Was soll ich sagen? Sprachlos wie immer? Aber ja. Und dabei stand bis vor ein paar Stunden nicht mal fest, ob wir überhaupt nach Bielefeld fahren. Das alte Problem: irgendwie kennt immer niemand die Bands, zu deren Konzerten ich will. Aber zumindest bringt man meinem Musikgeschmack so viel Vertrauen entgegen, dass wir schließlich doch zu viert zum einzigen Clubgig von BROKEN SOCIAL SCENE fahren. Als wir in Bielefeld ankommen, ist die Band gerade im Soundcheck, und wir entscheiden uns erst mal für „Ferdis Pizza Pinte“. Eine Pizza und keine elf Bier später stehen wir schließlich im Forum und lauschen den FOTOS. Ja, genau die Band, die schon beim Immergut gespielt hat, und von der Kevin Drew am Abend so geschwärmt hatte. Nun geben sie also auf Wunsch von BSS deren Support. Und ich kann endlich aufholen, was ich auf dem Immergut verpasst habe. Aus Hamburg, Köln und Wuppertal kommen sie und spielen just erst seit einem Dreiviertel-Jahr zusammen. Und das, was sie spielen, geht geradeaus nach vorne los mit ordentlich Schwung. Und deutschen Texten mit handfestem Inhalt für alle zwischenmenschlichen Lebenslagen. Identifikationspotenzial nennt man so was dann wohl. Wer Diskurspop und Texte mit mehreren Metaebenen braucht, der kann ja KANTE hören. Die FOTOS lassen sich dann am ehesten mit DORFDISKO oder MADSEN vergleichen. Die zehn Songs, die sie spielen, dürften dann wohl auch ihrem kompletten Reportoire entsprechen. Das Album gibt’s übrigens ab dem 29.09. Nur so als Tipp. Oder auch Empfehlung.
BROKEN SOCIAL SCENE warten standesgemäß wieder mit einigen neuen Gesichtern auf. Wer eben grad so Zeit hat in Montreal und Toronto, kommt halt mit auf Tour. So einfach ist das in einem Kollektiv. Größte Überraschung ist dabei sicherlich Jason Tait von den WEAKERTHANS, der zusammen mit Justin Peroff die Schlagzeug-Doppelbedienung gibt und ja auch schon bei den Aufnahmen zum letzten Album dabei war. Größte Überraschung bei der Songauswahl ist dagegen „Hotel“, ein Highlight der letzten Platte mit großartigem Bläserpart. Geht live allerdings etwas unter, muss ich gestehen. Der Rest der Songs ist hinlänglich bekannt im Live-Kontext. Zu meiner unerschöpflichen Freude gibt es auch wieder das wahnwitzige „It’s all gonna break“ als Zugabe. Lisa Lobsinger übernimmt die weiblichen Gesangsparts. Wie schon in Frankfurt außerordentlich hübsch und interessant (Stichwort Frisur) anzuschauen, verfügt sie doch nicht über die ausdrucksstarke Präsenz und Stimme einer FEIST oder AMY MILLAN. Bei der Gelegenheit muss man eigentlich noch mal den Veranstaltern des Immergut-Festivals danken, die die halbe Arts&Crafts-Belegschaft eingeladen hatten und somit ein unvergessliches, weil seltenes BSS-Konzert inklusive FEIST und AMY MILLAN ermöglicht haben. Aber zurück nach Bielefeld. Zwei Stunden inklusive Zugabe dauert das Set, dann kündigt die Rausschmeiß-Konservenmusik an, dass man jetzt sein Bier austrinken und nach Hause gehen kann. Will aber keiner. Wird trotzdem vehement nach einer weiteren Zugabe verlangt. Und BSS lassen sich tatsächlich hinreißen. Was dann folgt, ist eine fast halbstündige Jamsession mit sichtlicher Spielfreude, Sänger hinterm Schlagzeug, fröhlichem Instrumentetausch, Charles Spearin mit Trompete im Publikum und einer Flasche Rotwein, die Andrew Whiteman vorzugsweise alleine leer macht. Als krönenden Abschluss noch mal ein richtiger Song, gefolgt von Andrew Whiteman, der unbedingt auch noch mal singen möchte. Und Abgang.
Das Vertrauen meiner drei Mitstreiter wurde übrigens nicht enttäuscht. Jedoch kam aus der einen Ecke die Beschwerde, die Band sei so ernst gewesen, und erst in der ausladenden Zugabe hätte man ihnen ihre Spielfreude angesehen. Meine Erwiderung, dass man bei einer beispielsweise Death Metal-Band (ein zugegebenermaßen weit hergeholter Vergleich, ich weiß – aber es geht um’s Prinzip) auch keine fröhlichen, ausgelassenen Musiker erwartet und es sich hier auch nicht um irgendeine Spaßcombo handelt, wurde nicht akzeptiert. Nein, ich müsse das schon allein wegen der Objektivität der Berichterstattung erwähnen. Habe ich hiermit getan.