Immergut 2006 – Und es gab kein Badewetter

Karina war am Samstag da: Ja, sie haben es getan. „It’s all gonna break“. Doch noch. Am Ende. Hyperventilierender, Musik gewordener Größenwahn. Abgefüllt, zugekorkt und ans Ende geklatscht auf ihrem letzten Meisterwerk zu finden und der prädestinierte Traum eines Konzert-Finales. 75 Minuten waren vorgesehen für BROKEN SOCIAL SCENE. Die wurden gnadenlos überzogen. Kann man sich schließlich auch leisten als würdiger Festival-Abschluss. Und alle standen sie am Bühnenrand und haben mit gestaunt, der Thees und die Mieze und die ganze Backstage-Bagage. Man könnte sagen, BROKEN SOCIAL SCENE waren in Spiellaune. Ja, und auch das Wort „abgefüllt“ ließe sich gewissermaßen und mit Einschränkungen wieder anbringen. Erlebt man schließlich nicht alle Tage, dass der Sänger am Ende über die Absperrung ins Publikum klettert, um mal eben alle noch Anwesenden zu umarmen! Vielleicht waren sie aber auch nur überglücklich. So oft dürfte es nämlich nicht mehr passieren, dass abtrünnige Solo-Schäfchen in die Herde zurück finden. Überhaupt muss man vom Immergut-Samstag eigentlich eher von einer Arts & Crafts-Labelnacht sprechen. Da hätten wir AMY MILLAN und JASON COLLETT, die am späten Nachmittag ihre countryfizierten Solo-Ausflüge präsentierten, wobei JASON COLLETT’s „I’ll bring the sun“ eine dreiste Lüge war. Und zu später Stunde im Zelt, direkt vor BROKEN SOCIAL SCENE: lovely FEIST. Unter erschwerten respektive abgespeckten Bedingungen, denn die Backing-Band war irgendwo zwischen Kanada und Neustrelitz hängen geblieben. Also nur FEIST, eine Elektrische und eine Loop-Maschine. Auch damit kriegt man ein bezauberndes Konzert und ein stürmisch-begeistertes Publikum hin.
Und alle tummelten sich anschließend wieder auf der Hauptbühne zum großen Familienfest. Angefangen mit „Shampoo suicide“, über „Almost crimes“ – endlich mal wieder mit FEIST am Mikro – bis hin zum nicht endenden „It’s all gonna break“, wo Andrew Whiteman doch noch weiter singt, nachdem Kevin Drew schon längst das Mikro hat fallen lassen. Apropos Kevin Drew und seine Lobeshymne auf die FOTOS, jener (ich sage mal vorsichtig) noch recht unbekannten jungen deutschen Band, die ich am frühen Nachmittag verpasst habe. Mein Vorschlag: bei so viel Begeisterung, nehmt sie doch einfach auf eurem feinen Arts & Crafts-Label unter Vertrag! Dann klappt das vielleicht auch mit der ans Herz der Welt gelegten Aufmerksamkeit.
Hatte ich schon meine grenzenlose Begeisterung hinsichtlich dieses auditiven und auch Festival-Höhepunktes erwähnt? Oder war das jetzt eh offensichtlich? Und wer übrigens weiß, warum AMY MILLAN die ganze Zeit über so geknickt war, trotz redlicher Ermunterungsbemühungen seitens der Restband, der informiere mich bitte!

Jens‘ Senf: Habe ich dem Immergut nicht im letzten Jahr noch pauschal die immergute Wetter-Garantie aufgedrückt? Jaja, den Tag nicht vor dem Abend loben, oder wie war das noch? In der ersten Nacht lag meine Decke noch in Julias Auto, und da ich nicht wusste, welches ihr Zelt war, blieb sie dort auch drinnen, in der zweiten Nacht wurde mir die Decke geklaut. Unerhört! Aber immerhin war dies der Beweis, dass man auch bei knappen 10°C nur in Klamotten überleben kann.

Aber zum Festival:

– die großartigen RADIO 4, die zwar im Laufe des NY-Wave-Hypes so langsam an Beachtung meinerseits verloren haben, aber die bei Sonnenschein unter Beweis stellten, warum ich sie auch schon auf der „Gotham!“-Tour zu recht liebte: die Herren haben den Rhythmus einfach im Blut. Ähnlich wie JAMES BROWN, nur eben ganz anders. Yeah, da steht kein Tanzbein still. Hätten von mir aus auch gern später spielen dürfen!
– die unglaublich alten FLOWERPORNOES. Wenn man sich die Musiker so anschaut, denkt man wahrlich nicht ans Immergut. Wobei man ganz klar sagen muss, dass Tom Liwa’s größter Hit immer noch „Ich will nun mal irgendwo hin“ ist – und somit verdientermaßen auf dem Introducing-Sampler gelandet ist. Damals.
– die abgefahrenen ART BRUT mit ihrem freakigen Sänger, der wie eine Kreuzung aus Eric Valentine von den NEW BOMB TURKS und Monty Python wirkte.
– die sich rückbesinnenden BLUMFELD, die mir eine wahre Freude bereiteten, als sie viele alte Hits aus „L’etat et moi“-Zeiten auspackten. Eine wahre Entschädigung, ließt ihr die Macher von Immergut doch sechs Jahre lang auf euch warten…
– die traumhaften GREGOR SAMSA – genauso schön wie im Molotow, insbesondere die Violinistin. Und diesmal spielten sie auch Songs von der EP – juhu!
– die shoegazenden MONOLOAND – teils ziemlich schön („Pimp“ ist ein absoluter Hit!), oft aber auch recht langatmig. Leider.
– die progressiven MEW – großartig, wenn der Gesang nur nicht so anstrengend wäre. Insbesondere auf Album- bzw. Konzertlänge gesehen.
– die beschissenen MIA – zum ersten Mal eine direkte Kritik ans Immergut. Nicht aus musikalischen, sondern aus politischen Gründen, da eine Stärkung des Patriotismus auch IMMER die Nazis stärkt. Pfui Spinne!

Steffen findet: Immergut, ja da war doch irgendwas. Leute super, Wetter weniger, Bands so lala. Naja, das Omas Teich-Line Up ist halt eher mein Fall. Aber positiv erwähnen muss man auf jeden Fall den riesen Unterhaltungswert und die Bünhenpräsenz von dem ART BRUT-Typen, den Enthusiasmus, gerade im Publikum, bei PALE und die Jungs von OVERKILL äh OKKERVIL RIVER, die mir vorkamen, als hätte man HOT WATER MUSIC die Gitarren geklaut und ’ne Mandoline in die Hand gedrückt (oder war es eine Ukulele?). Schade war’s, dass die großartigen Songs von TOMTE in oasianisch vorgetragen wurden, schlimm war’s, die Meute bei MIA rumspringen zu sehen (hüpf, hüpf, Finger in die Luft, dankeSCHÖN), und lustig war’s wie Jens auf der Rückfahrt emotionslos seinen Kakao rückwärts getrunken hat. Nächstes Jahr auf jeden Fall wieder. Es ist dort einfach zu muggelig.

Olli fügt an, dass es mittlerweile eigentlich kein Festival mehr ist, sondern eher ein Klassentreffen oder sowas in der Art. Es fahren jedes Jahr mehr Freunde mit hin und man trifft jedes Jahr mehr alte Bekannte wieder. Schön. Eigentlich war es egal welche Bands spielten, auch das Wetter war nicht so dramatisch, vom Sonntag Morgen mal abgesehen. Die Graupen beim Fußball rutschen zu sehen hat auch was…
Absolute Gewinner PALE, wie immer eigentlich, sind halt All-Time-Favs! Schlimm: Mitsingende Fans bei TOMTE, die alle wild durcheinander und schief sangen..
Weitere Highlights: ART BRUT, RADIO 4, OKKERVIL RIVER. Was gar nicht ging, waren die langen Umbaupausen zwischen der letzten Band im Zelt und dem DJ-Set. Kann doch nicht so schwer sein, da irgendwelche Musik anzumachen. Erst deprimieren einen PHANTOM/GHOST zu tode und dann ist Pause und nichts passiert. Dann trinke ich halt mein selbst mitgebrachtes Bier und nichts mehr auf dem Gelände.
Noch was vergessen? Bestimmt, schreibe ich dann im nächsten Jahr.