In der Regel geht man mit einer gewissen Erwartungshaltung zu einem Konzert, und wenn man eine Band kennt, vielleicht auch schon live gesehen hat, weicht diese Erwartungshaltung meist nur geringfügig von dem folgenden Konzert ab. Ausnahmen bestätigen die Regel.
GIRLIE hatte ich bisher einmal, oder genauer gesagt, ein halbes Mal gesehen. Sie eröffneten im letzten Jahr das Alinæ Lumr-Festival und gefielen uns durchaus ganz gut. Wobei ich mich heute frage, wie ich damals einen Vergleich mit NIRVANA und Dischord ziehen konnte.
Es hatte aber noch einen anderen Grund, warum die Erwartungshaltung und meine nachträgliche Einschätzung zum Konzert im GoMokry doch leicht auseinanderweichen. Man muss dazusagen, dass uns das GoMokry bis dato komplett unbekannt war. Und das will schon was heißen, wo Bernd und ich doch wirklich regelmäßig auf Konzerte gehen und Bernd statt Groundhopping so etwas wie Club-Hopping betreibt. Soll heißen: wenn in Hamburg und Umgebung ein Konzert in einer neuen Location stattfindet, ist Bernd in der Regel der erste, der dort ist. Dabei spielt die Musik für ihn sogar nur eine untergeordnete Rolle, es geht für ihn eher darum, neue Bühnen auszuspähen.
Beim GoMokry handelt es sich um ein alternatives Wohnprojekt in der Mokrystraße in Wilhelmsburg. Unsere Vorabeinschätzung: ähnlich der Fährstraße, wo ebenfalls in unregelmäßigen Abständen Konzerte im Keller stattfinden. Ein Kumpel aus Wilhelmsburg bezeichnete das GoMokry als Hippie-Kommune, und als ich im Internet nach Infos zu dem Konzert suchte und eine Facebook-Seite des GoMokry fand, wo die letzte Aktualisierung im März 2015 stattfand, stimmte ich dem gedanklich schon zu. Angekommen in der Mokrystraße suchten wir zunächst nach dem richtigen Eingang, fanden uns kurze Zeit später in einer sympathisch alternativen Eckkneipe wieder, jedoch herrschte bei uns Verwirrung, da nirgendwo Instrumente aufgebaut waren. Die Nachfrage am Tresen ergab: „Keine Ahnung, ob hier heute ein Konzert stattfindet. Fragt am besten mal den Mann da hinten mit den langen Dreads!“ Also, tatsächlich Hippie-WG.
Doch, es findet ein Konzert statt – im Keller. Dann also her mit dem Bier, dessen Preis frei wählbar war, und erstmal die Räumlichkeiten begehen. Erster Eindruck: für ein Hippie-Wohnprojekt sahen die baulichen Veränderungen doch äußerst fachmännisch aus. Aber ob hier heute Abend was los sein würde? Man musste die Band schon kennen oder von dem Konzert wissen, um hierher zu gelangen, da waren wir uns einig.
Los ging es gegen 22 Uhr mit einer Vorband aus Kassel, deren Namen wir vergessen haben. Ist aber nicht schlimm, denn schlimm war eher die Musik. Indie-Geschrammel-Irgendwas mit einem merkwürdigen Gitarrensound, untightem Schlagzeugspiel, zwischenzeitlichen Rrrrriot Girrrrl-Vocals aus dem Megaphon, und wenn man für einen Moment dachte, schlimmer kann es jetzt nicht mehr werden, setzte eine Melodica dem Sammelsurium der schiefen Töne noch die Krone auf. Natürlich spielen die schlechtesten Bands am längsten, nach einer gefühlten Stunde war das Set schließlich vorbei, aber weil ein paar Witzbolde nach Zugabe verlangten, wurde dieser Wunsch auch prompt erfüllt. Natürlich mit Songs, die schon im regulären Set gespielt wurden.
Wir sind uns nicht ganz sicher, ob es eine Art Galgenhumor war, oder ob das Publikum im inzwischen beachtlich gut gefüllten GoMokry einfach per se gut drauf ist. Aber erstaunlicherweise war die Stimmung auch bei der Supportband schon ausgesprochen gut.
Musikalisch fast das komplette Gegenteil zur Vorband, legten GIRLIE mit äußerst präzise gespieltem, leicht vertrackten Indierock der alten Schule los. Wer bei dem Bandnamen sofort an Funpunk denkt, könnte falscher nicht liegen. Insbesondere die tollen Gitarren-Harmonien und Disharmonien hatten es mir von Beginn an angetan. Hier verstand jemand wirklich sein Werk, und selbst das dezent eingesetzte Indierock-untypische Tremolo ergab hier absolut Sinn. Musikalisch erinnerten mich GIRLIE an die alten TRAIL OF DEAD, mitunter auch an MARR, insbesondere, was den markanten Gesang betrifft. Dass sie ihre Songs oft auf sieben Minuten ausdehnen und ihnen auch die Zeit für lange Instrumentalpassagen mit Wall-of-Sound-Charakter geben, verleiht ihrer Musik stellenweise eine fast hypnotische Wirkung. Mögen GIRLIE musikalisch so gar nicht dem typischen Schrammel-Punk entsprechen, den man oft bei Kellerkonzerten hört, so kam ihr eigener Stil von Beginn an ausgesprochen gut an. Man darf gespannt sein auf das erste Full Length, das demnächst folgen soll.