2002 tanzten bei BELLE AND SEBASTIAN Dorfkinder Ringelreihen auf der Bühne… TOM LIWA schwebte im Jahr 2000 vor 10.000 ungläubigen Augen… EVAN DANDO verschluckte 2003 sein Kapodaster. Das Haldern Open Air am Niederrhein war in seiner 32jährigen Geschichte immer für eine Überraschung gut. Was sollte 2015 bringen?
Mein Freund Zollger und ich nahmen den S75 ab Münster über Maria Veen und wanderten donnerstags einen guten Teil des Weges ab Bocholt – dann kam die Stimme aus dem Off: "Haldern?" … und wir fanden uns freitags am Zuweg zum Festivalgelände wieder. Irre. Die folgenden 24 Stunden sollten trocken bleiben. Dann drei Tage Regen in allen Varianten.
Haldern 2015 hielt einige musikalische Geschenke für uns bereit, hier die TOP 5:
1. KATE TEMPEST, die Entfachte, mit ihrem Sprechgesang zu elektronischem Schlagzeug und Keyboard. Cool, wenn Künstler so gar nicht cool daherkommen – you are beautiful! Kate rappt wie besessen und sagt uns, wo richtig und falsch liegen, und man ist geneigt, ihr zu glauben, auch wenn man nur die Hälfte auf die Schnelle verstehen kann. Und dann, aus der größten Anstrengung heraus, mit geschwollener Halsschlagader, sammelt sie sich und inhaliert die Spannung des Publikums, und es folgt eine neue Melodie und dann eine weitere Hüpfhymne.
2. Die Atelier-Hafenstraße-Camping-Nachbarn mit ihrem nativen Hamburger-Schule-Zuspätkommer-Geschraddel, auch bekannt als KERNSPALTUNG. Danke, danke, danke, großartig! HUND AM STRAND meets SUPERGRASS, inkl. Stunteinlagen. 2016 wird eine eigene Campingplatzbühne gezimmert, ich bringe Nägel mit.
3. VIETCONG aus Kanada, im Spiegelzelt zu später Stunde. Die eh schon raue Stimme von Matt Flegel ist an diesem Abend sehr blutig, absolut tiefblutig. Bei "Throw it away" werde ich blass vor Angst. Hier wird alles zerlegt! Postpunk, psychedelisch dargeboten, Gitarrenmeister am Werk… oh mein Gott.
4. COURTNEY BARNETT, die charmante Australierin mit lila Stimme schlägt die Gitarre so klangvoll als könne sie alleine mit ihrer Entschlossenheit Tote zum Leben erwecken. Das macht Spaß, scheiße das groovt, das wird Blues, aber wer kriegt ihn nicht manchmal, den Blues, den Blues? PJ HARVEY ruft "Hallo".
Einen klaren Verlierer gab es leider auch, da sind Zollger, Renè, sein Anwalt und ich uns einig: OLLI SCHULZ bewarb sich mit seinem Klamauk für das SPD-Kinderfest 2016 im Südpark, im Vorprogramm spielt dann wahrscheinlich der TROMMELFLOH, und anschließend stehen sie gemeinsam auf der Bühne. Ich habe eine "Prinzessin Lillifee"-CD, die ist mit ihrem PIZZICATO-FIVE-Style weitaus spannender als OLLIS aktuelles Werk. Sorry!
5. THE SAVAGES, obwohl "Silence yourself" von 2013 für mich fast unhörbar ist. Live sind sie jedoch beeindruckend: die All-Girl-Band spielt in meinen Ohren kühlen 80er Industrial-Gothic/Metal. Renè lobt die Gitarrenwände in der Tradition von Daniel Ash (BAUHAUS), der muss es wissen. Auf der Bühne sieht das nach einer Semesterarbeit der Kunstklasse aus, das Publikum hat die Vorführung aber auch dankend als Partyeinladung angenommen.
Ach ja!
2002 ereignete sich ein weiteres Haldernwunder: ich stand vor der Hauptbühne mit IAN BROWN zur blauen Stunde und beobachtete Seifenblasen gen Himmel ziehen. Und tatsächlich wollte die Eine einfach nicht zerplatzen. Mit mir verfolgten einige andere den Flug des funkelnden Kristalls und verloren ihn an den riesigen Pappeln des Halderner Reitplatzes ebenso wie ich aus den Augen. Nach dem Auftritt, die Pappeln entlang schreitend, mit neuer Perspektive in den Nachthimmel blickend, stockte mir der Atem: die Seifenblase, dieser funkelnde Kristall… dort, wo sie über die Pappeln entwischte stand nun der …VOLLMOND! Und ich war dabei! Erneuter Irrsinn.