Früher war es in Hamburg völlig normal, dass in Clubs geraucht wurde und Konzerte selten vor 22 Uhr begannen. Die Faustregel lautete: je kleiner der Laden, desto später die Stage Time – und desto dichter der Qualm. Zum Glück hat sich das geändert.
Wobei: In manchen Ecken der Stadt scheint die Zeit stillzustehen. Etwa im kleinen kmh auf Kampnagel, wo Konzerte auch heute noch gerne erst um 22 Uhr angesetzt sind. Unter der Woche ist das inzwischen ganz schön ambitioniert – zumindest, wenn man am nächsten Morgen wieder früh raus muss. Wie gut, dass Kampnagel für uns fußläufig liegt. Mit dem Rad sind’s fünf Minuten nach Hause.
Dass wir an diesem Abend überhaupt beim Eröffnungskonzert des diesjährigen „Internationalen Sommerfestivals“ gelandet sind, war eher Zufall. Hätte ich nicht kürzlich auf byte.fm einen kleinen Vorbericht zum Festival gehört – ich hätte die Band INFINITY SONG wohl gar nicht entdeckt. Dabei durfte das Geschwisterquartett aus New York das Festival eröffnen, das neben Konzerten auch Theater, Tanz und Performance bietet – drei Wochen Programm, einiges davon kostenlos. Falls ihr es noch nicht kennt: Hingehen lohnt sich. Wirklich.
Doch zurück zu INFINITY SONG. Als wir gegen zehn eintrafen, war noch nicht mal Einlass. Vor dem kleinen kmh-Saal standen nur ein paar versprengte Gestalten. Ist 22 Uhr den Hanseaten inzwischen zu spät? Schlafen schon alle – außer uns und ein paar Schlafwandlern?
Die Verzögerung hatte an diesem Abend übrigens einen konkreten Grund: Ein Verdi-Warnstreik auf dem Kampnagel-Gelände sorgte dafür, dass das Konzert erst gegen halb elf beginnen konnte. In der Zwischenzeit hatte sich das kmh allerdings doch ganz ansehnlich gefüllt.
INFINITY SONG, das sind nicht nur vier Stimmen, sondern vier leibliche Geschwister, denen das musikalische Talent offenbar in die Wiege gelegt wurde. In New York begannen sie als Straßenmusiker – entdeckt wurden sie schließlich von niemand Geringerem als JAY Z, der sie prompt unter Vertrag nahm. Was wie ein modernes Märchen klingt, zeigte sich an diesem Abend auf der Kampnagel-Bühne als eine energiegeladene, stimmlich dichte und überraschend interaktive Performance.
Begleitet von drei weiteren Musikern an Drums, Bass und Synthies, wurde schnell klar, dass hier nicht bloß eine weitere Vocal Group auftritt. Vergleiche mit THE MAMAS AND THE PAPAS, FLEETWOOD MAC, DESTINY’S CHILD oder ABBA sind groß, vielleicht sogar zu groß – und doch irgendwie stimmig. Denn INFINITY SONG gelingt es, aus diesen Koordinaten der Popgeschichte eine eigene Sprache zu formen.
Im Zentrum steht natürlich der Gesang – kein Wunder, schließlich sangen alle vier einst im Chor ihres Vaters. Doch live zeigen sie weit mehr als harmonischen A-cappella-Gesang. Zwei der Geschwister begleiten sich an der Gitarre, dazu kommen choreografierte Elemente und eine Publikumsanimation, die in Hamburg überraschend gut zündete. Von Beginn an wurde vor der Bühne getanzt, lautstark gejubelt und gefeiert. Irgendwann holte die Band sogar ZuschauerInnen mit auf die Bühne, die dort jedoch keine Scheu zeigten, sondern ordentlich performten! Wer behauptet, Hamburger Nordlichter seien steif, wurde an diesem Abend eines Besseren belehrt. Gut möglich, dass sich unter den Tanzenden auch andere KünstlerInnen des Sommerfestivals mischten – aber das blenden wir für den Moment einfach mal aus.
Insgesamt hatte das Konzert etwas sehr Familiäres, fast Intimes – wie es auch die Referenz THE MAMAS AND THE PAPAS suggeriert und die genetische Verbindung auf der Bühne ohnehin schon belegte. Und als beim vierten Song des Abends – „I want you back“ – plötzlich handgeschriebene Pappschilder mit der Botschaft „We want you back in Hamburg“ im Publikum hochgehalten wurden, war klar: Die Chancen stehen nicht schlecht, dass INFINITY SONG die Hansestadt auf der nächsten Tour erneut besuchen. Nach diesem Abend wäre es nur folgerichtig.

photo: Ibi Köster