Spätestens seit vergangenem Jahr hat das Booze Cruise Festival seinen Platz auf der Liste der wichtigsten europäischen Indoor-Punkrock-Festivals sicher. Kein Wunder, spielen doch an mittlerweile insgesamt vier Tagen über 70 Bands in zahlreichen Locations rund um den Hamburger Hafen. Somit hieß es auch für uns in diesem Jahr wieder: Hoch die Tassen und rein ins Vergnügen!
Freitag, 07. Juni 2019
Die erste Station am Freitag war die Hafenstraße, beziehungsweise das Überquell, wo die Mädels von MOBINA GALORE zum Akustik-Set geladen hatten. Aufgrund des für Hamburger Verhältnisse geradezu unmoralisch guten Wetters fand der Gig draußen vor dem Laden statt, was in der Theorie zwar eine nette Idee war, sich in der Praxis jedoch als eher suboptimal erwies. Denn komplett unverstärkt waren die beiden Kanadierinnen lediglich in den ersten drei Reihen zu vernehmen, während der Sound für das dahinter stehende Publikum wahlweise vom Winde verweht, von trötenden Schiffen übertönt oder schlicht von den schalldämmenden Körpern der Vorderleute verschluckt wurde. Da waren GOOD FRIEND im Hafenklang schon wesentlich lauter und steigerten schon einmal die Vorfreude auf die im Anschluss auftretenden RED CITY RADIO. Der Vierer aus Oklahoma hat sich in den letzten Jahren zu einer der beliebtesten Bands in Sachen melodisch-rauem Singalong-Punkrock gemausert und dürften heute für viele Besucher der Headliner des heutigen Tages gewesen sein. Folglich platzte der Club bereits beim frühen RCR-Slot aus allen Nähten, und zu Hymnen wie „Two notes shy of an octave“ wurde kräftig gepogt, mitgegröhlt und Fäuste in den Himmel gereckt.
Während der eine oder andere vermutlich auch in der Folgezeit weiter im Hafenklang verweilte, um sich zu späterer Stunde noch den angekündigten zweiten Auftritt der Band anzuschauen, entschieden wir uns für einen Location-Wechsel und zogen nach einen kurzen Abstecher zu den im Goldenen Salon spielenden niederländischen Melodic-Punks SWEET EMPIRE schließlich weiter zum Molotow, wo die mir bislang unbekannten DEE CRACKS eine etwas schwungvollere Variante des klassischen Drei-Akkorde-Punks zum Besten gaben. Egal ob bei straighten Stücken wie „Standing on my head“ oder etwas melodischeren Songs wie „Montreal nights“ – ich muss sagen, dass mich die drei Kanadier mit ihrer Bühnenpräsenz ziemlich umgehauen haben.
Vor allem nach dem eingangs erwähnten Akustik-Gig vorm Überquell war ich umso gespannter auf die reguläre Show von MOBINA GALORE, und diesmal sollte ich nicht enttäuscht werden. Das Duo zeigte sich in Bestform und schüttelte mit „Start all over“, „Suffer“, „Nervous wreck“, „Spend my day“ oder „Vancouver“ Hit um Hit aus dem Ärmel. Natürlich war mein persönlicher Favorit „Going out alone“ ebenfalls mit von der Partie. Mein persönliches Highlight des ersten Tages. Im Anschluss wagten wir noch einen Abstecher in den Menschenzoo (der inzwischen übrigens Semtex heißt, um Irritationen zu vermeiden in diesem Bericht jedoch weiterhin Menschenzoo genannt wird, da er auch unter diesem Namen im Programm aufgeführt wurde). Dort hatten die JUKEBOX ROMANTICS ein ALKALINE TRIO-Coverset angekündigt, welchem wir jedoch nur wenige Lieder lang beiwohnten, da der überfüllte Club bei einer Luftfeuchtigkeit von gefühlten 90% dann doch eine gewisse Herausforderung für Geist und Seele darstellte. Und, um es vorweg zu nehmen – an Coverversionen sollte es in den kommenden Tagen sowieso nicht mangeln.
Samstag, 08. Juni 2019
Der zweite Booze Cruise-Tag startete für mich im Goldenen Salon, wo ich gerade noch die letzten drei Lieder von SHELLYCOAT mitbekam. Die Hamburger Band hat im letzten Jahr mit einem großartigen SAMIAM-Coverset für reichlich Furore gesorgt, weiß jedoch auch mit eigenem Material zu gefallen. Ebenso wie die im Anschluss im Hafenklang aufspielenden MODERN SAINTS, deren 2016 erschienende EP nicht nur aufgrund ihres herausragenden Artworks einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen hat. Einfach schöner Emo-Punk für Fans von JAWBREAKER oder TEXAS IS THE REASON.
Ehrlich gesagt hatte ich bei dem darauf folgenden Auftritt von CHAMBERLAIN eine volle Hütte erwartet. Stattdessen war das Hafenklang lediglich zu ca. 2/3 gefüllt, was mich anhand der Tatsache, dass sich die amerikanischen Indie-Helden zum ersten Mal seit über zwei Jahrzehnten wieder nach Europa verirrten, doch ein wenig verwunderte. Möglicherweise lag es an der frühen Uhrzeit, oder der eine oder andere wollte sich lieber den späteren Auftritt der Band anschauen… Nichtsdestotrotz merkte man CHAMBERLAIN an, dass sie verdammt viel Spaß hatten, und mit OPERATION IVYs „Unity“ gab es zwischendurch sogar einen Coversong, den man von ihnen gewiss nicht erwartet hatte. Ganz im Gegensatz zu Klassikern wie „Racing Cincinnati“, „Mountain of a heart“ oder das als Akustik-Version dargebotene „Stars in the streetlight“.
7 YEARS BAD LUCK wussten im Anschluss eine Treppe höher mit fluffigem Pop-Punk zu gefallen, wiesen im Gegenzug jedoch aufgrund der Tatsache, dass sie laut eigener Aussage extra zu diesem Konzert mit dem Flugzeug angereist sind, eine nicht allzu positive Klimabilanz auf. Thematisch passend wechselten wir einige Zeit rüber in die Sky Bar, wo mit AERIAL SALAD ein Vertreter der neuen englischen Punk-Generation auf uns wartete. Die Band aus Manchester gehört für mich zu einer der Neuentdeckungen des Festivals, schaffen sie es doch, eingängige Hooklines und Melodien mit einer typisch britischen Schnoddrigkeit zu verbinden. Ein super Auftritt!
Nach einem Abstecher zu THE RUN UP, mit denen ich trotz mehrfach erfolgter Bemühungen einfach nicht so recht warm werde, landeten wir schließlich bei ACCIDENTE, die mit ihrem melodischen Punkrock und den spanischen Texten auf Anhieb für gute Laune sorgten. Wobei man der Vollständigkeit halber erwähnen sollte, dass die Band trotz der musikalischen Leichtigkeit auch klare politische Statements von sich gibt. Der unbestrittene Abräumer an diesem Tag waren jedoch die im Anschluss spielenden AS FRIENDS RUST, die auf dem Booze Cruise ihre einzige Europa-Show bestritten. Mir selber war der Status der Band bis dato gar nicht so bewusst, doch zu Songs wie „Perfect stranglers“, „Ruffian“ oder „More than music, it´s a hairstyle“ brachen im Publikum alle Dämme. Eine Show wie aus dem Melodic-Hardcore-Bilderbuch, inklusive astreinem Pogo-Pit und dutzender Stagedives.
Quasi zum Runterkommen wollten wir den Abend eigentlich im Gun Club ausklingen lassen, wo SCOTT RITCHER ein RIHANNA-Coverset (!) zum Besten gab. Da sich jedoch mittlerweile herumgesprochen hatte, dass AS FRIENDS RUST noch eine Mystery-Show in der Sky Bar spielen, zog es uns nach einigen Liedern doch noch einmal Richtung Nobistor. Denn wer weiß schon, wann man die Band in Europa wieder zu Gesicht bekommt?
Sonntag, 09. Juni 2019
Heute sollte das Booze Cruise Festival seinem Namen alle Ehre machen, denn immerhin stand heute unter anderem die Bootstour auf dem Partyschiff MS Tonne auf dem Programm. Während einige Unentwegte bereits um 15 Uhr den Kahn zum Auftritt der MUTTNICKS enterten, begaben wir uns erst eine Stunde später zu den ARTERIALS an Bord. Wusste bereits ihr im letzten Jahr erschienenes Debüt-Album „Constructive summer“ zu gefallen, so konnten die Hamburger auch live überzeugen. Ein wenig schade hingegen, dass das zahlreiche Publikum auf dem Oberdeck zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz auf Betriebstemperatur war. Dies änderte sich allerdings spätestens bei den darauf folgenden ÜBERYOU, woran die Band selbst möglicherweise ihren Anteil hatte. Denn die Schweizer scheinen jedes Mal, wenn ich sie zu Gesicht bekomme, selber im totalen Partymodus zu sein, was man vor allem ihrem Sänger deutlich anmerkt: Die Stimme vom Vorabend noch völlig im Eimer, dafür bis in die Haarspitzen vollgepumpt mit Adrenalin und immer für eine amüsante Ansage im feinsten Schwyzerdütsch zu haben. Auch auf der MS Tonne gab die Band von der ersten Sekunde an Vollgas. Wenn man so wie wir direkt vor der Box der Gesangsanlage stand, ließ sich zwar nicht leugnen, dass es mit dem Treffen der Töne nicht immer klappte, was aber nicht wirklich dramatisch war, weil Hymnen wie „Overdrive“ oder „Make it last“ sowieso aus Dutzenden Kehlen mitgegrölt wurden. Als Coversongs hatten ÜBERYOU zudem COCK SPARRERs „Where are they now“ und „Sink, Florida, sink” von AGAINST ME! im Angebot, welches passenderweise in “Sink, Hamburg, sink” umbenannt wurde. Unabhängig davon darf der Auftritt der Eidgenossen stimmungsmäßig definitiv als eines der Highlights des diesjährigen Festivals bezeichnet werden.
Nach einer kleinen kulinarischen Stärkung ging es schließlich ins Molotow zu den PETROL GIRLS. Immer wieder nett, dem Post-Hardcore des Vierers zu lauschen, zumal sich die Band in ihren Texten und Ansagen klar pro-feministisch und antirassistisch positioniert.
Was ist es eigentlich für ein Gefühl, wenn man jahrelang mit einer Band ganze Sporthallen gefüllt hat und nun wieder „Back to the roots“-mäßig in kleinen Clubs vor 100 Leuten spielt? Diese Frage kam mir beim Auftritt von MERCI UNION im Goldenen Salon in den Sinn, denn deren Schlagzeuger Benny Horowitz hat einst u.a. bei THE GASLIGHT ANTHEM die Stöckchen geschwungen. Dabei ist das Projekt MERCI UNION musikalisch dabei gar nicht mal soweit von einem Album wie „American slang“ entfernt, denn Lieder wie „Yound dionysians“ versprechen melancholische Rock-Musik mit deutlichem BRUCE SPRINGSTEEN-Einschlag. Ein echt guter Auftritt in einem leider viel zu kleinen Rahmen.
Zu PRIMETIME FAILURE in den Menschenzoo bin ich eigentlich nur gegangen, weil ein Bekannter dort unbedingt hin wollte. Ich selber habe die Band zuletzt bereits mehrmals im Vorprogramm irgendwelcher anderen Acts gesehen und konnte mich für ihren stark in den 90er Jahren geprägten Pop-Punk bislang nicht so richtig erwärmen. Keine Ahnung woran es lag, aber diesmal konnten sie mich tatsächlich überzeugen. Der Laden war proppevoll, das Publikum ging ab wie ein Zäpfchen, und auch die Band selbst sprach von ihrem besten Gig bisher.
Doch der Abend sollte noch zwei weitere Leckerbissen für uns bereithalten: Im Überquell spielten zunächst HELL AND BACK unter dem Motto „Free College Radio Gainesville“ ein Coverset aus amerikanischen Pop-Punk- und Melodycore-Klassikern, wobei besonders „True believers“ von den BOUNCING SOULS den Nerv der Zuschauer traf. Und im Anschluss bretterten die SEWER RATS ein erstklassiges RANCID-Coverset runter, wobei meiner Erinnerung nach fast ausschließlich Songs des „…And out come the wolves“-Albums wie etwa „Roots radicals“, „Olympia WA“ und natürlich „Time bomb“ zum Zuge kamen. Very nice!
Montag, 10. Juni 2019
Der Pfingstmontag stellte den vierten und letzten Tag des diesjährigen Booze Cruise Festivals dar. Zunächst stand eine kleine Hafenrundfahrt auf dem Programm: Auf das MS Hedi gab sich zunächst JASON GUY SMILEY die Ehre und verzückte das Publikum in familiärer Atmosphäre vor allem mit – wie könnte es auch anders sein – Coversongs von Bands wie GREEN DAY oder THE MENZINGERS. Im Anschluss gab er die Gitarre dann an AS FRIENDS RUST-Gitarristen KALEB STEWART weiter, während der Kapitän zur Feier des Tages eine extra schöne Route über die Ellerholzschleuse wählte und somit selbst den Hedi-erfahrenen Hamburgern etwas Besonderes bot.
Mit den im Molotow spielenden WESTERN SETTINGS bog das Festival schließlich auf seine Zielgrade ein. Bisher kannte ich die Band aus San Diego nur vom Namen her und fand ihren melodischen Midtempo-Punkrock zunächst zwar etwas unspektakulär, doch je länger man ihnen zuhörte, desto mehr blieben Songs wie „Carl´s concern“ im Ohr hängen. Das Grande Finale an diesem Abend boten jedoch die HOT SNAKES, die anschließend einen würdigen Abschluss des Booze Cruise 2019 sorgten. Oder was meint unser HOT SNAKES-Experte Jens dazu?
(jg) Die HOT SNAKES haben bei mir eh ein Stein im Brett, und ihr letztes Konzert im Molotow vor acht Monaten lag noch gar nicht allzu lange zurück. Natürlich war die Stimmung damals vor ausverkauftem Haus noch etwas besser als im Vergleich dazu heute, wo sie als letzter Slot das viertägige Festival quasi beendeten. Zwar schauten noch recht viele müde Gesichter in das Konzert rein, vielleicht war es die Erschöpfung oder aber der doch sehr laute kraftvolle Sound, der viele Festival-Besucher im Laufe des Sets nach Hause trieb. Als das Molotow schließlich nur noch knapp halb gefüllt war, outeten sich die Übriggebliebenen jedoch als Hardcore-Fans, die die Refrains mitgrölten und die Fäuste nach oben reckten. Ein bisschen fielen die HOT SNAKES mit ihrem Post-Hardcore-Punk-irgendwas-Sound tatsächlich aus dem Rahmen, Kollege Bernd meinte während des Konzertes auch Einflüsse aus dem Stoner-Rock und von AC/DC auszumachen. Meinetwegen. Ich wiederum meinte, in ihrem Set ein BRUCE SPRINGSTEEN-Cover erkannt zu haben. Kann das sein? Und wer war eigentlich der neue Mann am Bass? Gar Wood jedenfalls nicht. Kann es außerdem sein, dass wir ND aka Andy Stamets von ROCKET FROM THE CRYPT als Livemischer und Hintergrund-Keyboarder erkannt haben? Fragen über Fragen, aber für mich mal wieder eine unglaublich gute und zudem noch immer sehr lässige Band, die bitte, bitte noch lange weiter musizieren soll. Und nun aber wirklich ab ins Bett!