscheinlich gar nicht. Ein Album, das vertrieben wird von Broken Silence und dort unter dem Genre „Progressive Rock“ geführt wird. Und wie so oft weder das eine noch das andere ist. Davon hatte ich schon viele, meist aus dem Finest Noise-Hause kommend, und mit Verlaub, beinahe alle waren dermaßen fürchterlich, dass ich gar nicht daran denken mag. Und nun diese. Die setzt allem die Krone auf. Oh, ich wünschte, ich hätte hier mehr Platz, um das gebührend zu verreißen, habe ich aber nicht. Also unbedingt anhören. Und in Tränen oder herzliches Gelächter ausbrechen. Dass der Albumtitel weitere Machwerke dieser Art ankündigt, darf mit Fug und Recht als Drohung verstanden werden! (1)
http://www.myspace.com/aikatraveller

TURBOWEEKEND – „Ghost of a chance” (Label: Arista / Sony, VÖ 16.10.2009)
(vv) Hupsi, da hat doch jemand das Radio auf ffn stehen lassen, denk ich mir, als ich in der Mittagspause die TURBOWEEKEND durchhören möchte. Schnell muss ich jedoch feststellen, dass das belanglose 80er angehaucht Wave-Pop-Stück tatsächlich aus dem CD-Player kommt. Leider schaffen auch die nächsten Lieder keine Abhilfe, und so ist tatsächlich mein Apfelmüsli der Höhepunkt der nächsten halben Stunde. An sich ist die Stimme von Silas Bjerregaard schön und vor allem angenehm zurückhaltend eingespielt, die Basslines klasse und die bereits erwähnte Wave-beeinflusste Atmosphäre gut gemeint, aber zusammen wird nichts Neues oder auch nur ansatzweise Spezielles geschaffen. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich mich freuen würde, wenn das ein oder andere Stück tatsächlich im Radio liefe, aber die ganze CD werde ich so sicherlich das letzte Mal gespielt haben. (5)
http://www.myspace.com/turboweekend

V.A. – „Look out! We got soul…Sweet soul music“ (Label: Bear Family Records, VÖ 02.10.2009)
(mm) Soul ist nicht totzukriegen, und das ist auch gut so. Diese Musikrichtung, besonders der Northern Soul, ist neben dem guten alten 80er Jahre Synthie-Pop noch die tanzbarste, die es gibt. Das fanden bestimmt auch die Leute von Bear Family Records, denn nun bringen sie schon die zweite „Sweet soul music“-Reihe heraus. Auf diesem Sampler ist jedem Jahr zwischen 1961-1970 ein Song gewidmet. Neben ein paar etwas schnulzigen Songs, sind auch echte Knaller dabei, zum Beispiel MAJOR LANCE mit „Um, um, um, um, um, um“, EDWIN STARR mit „Stop her on sight (S.O.S.)“ und ARCHIE BELL & THE DRELLS mit „Tighten up“. Bei diesen Liedern brennt das Herz, und man will sofort auf den nächsten Allnighter. Eine im Großen und Ganzen sehr gelungene Zusammenstellung. (8)
http://www.bear-family.de/bear-family-distribution/bear-family-international/look-out-we-got-soul-sampler-sweet-soul-musi.html?lang=1

Bernd Cramer

Konzert-Junkie & Vinyl-Liebhaber. Schreibt über Musik, ohne zu Architektur zu tanzen.