Ich gebe zu, dass es durchaus herausfordernd ist, über Musik zu schreiben, die man selbst nicht einordnen kann. Schubladendenken hat auch seine Vorteile. Wie wir alle gelernt haben, ist das ein ganz guter Helfer, um die Komplexität unserer Umgebung einigermaßen in den Griff zu bekommen und sich vor einer Reizüberflutung zu schützen.
Nun kommt ATTILIO NOVELLINO daher und haut mir – jetzt mache ich doch mal ein paar Schubladen auf – einen Mix aus Score, Avantgarde und Elektrowand um die Ohren. Für Postrock zu ruhig, für Avantgarde zu struktiert und für einen Score fehlt der Film. Elektro bleibt, aber auch der drängt sich nicht in den Vordergrund, sondern beschallt auf eine sanfte, fast unauffällige Art und Weise.
Dezent, aber bestimmt wühlt sich ATTILIO NOVELLINO durch die Klangvielfalt dessen, was musikalisch irgendwie möglich ist und verliert dabei nicht seinen Pfad. „Through glass“ ist ein musikalisches Experiment mit Konzept. Hintergrund ist der Versuch, den Effekt, den durch Glas brechendes Licht hat, in Klänge, Töne und Melodien umzuwandeln. Was ATTILIO NOVELLINO uns hier bietet, ist eine spannende, wenn auch sehr aufmerksamkeitsfordernde Synthese aus Klang und Kunst, die jenseits von konventioneller Musik steht und sich dem Hörer als Reise in die Kraft der Vorstellung bietet.
NOVELLINO ist ein Klangkünstler durch und durch. 1983 in Italien geboren, verschrieb er sich bereits in seinen ersten Projekten der elektronischen Ambient-Musik. Interessant ist dies allemal, allerdings erfordert „Through glass“ vom Hörer viel: die experimentelle Offenheit und das bewusste Zuhören. Damit kristallisiert sich das neueste Release vom Wiener Label Valeot Records schnell zu einem anspruchsvollen Liebhaber-Album heraus, welches für den alltäglichen Musikgenuss zwar etwas zu experimentell ist, aber für den besonderen Moment ein Schmankerl in der hauseigenen Musikbibliothek.