Umwandlung musikalischer in mechanische Energie*
Bewegungen durch Mark und Stadtstraßen ziehen mich in eine passionierte Abhängigkeit, die sich aus „1977“ und heute ergänzt, verliert und mich wiederaufnimmt, bis das Nebenzimmer lieblich ertönt. Dänischer DJ und Musikproduzent Rune Reilly Kølsch eröffnet sein Debütalbum, verwandelt im Hause Kompakt Musik aus (Un-) Herkömmlichem zu (Un-)Herkömmlichem und erzeugt in mir somit Kräfte ungeahnter Weise:
Ich finde Kontraste im Ähnlichen, die so gleich zu sein scheinen, doch so unterschiedlich wiederkommen. Entlang des Verkehrs durch das Grüne und Graue, die Enge und das Freie einer Stadt erzählt mir KÖLSCH Kurzgeschichten von den Gegenübern draußen in und von der Welt, deren Sprache und Geräusche ich als Kulisse nahtlos hinzusample. „1977“ läuft rein, durch und in einem fortwährend gleichen Tempo. Zuerst abgeneigt, packt es mich ab Track Nr. 3 als einziger gesangsausgelegter erst recht. Dennoch missfällt mir die sich dahinziehende Dauer des Gesamten und ich frage mich, ob weniger Tracks es auch getan hätten. Ich halte es schwerlich gut durch. Doch höre ich auch, dass das Album den Unterschied aus den zwei Rubriken an Liedern braucht, um ein wenig Konturen zu verzeichnen. Ich entnehme der vorgelegten Reihenfolge an Tracks folgenden Versuch einer Rubrizierung: das Einfache (1) und das Emotionale (2). Die willkürlich erscheinende Verteilung dieser macht für mich mitunter das oben genannte Kontrastive aus.
1) Teils freudig, etwas verspielt und geshuffelt zeigt sich der Track „Bappedekkel“: Das Leben ist schön, alles bewegt sich, wird wirr. Ein Leben in Wiederholung ohne Stagnation, die spätestens durch den nachfolgenden Track verhindert wird. „Eiswinter“: Leicht dreckig protzend bratzender Lauf, Sprachsamples: Eine Message ohne Inhalt. Dies als Pendant eins zu eins gegenüber dem Track „Wasserschutz“ mit seiner leichteren, beswinglicheren Ausstrahlung. „Loreley“: Orgel lustig, unbekümmert, die zerhackt, verkürzt zu anderen Tempi und Rhythmen verschoben wird. „Felix“ verlässt die Oberfläche, sofern er diese in seinem Synthie-Klanggewand erreicht, alsbald wieder, so wie er aufgetreten ist. Hier verorte ich auch „Oma“ und „Opa“. Bei „Goldfisch“ scheint hinter den perkussiven Elementen, die sich sukzessiv der Energie beifügen, jemand zu schaukeln. Seine kleine Melodie bekommt jeweils für ihr erstes Erklingen von Subbässen Raum zur Vollendung gestellt: Der Leuchtefisch gegen die breite Masse.
2) In „All that matters“ kulminiert der Aufbau an Stimmung, die mich bereits stark in „Der Alte“ erwischt und geprägt hat. Textstrukturell typisch House, nur eine Zeile metrumneutral eher schleifend als Refrain, und eine Zeile als Vers/Bridge. Ich umschreibe den längsten Tracks des Albums mit „sehnsüchtiger Seele“. „Silberpfeil“ ist für mich auch wieder bedeutungstragend, Ironie durch Kopie vorheriger Melodie ab 2:30 auf sonderbaren Sound, zudem sich die vorherige Fläche fügt, sich noch mehr unisono sammelt in je seiner/ihrer Oktavlage bis Kick und Bass alles trocken nach vorne stellen. Letztlich sehnsuchtsvoll legt sich eine traurige Fläche seicht hintenan, und dies könnte laufen und könnte durchlaufen. Eine Zurückführung auf das Sonderbare und eine Kick beendet simpel diesen Track.
KÖLSCHs Kompression und Sidechaining sorgen für das Durchdringen von Clubsounds, die langen Perkussivem ihren Raum gewähren. Die Kicks sind deutlich im Tiefenbereich mit für Techno typischen Klick ausgestattet. Es erfolgt ein Spiel mit Vordergrund-Musik und Hintergrund-Atmoclub. Weißes Rauschen dient in mehreren Tracks als Eins oder als Zur-Eins-Führung. Einfache Sounds finden sich auch vielfach auf dem Album wieder, bilden ein unexperimentelles Gewand, Trackstrukturen ebenfalls unorthodox in simpler Addition ausgelegt: Nie gibt es DAS wirkliche Hoch oder EIN wirkliches Tief innerhalb eines Tracks einerseits und innerhalb des Albums andererseits, so dass ich – leicht verwundert, das zu Beginn erwähnte Ähnliche herauskristallisieren zu können – es festzuhalten wünschte: Sie haben ihren Sound als Band gefunden. Alles passt zusammen, und irgendwie sitzt der Beat, den Groove lebend, genau darin und daneben.
Ich nehme erst Abstand von der treibenden Energie und setze mich zur Ruhe, wenn im Nebenzimmer ein Akkordeon den Tag versöhnt und das grüne Gewächs in seinen fallenden Blättern dahinstirbt.
*mittels KÖLSCH-Komplex