Das Reeperbahnfestival geht in diesem Jahr in die siebte Runde und ist mittlerweile zu einer festen Größe im alljährlichen Festivalprogramm geworden. Doch wer denkt, dass es ein solches Indoor-Festival nur in Hamburg gibt, hat sich getäuscht. Das Vorbild für das Reeperbahn-Festival ist das in Texas stattfindende, mehr als doppelt so große „South by Southwest“, kurz „SXSW“. Aber auch in unserem Nachbarland zur Linken findet der musikinteressierte Fan ein charmantes Indie-Festival.
In Groningen gibt es bereits seit einem Vierteljahrhundert das Eurosonic/Noorderslag-Festival, das vor allem als Talentbörse für Festival-Booker, A&Rs, Musikjournalisten und natürlich die Fans gilt. Das erklärt auch den frühen Termin, da hier bereits Anfang des Jahres entschieden wird, was im Sommer als heißer Newcomer gehandelt wird. Als Besucher hatte man in der Zeit vom 11.-14. Januar 2012 die Wahl zwischen 288 Bands auf 34 verschiedenen Bühnen, darunter befanden sich so ungewöhnliche Locations wie ein Plattenladen, eine Kaffeebar, eine Musikschule und diverse Theater.
Da wir uns erst am Donnerstag Morgen dazu entschlossen, am selben Tag in die Niederlande zu fahren, fehlte die Zeit, uns vorher ausführlich mit dem Programm auseinanderzusetzen. Ein kurzer Blick ins Programmheft zeigte, dass wir weniger als zehn Prozent der Bands kannten.
Wir starteten also im Plato, dem besten Plattenladen der Stadt. Hier hatten die Besitzer bereits am Nachmittag ein kleines Vorprogramm zusammengestellt, in dem sich die Bands für den Abend präsentieren konnten. In der Coffee Company nebenan hatte LIANNE LA HAVAS soeben ihr Soloset mit souliger Stimme und akustischer Gitarre beendet, während auf der Empore im Plattenladen noch hektisch die Instrumente zurechtgerückt wurden. Kurze Zeit später quetschten sich dort oben sechs Norweger eng zusammen, lieferten aber gleichzeitig den besten Auftritt des Tages ab. TEAM ME bedeuten poppige Melodien, wildes Getrommel und hymnenhafter mehrstimmiger Gesang à la PORT O´BRIEN. Ganz großartig.
Bevor das offizielle Konzertprogramm startete, machten wir Halt im Pannekoekschip, das als Zweimaster zwischen diversen Hausbooten liegt und die Frage aufwirft, wieso man Pfannkuchen eigentlich fast immer süß isst, obwohl sie mit Pilzen, Schinken und Käse eine ernsthafte Konkurrenz für jede Pizza darstellen. Nebenbei studierten wir das Abendprogramm und mussten dabei den Umschreibungen der Journalisten vertrauen und gleichzeitig eine effektive Routenplanung zwischen den Clubs erstellen.
Unser erster Stopp war im Simplon bei GHOSTIGITAL. „Die beste Band des isländischen Airwaves Festival“ versprach das Info, tatsächlich schallten uns sehr laute Elektrobeats mit gerapten Vocals und Crossover-ähnlichen Gitarren entgegen. Zu stumpf für den gerade erst beginnenden Abend, also nach einem Zwischenstopp bei den holländischen Rockern von DE STAAT weiter zu STILL CORNERS ins Het Paleis. Sie wurden uns von den Plattenladenbesitzern als Geheimtipp mit auf den Weg gegeben, doch tatsächlich war der Raum zu Konzertbeginn bereits eng gefüllt. Fühlte man sich zu Beginn des Konzertes noch an Synthie-Pop im Stile von AIR erinnert, kamen einem beim Einsetzen des zarten Gesangs sofort MAZZY STAR in den Sinn, bei späteren Gitarren auch mal JOY DIVISION. Definitiv Musik zum Zurücklehnen und Gedanken schweifen lassen und um bewusst zu entschleunigen, wie es derzeit ja oft empfohlen wird.
Anschließend ging es einmal quer durchs Stadtzentrum, vorbei an KRAFTCLUB, die offensichtlich gerade ein Video drehten, ins Obergeschoss von „De Spiegel”, wo die Berliner Jungs von I HEART SHARKS aufspielten. Und die Stimmung war gut. Eingängige Melodien, rhythmische Beats und geloopte Gitarren, wie man sie auch von den FOALS kennt. Ob das Publikum auch auf Deutsch mitsingen könne, war die falsche Frage von Sänger Pierre. Wobei lustig ist, dass sie es besser machten als er, der in London aufgewachsen ist.
Zum Schluss zog es uns zu BODI BILL, die ich im vergangenen Jahr zwar häufig genug gesehen hatte, aber deren Auftritt mich dennoch reizte. Inzwischen zum Quartett angewachsen, gab es auf der Bühne noch mehr Rotation und Action als man es eh schon gewohnt war. Hatte ich die Berliner zuletzt nur vor heimischem Publikum gesehen, das von Beginn an enthusiastisch mitfeierte, war es interessant zu beobachten, wie die Stimmung im Platformtheater von Song zu Song stieg. Durchaus nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass die Musik von BODI BILL für Techno zu vertrackt, für Soul zu melancholisch, und für Indie zu kühl ist. Aber das Hineinhören funktionierte und die Zugabenrufe konnten nur deshalb nicht erfüllt werden, weil der Zeitplan zu eng gesteckt war und sie bereits überzogen hatten.
Auch wenn die Nacht für viele Gäste erst richtig losging und Live-Bands nach und nach von Club-Musik abgelöst wurden, machten wir uns langsam wieder auf den Rückweg in die Heimat. Leider gab dieser eine Abend nur einen kleinen Einblick in das Eurosonic/Noorderslag-Festival, aber fest steht, dass es sich lohnt, auch über die nahegelegene Grenze zu schauen. Vor allem, wer Lust hat neue Bands zu entdecken und die kommenden Trends schon vor den anderen zu kennen.