Es gibt Bands, die man zwar sehr zu schätzen weiß, deren Auflösungsbekundungen man am Ende aller Tage aber dennoch relativ gefasst zur Kenntnis nimmt. Dann ist das Kapitel halt beendet, die letzte Platte war vielleicht sowieso nicht mehr so gelungen wie ihre Vorgänger, und überhaupt kann man nun darauf gespannt sein, wie sich die ehemaligen Mitglieder in Zukunft in anderen Projekten betätigen. Doch auf der anderen Seite gibt es auch Gruppen, bei der einen eine entsprechende Meldung über das Ende der Band regelrecht schockiert. So wie mich im Fall von FRAU DOKTOR.
Über viele Jahre hinweg hat mich diese Ska-Band aus Wiesbaden durch mein Leben begleitet, und auch wenn ihre Alben in den letzten Jahren zugegebenermaßen nur noch unregelmäßig den Weg in meinen CD-Player gefunden haben, so verbinde ich mit ihnen eine Fülle an kleinen Anekdoten und Erinnerungen. Etwa daran, wie ich vor gut zehn Jahren einfach mal auf gut Glück ihr Debütalbum „Muss!“ beim Mailorder meines Vertrauens mitbestellt habe und es nach dem ersten Durchhören kaum erwarten konnte, meinen Ska-affinen Kumpels von dieser großartigen Neuentdeckung vorzuschwärmen. Oder wie ein Freund und ich auf einem Hamburg-Konzert vor einigen Jahren unser letztes Geld zusammenschmeißen mussten, damit wir uns am Merchstand den Nachfolger „Dauercamper“ leisten konnten und im Anschluss noch wochenlang darüber stritten, wer von uns beiden denn nun die Original-CD bekommt und wer mit einer gebrannten Kopie unserer Neuerwerbung abgespeist wird. Und dann war da noch der Abend im Jahre 2005 nach einem FRAU DOKTOR-Auftritt beim Stadtfest in Hattingen, der ausgesprochen feuchtfröhlich am Kickertisch des dortigen Jugendzentrums endete und bei dem die werten Frau Doktoren eindeutig unter Beweis stellten, dass sie auch menschlich gesehen in der Kategorie „Netten ihre Söhne“ bestens aufgehoben sind. Zwar alles nur ein paar kleine, auf den ersten Blick unbedeutende Erinnerungen, doch ich wette, jeder von euch hat auch eine oder mehrere Bands, mit denen er ähnliche Geschichten verbindet und mit denen er sich aus derartigen Gründen wesentlich enger verbunden fühlt als mit irgendeiner x-beliebigen, anonymen MySpace-Entdeckung…
Doch auch völlig unabhängig von meiner persönlichen Gefühlsduselei: Kaum eine andere Band hat es dermaßen verstanden, auf absolut souveräne Weise deutschsprachigen Ska mit Soul und einer Prise Punkrock zu einem ebenso stimmigen wie anspruchsvollen Gesamtsound zu verbinden. Und nun soll das Kapitel FRAU DOKTOR tatsächlich vorbei sein? Scheint so, denn nach 13 Jahren Bandbestehen geht es im Herbst auf Abschiedstour. Doch sie gehen nicht mit leeren Händen, denn im Gepäck haben sie „Grenzen der Gemütlichkeit“, eine Art Best Of-Album, welches zusätzlich fünf neue bzw. unveröffentlichte Songs enthält, von denen mir das Stück „Hate list“ geradezu aus dem Herzen spricht und sich direkt in die Top Five meiner persönlichen FRAU DOKTOR-Playlist katapultiert. Hits wie „Schuld ist sie“, „Wer mich leiden kann, kommt mit“, „Auf dem Weg in die Stadt“ oder „Alter Freund“ sind selbstredend ebenso vertreten wie das ROCKO SCHAMONI-Cover „Sex, Musik & Prügeleien“ und machen dieses Album zu einer durchaus gelungenen Retrospektive, die selbst darüber hinwegtrösten kann, dass der eingefleischte Fan bereits einen Großteil der hierauf enthaltenen Lieder sein Eigen nennen dürfte. Wie heißt es so schön in „Alte Männer“: „Alles, was mir noch bleibt, ist die Erinnerung an all die wunderbaren Tage, die ich wie Perlen an einer Schnur um mein Handgelenk trage.“. Ein würdiger Abschiedsgruß, auch wenn die Lücke, die FRAU DOKTOR in der deutschen Ska-Landschaft hinterlassen, so schnell nicht zu schließen sein wird.