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KOMMANDO SONNE-NMILCH – 07.06.2008, Hamburg (Altonale / Lessing-Tunnel)

Der Lessing-Tunnel in Hamburg-Altona ist normalerweise kein Ort, der zum Verweilen einlädt. Unter den Bahngleisen erwarten einen auf einer Länge von ca. 70 Metern vermoderte Mauersteine, kaltes Neonlicht und zentnerweise Taubenscheiße. Wenn man den Gehweg in der Mitte des Tunnels benutzt, muss man darüber hinaus ständig kleinen Pfützen ausweichen, denn selbst nach wochenlanger Trockenheit scheint es ständig aus irgendwelchen Nischen im Mauerwerk zu tropfen. Und die insgesamt vier Autospuren sorgen dafür, dass man stets von einer kleinen Abgaswolke umnebelt ist… Umso erfreulicher, wenn dieses abschreckende Beispiel zeitgenössischer Verkehrsarchitektur zum Schauplatz kultureller Ereignisse umfunktioniert wird, wie jüngst im Rahmen der Veranstaltung „Tunnelmystik“. Ein paar Rollen roter und blauer Teppichboden peppten das äußere Erscheinungsbild des erwähnten Gehwegs auf und bändigten zugleich die üblichen Wasserlachen mit einer Saugkraft, bei der jede Bounty-Haushaltsrolle vor Neid erblassen würde. Dazu wurde für eine standesgemäße Musikperformance in der Mitte des Tunnel eine Backline samt Gesangsanlage platziert, die das Publikum zu beiden Seiten hin beschallen sollte. Als Höhepunkt des Abends fungierten schließlich keine Geringeren als KOMMANDO SONNE-NMILCH um die Hamburger Punk-Ikone Jens Rachut, der sich mit farblich abgestimmter Jacke und Baseballkappe scheinbar chamäleongleich den gelblich-grauen Tunnelwänden anpassen wollte. Der Sound klang für die Gesamtumstände erstaunlich gut, wenn auch etwas eigenartig, und verlieh der Situation somit eine zusätzliche Endzeitatmosphäre. Inmitten dessen feuerten die Herrschaften ein raues, mitreißendes Punkgewitter ab und zeigten eindrucksvoll, dass sie in der deutschen Musiklandschaft nach wie vor eine absolute Ausnahmestellung genießen. Seitdem die Band auf die elektronischen Stilmittel und eingestreuten Samples von STEREO TOTAL-Mastermind Brezel Göring verzichtet, ähnelt der Sound des Kommandos zwar doch wieder ziemlich stark dem der Quasi-Vorgängerbands OMA HANS und DACKELBLUT, aber in Anbetracht der Genialität dieser aufgelösten Gruppen wird diese Tatsache wohl niemanden der Anwesenden ernsthaft gestört haben. Und selbst wenn, so ist dieser Umstand auf jeden Fall eher hinzunehmen als ein heruntergekommener Tunnel mit kaltem Neonlicht und zentnerweise Taubenscheiße.

Bernd Cramer

Konzert-Junkie & Vinyl-Liebhaber. Schreibt über Musik, ohne zu Architektur zu tanzen.