Nach diversen Singles und EPs ist am 10.05.24 ihr Debütalbum „Postindustrial hometown blues“ erschienen, das die beiden Briten von BIG SPECIAL direkt in so manche „Album des Monats“, „Schönheit der Ausgabe“ und sonstige Rankings katapultierte. Das überraschte uns nicht, konnten sie uns doch bereits beim Reeperbahn-Festival 2023 im vollkommen überfüllten Karatekeller des Molotows schon restlos begeistern.
Grund genug also, um mit Sänger Joe Hicklin über ihren ersten Longplayer, das Leben in der Arbeitermetropole Birmingham und diverse andere Dinge zu sprechen, die sie auf ihrem Debüt thematisieren. Ein Debütalbum, das nun endlich erschienen ist, nachdem Joe und Schlagzeuger Cal bereits seit 16 Jahren zusammen und getrennt voreinander Musik machen, aber noch nichts annähernd auf diesem Level, wie Joe nebenbei erwähnte. Dabei hätte ich Joe kaum wiedererkannt, trug er auf dem Reeperbahnfestival doch noch einen 3mm-Kurzhaarschnitt und keine Brille.
Hey Joe! Du hast Dich seit dem Reeperbahn-Festival optisch aber ganz schön verändert!
Nice to meet you, Jens! Ach ja, ich hatte keine Lust, meine Haare zu schneiden. Sie sind nun etwas länger.
Ich habe Euch beim Reeperbahn-Festival im kleinen Karate-Keller gesehen. Was für ein Auftritt!
Ah, ja, das war ein tolles Konzert. Hamburg hat uns gefallen! Es war unser erster Gig in Deutschland und eigentlich war es für uns noch zu früh, ins Ausland zu gehen. Auf dem Reeperbahn-Festival haben so viele gute Bands gespielt, so dass wir nur mit ein paar Leuten gerechnet hätten. Umso überraschter waren wir, dass der Keller so voll war. Ich hoffe, dass wir in diesem Jahr noch mal wiederkommen.
Herzlichen Glückwünsch übrigens zu Eurem Debüt, das im Mai erscheint. Bisher habt Ihr ja nur Singles veröffentlicht. Hat sich die Aufmerksamkeit seitens der Presse seitdem geändert
Ja, wir haben es endlich geschafft! Die Platte war ein wichtiges Statement, und ich kann das Release kaum erwarten. Wir hatten von Anfang an den Plan, all sie Singles mit einer richtigen Tracklist als Album herauszubringen. Aber Du kennst ja das Spiel. Ich bin froh, dass wir am Ende das Albumrelease nicht aus der Hand gegeben haben. Auf der Platte sind übrigens auch noch viele bisher unveröffentlichten Stücke drauf. Es stimmt – man wird erst richtig als Band wahrgenommen, wenn man ein Album fertig hat.
Du sprachst es gerade schon an: bei Eurem Debüt handelt es sich um ein ganz schön langes Album mit ziemlich vielen Songs. Da hättet theoretisch auch gleich zwei Alben veröffentlichen können.
Du hast Recht. Es sind insgesamt 15 Songs mit einer Spielzeit von etwa 47 Minuten. Einige davon sind allerdings nur kurze Interludes und Beats. Wir wollten bei dem Album einfach alles integrieren und trotzdem verhindern, dass es eine Stunde lang wird.
Trotzdem ungewöhnlich, wo Alben inzwischen selten die Marke von einer halben Stunde kratzen.
Das stimmt. Ich mag durchaus auch kurze Alben. Aber wir wollten eine Geschichte mit Aufs und Abs und einer gewissen Dynamik erzählen, in der ein gewisser Erzählfluss entsteht, vergleichbar mit einem Film. Ich wollte vermeiden, dass die Songs wahllos aneinandergereiht werden.
Du hast auf dem Album tatsächlich auch inhaltlich einiges zu erzählen. Es geht um mentale Probleme, Menschenrechte, die junge Arbeiterklasse. Nicht gerade die einfachsten Themen, die Du da ansprichst.
Es gab nie den Vorsatz, eine politische Band sein zu wollen, die bestimmte Themen anspricht. Natürlich gibt es wichtige Künstler, die uns inspiriert haben. Aber manche Themen beschäftigen uns einfach, und dann will ich auch darüber singen. Manchmal sind es nur Beobachtungen der unmittelbaren Umgebung oder Gedanken über die Vergangenheit in der Gegend, in der ich lebe. Dann muss man nur noch ein wenig kreativ werden und sich eine Art und Weise überlegen, wie man das künstlerisch umsetzt. Hauptsache, es fühlt sich gut an, man ist ehrlich und bleibt dabei glaubhaft.
Hast Du Deine Gedanken bereits vor der Band aufgeschrieben?
Ich setze mich nicht mit der Absicht hin, einen Song zu schreiben. Ich halte Gedanken für mich schriftlich fest, und aus den verschiedenen Notizen ergeben sich dann die Songtexte. Ich bin kein bedeutsamer Autor, der großartig redigiert, umstellt und neu editiert. Manchmal kommt dabei auch etwas Unerwartetes heraus. Es gibt Zeiten, in denen es flüssig läuft und Tage, an denen ich nicht schreiben kann. So ist es nun mal. Sobald man eine Routine entwickelt, sollte man sie lieber gleich wieder verwerfen.
Aber es scheint mir schon ein Anliegen von Dir zu sein, über ernste Themen zu singen und als ernstzunehmende Band wahrgenommen zu werden.
Wichtiger ist mir die Authentizität. Einige Themen sind zwar düster, aber deshalb haben wir auch ein paar lebhaftere, aufmunternde Parts eingebaut. Es geht um Emotionen, aber wir wollen keine depressive Musik machen und in Finsternis schwelgen. Es gibt auch eine lustige Seite an uns, selbst wenn es sich um schwarzen Humor handeln mag. Wir nehmen unsere Musik schon ernst und geben unser Bestes, aber man sollte das Ganze auch nicht zu verkopft angehen. It’s dark, but it’s funny!
Ich habe Eure Show im Molotow auch eher lebhaft als depressiv in Erinnerung. Kann es auch mit Deiner speziellen Art zu singen zusammenhängen? In den Reviews las ich so ziemlich alles von Spoken Word, über soulig, bluesig, wild, gerappt, Kirchenchor, dringlich bis hin zu verdammt catchy.
Ich denke, da fließt alles ein, womit ich aufgewachsen bin. Ich habe gerne Soulmusik, aber auch eine Million andere Musikrichtungen gehört. Paul Rogers war mit FREE und BAD COMPANY einer meiner wichtigsten Einflüsse, und ich liebe seine Stimme noch heute. Oder JEFF BUCKLEY und NINA SIMONE. Ich habe ständig zu meiner Lieblingsmusik mitgesungen. Das hat sicher meine Stimme trainiert.
Deine Wurzeln liegen also gar nicht unbedingt bei Bands wie IDLES und SLEAFORD MODS, mit denen Ihr ja auch gerne verglichen werdet?
Oh, nein! Um ehrlich zu sein, hat mich das viel weniger beeinflusst. Dann schon eher Blues und Folk, was ja wiederum auch in Punkmusik einfließt. Punk und HipHop kam erst im zweiten Schritt hinzu, als andere Leute musikalisch schon festgelegt waren. Ich glaube, ich bin einfach mit einem breiten Spektrum an Musik aufgewachsen, und so hat es eine Weile gedauert, bis ich meinen Stil und mein Selbstvertrauen aufgebaut habe.
Diese Stilvielfalt gibt Euch nun aber auch mehr Möglichkeiten. Ein Booker kann Euch mit einem HipHop-Act, einer Punkband, eigentlich fast mit jeglichem Stil zusammentun. Was wäre denn Eure Lieblingsband, mit der Ihr gern zusammenspielen würdet?
Puh, da gibt es viele. Aber mir fallen zwei sehr gegensätzliche Künstler ein. Zum einen wären da LANKUM, eine irische Band mit Einflüssen aus Traditional Irish Folk, Drone und Metal. Verdammt genial! Auf der anderen Seite ein Underground-Rapper aus New York, namens BILLY WOODS. Musikalisch sehr interessant und einzigartig. Er ist meiner Meinung nach derzeit einer der besten Rapper weltweit. Aber die Support-Shows für unsere Helden SLEAFORD MODS waren natürlich auch großartig – immer wieder gerne!
Wann und wie fiel eigentlich die Entscheidung, nur zu zweit zu musizieren anstatt mit einer Band?
In der letzten Zeit ist es ja nicht mehr ganz so ungewöhnlich, zu zweit zu musizieren. Abgesehen davon ist es auch viel schwieriger und teuer geworden, mit einer ganzen Band zu touren. Cal und ich fühlen uns sehr wohl zusammen, wir müssen uns in der Kommunikation keine Gedanken um unsere Egos machen. Seit wir uns kennengelernt haben, hatten wir beim Musizieren immer eine enge Verbindung. Wenn man zusammen Musik macht, muss man ja auch das ganze Drumherum, also Familienleben, Job usw. koordinieren. Das macht es zu zweit wesentlich einfacher. Abgesehen davon haben wir die Musik zu zweit entwickelt und unseren Sound gefunden. Warum sollten wir dann für die Tour eine Live-Band zusammenstellen und so tun, als ob die Songs im Proberaum entstanden wären? Da müssen wir besser schauen, wie wir zu zweit einen Mittelweg zwischen dem Sound auf dem Album und der Bühne finden.
Ihr schreibt Eure Songs also im Home-Recording bzw. am Notebook?
Wir beide mögen sehr gerne jammen und improvisieren. Diese Jams nehmen wir auf, verwenden daraus Loops, bearbeiten sie über Logic – wobei ich noch nicht mal richtig Ahnung habe, wie man Logic benutzt. So gestaltet sich der Prozess des Songwritings recht spielerisch experimentell, wobei uns die Software mit der Veränderung der Sounds und Loops ungemein hilft. Dieser kreative Part macht wirklich Spaß. Wohingegen unsere Auftritte aufgrund der Limitierungen sehr strukturiert sind.
Und wie geht es nun weiter?
Wir arbeiten schon an neuen Demos und an Material für ein zweites Album. Morgen geht aber unsere UK-Tour los und im Mai folgt dann für einen Monat eine Tour durch Irland, die Niederlande, Frankreich, Spanien usw. auch mit einigen Festivals. Und dann müssen wir das Album noch ein bisschen bekannt machen.
In der Zwischenzeit sind noch einige Shows mit THE PIXIES und weitere Festivals und Konzerte quer durch Europa hinzugekommen. Bleibt zu hoffen, dass BIG SPECIAL auch auf ihrer kommenden Deutschland-Tour wieder in Hamburg einen Stopp einlegen.