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HEADLIGHTS – Avantgard-Jazz im Vorprogramm von Indie-Pop

Es gibt Konzerte, bei denen nach zwei Tönen klar ist, dass hier etwas passiert, worüber man hinterher reden wird.
Während ich innerlich noch schwanke, ob ich mir die Vorband als unterhaltende Wartezeitverkürzung bis zum Beginn der HEADLIGHTS anschaue oder lieber meine Zeit an der Theke im Vorraum bei Gespräch und Bier überbrücke, stellt sich diese Frage nach dem ersten Song des Hamburger Duos KONSUELO nicht mehr. Eines ist gleich klar: Dass sich hier mit der Pianistin und Sängerin Lena Skolota und dem Gitarristen Henning Jungemann zwei virtuose Instrumentalisten gefunden haben, die darüber hinaus auch noch famos miteinander harmonieren.
Die eine Hälfte meiner Begleitung verlässt schon beim ersten Song den Raum.
In der Bandinfo auf der Homepage der Band lese ich am nächsten Tag, dass sich Lena Skolota „am Piano in neue Dimensionen begibt“. Ein Satz, der bei vielen Bands als Bandinfo-Blabla durchgegangen wäre, setzt ein Ausrufezeichen hinter das Erleben dieser Band am Abend zuvor: Wenn Lena sich verunsichert, schüchtern, beinahe entschuldigend in den Pausen bedankt, wähnt man während der Songs eine andere Frau auf der Bühne zu sehen. Lena drischt auf die Tasten als gebe es kein morgen mehr und singt dabei seltsam entrückt, trotzdem klar und fesselnd: Man hängt ihr an den Lippen. Das kann man nicht spielen! Das ist nicht Attitüde!
Klanggerüste, gewoben aus virtuosen, halsbrecherischen Pianoklängen, türmen sich bedrohlich vor mir auf, ehe sie im nächsten Moment von einer catchy Hookline umgehaucht werden, so als könnte man beklemmende Momente einfach dadurch lösen, mal wieder den Vorhang aufzuziehen und frische Luft reinzulassen.
Irritiert frage ich mich, was das hier eigentlich ist? Die Schublade geht bei TORI AMOS und BJÖRK auf, aber nicht wieder zu. Das hier kling jazzig, sperrig, riecht nach Klassik und ist dabei so zerstörerisch wie eine NINE INCH NAILS-Platte mit Zwischenlandung am Kopfflughafen Popstandard und gewiss mehr als die Präsentation des eigenen Könnens zweier Musikstudenten, die Gutes für ihr Ego tun wollen.
Begleitet von zwei Akustikgitarren taucht plötzlich eine Flamenco-Tänzerin in den spärlichen Zuschauerreihen auf und Lena steigt von der Bühne hinunter, um die Tanzaufforderung anzunehmen. Ich fühle mich benommen, erkenne, dass ich die ganze Zeit willenlos und ohne es gemerkt zu haben, unterwegs war. Wir machten Halt vor einer großen Tür, durch die bestimmt nicht jeder mitkommt. Trotzdem fühle ich mich seltsam angezogen, luge vorsichtig durch den Spalt und erahne Konturen, Umrisse. Plötzlich scheint der Weg bis hierher Sinn gemacht zu haben, auch wenn ich mich jetzt erschöpft fühle. Aber eher eine angenehme Erschöpfung, wie wenn man vom Wandern zurückkommt und erst jetzt merkt, wie anstrengend es war, weil einen vorher die Landschaft ringsherum abgelenkt hat. Wie bin ich hierher gekommen? Es passierte einfach so, von ganz allein. Mühsam kämpfe ich mich zurück und bin gleichzeitig froh, dort gewesen zu sein.
Eine der undankbarsten „Vorbands“, die ich in den letzten Jahren gesehen habe. Wer will danach noch auf die Bühne?

(jg) In der Tat – das Debütalbum der HEADLIGHTS hatte ich ja mit ordentlich Lob bedacht, aber sich nach einer solch extravaganten, technisch äußerst versierten Band auf die Bühne zu wagen, ist sicher kein leichtes Unterfangen. Zumal auch heute wieder eindeutig mehr Zuschauer für die Vorband anwesend waren als für den Headliner. Aber wie auch beim DELOREAN-Konzert vor gut zwei Monaten, zeigte sich das Publikum äußerst aufgeschlossen, und so freute sich am Ende auch die Hauptband über die gute Stimmung, die einem bei Indie-Konzerten ja eher selten zuteil wird. Auch wenn die HEADLIGHTS spielerisch eine Liga unter KONSUELO agierten – gerecht wurden sie ihrer Position allemal. Verstärker aufgerissen und losgelegt. Und ja! Die Stimmen von Erin und Tristan passen live genauso gut zusammen wie auf CD, und ein gutes Gespür fürs Songwriting wollte der Band aus Champaign sicherlich niemand absprechen. Denn das haben sie auf alle Fälle. Es wurden fast ausnahmslos Songs von „Kill them with kindness“ gespielt, die „Enemies“-EP blieb leider etwas außen vor. Klar, dass die Vier am Ende des Gigs nochmals auf die Bühne zitiert wurden, aber als sie auch für ein zweites Mal dorthin zurückgerufen wurden, mussten sie mit einem Schmunzeln anerkennen, dass das Publikum großartig war. Und in der Tat: die Fülle im Zuschauerraum scheint nicht immer proportional zur Stimmung zu verlaufen. Wie schön, in diesem Fall!