Man bedenkt ja nicht die Folgen eines Gewinnes. Zum Beispiel: wie komme ich heute noch mal eben von Göttingen nach Berlin hin und zurück, wenn das einzige Verkehrsmittel im eigenen Besitz ein rostiges Fahrrad ist? Also mal freundlicherweise ein Auto ausgeliehen, die begeisterungsfähige Freundin hinters Steuer geklemmt und ab nach Berlin zum Flughafen Tempelhof. Präzise Informationspolitik geht allerdings anders, denn wer schon mal das Tempelhofer Flughafengebäude live und in nächtlichen Grautönen gesehen hat, der weiß: das ist ein bisschen größer. Die Veranstaltung findet dann aber in Hangar 2 statt, wie wir herausfinden. Dass wir für den Shuttle-Verkehr zwischen Parkplatz und dem Ort des Geschehens nicht wichtig genug sind, finden wir ebenfalls heraus. Aber rekapitulieren wir doch zunächst noch einmal, warum wir heute überhaupt hier sind. Die Volkswagen AG feiert die Weltpremiere der Studie IROC. Bei der Studie handelt es sich übrigens um einen Sportwagen. Dem Anlass entsprechend tragen die Anwesenden entweder Anzüge, Hochhackige und Designerkostümchen oder Presseausweis und Kamera. Zumindest sind sie alle wohl sehr wichtig. Und da Volkswagen offensichtlich nicht den Anschluss an die Jugendkultur und Autokäufer von morgen verpassen will, leistet man sich einen Auftritt von MANDO DIAO. Das passende Publikum wurde über Verlosungsaktionen rekrutiert, so auch wir, die dank INTRO hier sind. Dass das heute ein Event ganz anderen Kalibers ist, merken wir schon beim Einlass. Statt der üblichen Stoffarmbändchen, wie man sie von Festivals kennt, gibt es prollige Lederarmbänder mit fetten silbernen I-R-O-C Lettern. Im Gegensatz zu den wichtigen Leuten mit grünen Armbändern, bekommt das gemeine Fußvolk schwarze Armbänder und wird erst um 22 Uhr rein gelassen – nach dem offiziellen Teil. Grün und schwarz, genauer gesagt „viperngrün metallic“ und „dunkles Karbon“, sind im übrigen die Farben des Abends, Ton in Ton mit der Studie. So ist der gesamte Saal abgedunkelt in Schwarz getaucht mit grellgrünen Lichteffekten ringsum. Am gegenüberliegenden Ende steht die Studie, dicht umdrängt von wichtigen Anzugträgern. Den exquisiten Cateringservice können wir gar nicht richtig auskosten, da wir leider nämlich gerade noch beim Klassenfeind McDonald’s waren. Dafür gibt es erst mal einen Prosecco aus der Dose. Ok, Dosenbier gleich Penner, Dosenprosecco gleich ultimatives Hipstertum? Verdrehte Schickeriawelt. Dosenbier gibt es übrigens nicht, nur Mädchenbier in Flaschen. Und wenn man sein Getränk aus Versehen mal verlegt hat, holt man sich einfach ein neues. Und ein leckeres Häppchen noch dazu. Solche Veranstaltungen der Automobilindustrie haben durchaus was für sich. Echte Prominenz gibt es auch zu sehen. Sarah Kuttner mitsamt Bela B., Peter Lohmeyer und Thees Of-Tomte-Fame Uhlmann. Nur die Bühne fehlt. Ratlosigkeit. Bis kurz nach 23 Uhr. Dann kündet ein grell roter MANDO DIAO Leuchtdioden-Schriftzug an, dass es jetzt wohl endlich mal los geht. Tja und die Bühne, die wird mal locker von der Decke herab gesenkt inklusive Band. Die erste Reihe wird von Kameramännern in Beschlag genommen. In der zweiten Reihe darf der Fan stehen. Aber bitte vorsichtig tanzen, sonst ruckelt man womöglich noch den Kameramann an. Schwitziges Gedrängel, Mitsingen bis zur Heiserkeit und umher wirbelnde Arme und Beine, wie man es von einem MANDO DIAO-Konzert erwartet, gibt es nicht. Im Gegenteil, blickt man sich um, wirkt die Szenerie eher steif, und man befürchtet einen ziemlich nüchternen Abend. Was nun auch wieder nicht wirklich verwunderlich ist, bei vielleicht gerade mal 100 Leuten, die nur wegen MANDO DIAO hier sind und geschätzten verbliebenen 500 Anzugträgern, die wegen eines Autos hier sind. Man könnte jetzt sowieso noch eine Diskussion über Käuflichkeit und Authentizität anfangen, aber wir freuen uns lieber über die unerwartete Möglichkeit, MANDO DIAO in ungewöhnlichem Rahmen und für lau sehen zu können. In der Mitte des Sets schaffen sie es dann doch noch, mit „God knows“ und „Sheepdog“ den Mob zu mobilisieren und in den ersten Reihen wird es endlich interessant. Aber, nochmals der dezente Hinweis von einem Verantwortlichen: bitte nicht allzu wild tanzen! Wir sind hier schließlich nicht auf einem Rockkonzert, sondern bei der Weltpremiere eines wahnsinnig tollen Autos. Ja klar, ähm, tut uns furchtbar leid. Auf der Bühne gibt es Altes, noch Älteres und Neues, das aber ganz prima zum Alten passt. Das Neue, „Ode to ochrasy“, erscheint immerhin genau am nächsten Tag. Ja, was für ein Zufall. Souverän, den gegebenen Umständen entsprechend und nach einer Stunde ist alles schon wieder vorbei. Keine Chance auf Verlängerung, die Bühne verschwindet bereits samt Band in Richtung Deckenkonstruktion. Dafür legt nahtlos anknüpfend ein sicherlich unheimlich bekannter DJ hinter einem Vorhang aus Leuchtdioden House-Musik auf. Wir hingegen genießen noch ein paar Häppchen, die eine oder andere Dessert-Kreation, die von sehr netten jungen Damen durch die Gegend getragen werden, und verlassen schließlich das Etablissement, um uns wieder auf den Weg in die heimatliche Provinz Göttingen zu machen. Ein abgefahrener Abend. In jeder Hinsicht.