Ach, du mein Immergut! Was habe ich mich dieses Jahr wieder auf dich gefreut. Bestes Line-Up seit 2004, schon Tage vorher beste Sonnenscheinprognosen – das gibt Rückenwind zum Festivalauftakt.
Obwohl ich die Regelung mag, das Immergut freitags und samstags stattfinden zu lassen und den Sonntag zur gemütlichen Abreise zu haben, ist es für die arbeitende Bevölkerung schon recht schwer, die ersten Bands am Freitag noch zu erwischen. The same procedure es every year – so auch dieses. OLAFUR ARNALDS und THE AUDIENCE gingen komplett an die Anreise verloren, allerdings schützte mich in diesen Fällen zumindest die Unwissenheit vor Verlustgefühl (nicht so im letzten Jahr: da hätte ich mir POLARKREIS 18 schon gerne angesehen).
Zu den gerade, meines Erachtens nach nicht ganz zu Unrecht, steil durch die Decke gehenden BLOOD RED SHOES waren wir dann aber auf dem Festivalgelände. Hier zeigte sich, was man auch vorher schon hat vermuten können: die beiden smarten Brightoner passen viel besser in den kleinen, schwitzigen Club als auf die große Festivalbühne. Sowohl was Sound, als auch Bühnenpräsenz angeht. Auf der großen Festivalbühne wirkten sie jedenfalls irgendwie verloren. Davon abgesehen aber alles andere als ein schlechtes Konzert.
Weiter ging’s mit den famosen TRIP FONTAINE im Zelt. Für mich eine der besten Bands des Immergut, die zudem mit dem kürzlich auf Redfield veröffentlichten Album „Dinosaurs in rocketships“ mit einer Platte im Rücken ins Rennen geht, die das Potenzial hat, zu einer der wichtigsten hiesigen Plattenveröffentlichungen dieses Jahres zu werden. Meine Herren, das war nicht nur richtig gut, sondern dazu obersympathisch!
Danach legte ich erstmal eine kleine Konzertpause ein, die ich mit der verzweifelten Suche nach dem leckeren Pilzpfannenstand von letztem Jahr verbrachte, leider ohne Erfolg. Und für mich, glaube ich, die einzige Enttäuschung des Festivals. JOHNOSSI nahm ich deshalb nur nebenbei war. Was ich hörte, gab mir aber auch erstmal keine weiteren Anreize, mich mehr darauf zu konzentrieren – vielleicht eine dieser Bands, die man live nur versteht, wenn man vorher die Platten lieben gelernt hat.
Die anschließenden MENOMENA nahm ich auch nicht mit, sondern genoss die herrliche Atmosphäre auf dem Festivalgelände und klinkte mich musikalisch erst wieder zu den WEAKERTHANS ein. Meine Bitte aus der Sampler-Rezension vom letzten Jahr. Danke, Herr Kemper! Ich finde, es gibt kaum eine Band, die so gut zum Immergut passt, wie die WEAKERTHANS. Und so war es dann auch wieder. Songs , die einen die Welt umarmen lassen auf einem Festival, das mit Charme und vielen netten, angenehm unprolligen Leuten glänzen kann. (Und: „Country – das dürfen nur die WEAKERTHANS“,wie Jens treffend analysierte). Das sind diese Momente auf dem Immergut, die einen verbinden mit diesem Festival und dazu führen, dass man sich im nächsten Jahr noch fast blind in Sachen Line-Up wieder eine Karte kaufen wird.
Zum krönenden Abschluss eines vielleicht einmal legendären Immergut-Tages die Band, auf die wohl die meisten gewartet hatten: THE NOTWIST. Und sie waren unglaublich. Ich muss allerdings zugeben, dass ich zu diesem Zeitpunkt schon zwei Euphorie-Bier zu viel getrunken hatte, weshalb mir eine differenziertere Betrachtung schwer fällt, aber vielleicht auch nicht unbedingt sein muss. Ein kleines Gefühl von Unterlegenheit durch meinen nicht ganz klaren Zustand in Bezug auf die Durchdachtheit der Musik kann ich allerdings nicht leugnen. Ja, ich werde mir nächstes Mal THE NOTWIST nüchtern angucken. Jens wird mir da beipflichten.
Fazit: Der Freitag – ein Festivalabend für die großen Momente im vermeintlich Kleinen! Verflixt fein! Bis auf die Pilzpfanne. (fd)
Der Freitag war rum und ließ kaum Wünsche offen. Und dass auch der Samstag ein heißer Tag werden würde, stellte die Morgensonne bereits um acht Uhr in der Früh klar. Raus aus den Zelten, Frühstück! Das ist bei gefühlten Saunatemperaturen innerhalb des Zeltes mit einem leichten Druckgefühl innerhalb des Schädels noch unmissverständlicher als eine kalte Dusche. Na gut.
Kurze Bestandaufnahme: alle da, ab an den See!
Dort blieben wir bis nachmittags und stellten uns beim Baden doch recht zimperlich an. Frieder klärte mich auf, dass es beim „Reingehen“ drei kältesensitive Stellen gäbe. Dass die Kniegelenke und Brust auch sehr empfindlich sind, hatte ich vergessen.
An das erste Alster wagten wir uns aber erst während TER HAAR. Die betrieben gegenseitige Anerkennung mit TRIP FONTAINE mittels buntem T-Shirt-Austausch und nutzten auch gleich dasselbe Schlagzeug. Sind nämlich Proberaumnachbarn seitdem letztere nach Berlin übersiedelten. Eine kleine Änderung gab es, seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte: Gesang! Der gesellt sich äußerst gut zu den zuvor instrumentellen Math-Rock-Songs und ebnete manche rhythmische Holprigkeit am Schlagzeug oder an den Loops. TER HAAR wurden im Laufe des Gigs jedenfalls immer besser, und das Publikum dankte es ihnen mit gelegentlichen „Großartig!“-Rufen. MICROSTERN spielten danach im Zelt. Sie kommen aus Rostock, klingen aber viel eher wie Schweden. Schöner Indie-Pop, gelegentlich etwas langweilig, aber meistens doch recht schön. Könnte man im Auge behalten. Das lohnt sich jedenfalls viel mehr, als JOHN GOLDTRAIN, die Zweitband des TIMID TIGER-Sängers, zu bestaunen. Immerhin waren wir gruppenintern einig wie selten, hier den schlechtesten Act des Festivals ausgemacht zu haben. Öder Old School Folk à la NEIL YOUNG und zu aller Übel noch zwei Cover-Versionen von „No diggity“ und „Macarena“. Wer braucht denn so was?
Den Schock verdauten wir mit CARTRIDGE im Hintergrund, um schließlich mit LO-FI FNK die Überraschung des Immergut zu erleben. Anmoderiert wurde, dass man sich bei der nachfolgenden Band nicht zu fein sein solle, die Tanzschuhe zu schnüren, und in der Tat übertrugen die drei Stockholmer, die aussahen wie Bänker, die ihre Anzughosen zu Hause vergessen hatten, ihre neo-wavigen Beats von Beginn an in die Beine und Hüftgelenke der Anwesenden. Elektropop vom Feinsten, nicht ganz unähnlich zu HOT CHIP und PHOENIX. Das sorgte für gute und ausgelassene Stimmung. Ansonsten sprach heute aber fast jeder von GET WELL SOON, die als nächstes im Zelt dran waren. Ein Geheimtipp, der eigentlich schon keiner mehr ist. Immerhin brachte es Herr Gropper mit dem Debüt-Album, das im Grunde ein Solo-Werk ist, in diversen namhaften Magazinen von Null auf „Album des Monats“. Und auf’s englische Glastonbury-Festival kommt man in der Regel auch nicht so schnell wie der Mannheimer. Live stellte er mit seiner Backing Band klar, dass die Lorbeeren nicht ganz zu Unrecht verteilt wurden. Epischer Breitband-Pop mit Ausflügen in Richtung ARCADE FIRE, dann wieder an NICK CAVE erinnernd, mitunter etwas arg pathetisch, nichts desto trotz sehr imposant, vielleicht sogar noch besser für große Bühnen mit entsprechender Lightshow geeignet. Die durften im Anschluss daran jedoch GIRLS IN HAWAII entern, die im heimischen Belgien mittlerweile den großen dEUS fast den Rang abgelaufen haben. Auch in Neustrelitz kamen sie gut an und waren von den Bookern im Zeitplan nach GET WELL SOON auch musikalisch nicht verkehrt platziert. FOTOS im Zelt guckte ich mir danach nur kurz an. Auf den ersten Blick zwar ganz sympathisch und mitreißend, aber beim näheren Hinsehen passiert hier leider doch nicht viel. Dass sie mich zuvor immer an FRANZ FERDINAND erinnerten, konnte ich heute zwar nicht mehr so recht nachvollziehen, aber das Etikett „Hamburger Schule“ passt trotz Umzugs in die Hansestadt nicht so ganz. Sucht ihr eigentlich noch immer einen Proberaum, Jungs?
SLUT waren heute eigentlich erst die zweite Band auf meinem persönlichen Zeitplan. Nach TER HAAR. Gute Bands habe ich zwischenzeitlich trotzdem gesehen. Und wo heute schon die eine oder andere leicht pompöse Indierock-Band ihr Können zum Besten gab, zeigten die Ingolstädter mal wieder, das sie allen anderen noch einiges voraus haben. Ich kenne jedenfalls nur wenige Bands, die so perfekt eingespielt sind wie SLUT und zu hundert Prozent wissen, was sie da gerade genau machen. Und trotzdem gefallen sie immer wieder. Wahrscheinlich erklärt diese Magie auch, wie es „Still no.1“ schafft, trotz möglicher Kritik der „Überproduktion“, auch mit Langzeitwirkung zu gefallen. Eine herrlich ausgewogene Setlist zwischen laut und leise, Rock und Melancholie, Zerbrechlichkeit und Bombast. Einfach toll! PETER LICHT schenkte ich mir, die alten Haudegen der LEMONHEADS guckte ich schon allein aus „Must-have-seen“-Gründen. Einen würdigen Abschluss des Festivals lieferte uns am Ende das „Sunday Service“-DJ-Team, und ich bin jedes Mal wieder erfreut, dass die Geschwister Ziegelmüller es einfach raushaben, stets den richtigen Ton zu treffen. Zum Tanzen gab’s zur Abwechslung eher Clubmusik und Remixe als den üblich verdächtigen Indierock, was vom Publikum wohlwollend quittiert wurde. Erstaunlich übrigens, wie lange alle Anwesenden durchhielten, denn die Sonne zeigte sich den ganzen Tag lang wirklich unerbärmlich. Aber was kann man sich Ende Mai schon besseres wünschen als ein Wochenende voller Sonnenschein, sauberer Seen und guter Livemusik? Im nächsten Jahr feiert das Immergut die Dekade. Und wir mit Euch! (jg)