Vor einem Jahr erreichte mich die Nachricht einer Freundin: „Kommst Du mit zum Alinae Lumr-Festival? Tolle Bands!“ Leider klappte es nicht, aber die Aufmerksamkeit war bereits geweckt, und für eine Premiere hatte man mit Acts wie HUNDREDS, SDNMT, OWEN PALLETT und SEA & AIR durchaus ein geschmackvolles Line-Up zusammengestellt. Nebenbei erfuhr ich, dass es sich keineswegs um ein skandinavisches Festival handelte, sondern um ein kleines, charmantes Indie-Festival in Storkow.
In diesem Jahr sollte die Reise ins brandenburgische Niemandsland aber klappen. Wir hatten uns im sechs Kilometer entfernten Dahmsdorf eine kleine Pension herausgesucht und uns von dort zu einem Fahrradverleih nach Bad Saarow schicken lassen. Das Auto ließen wir vor dem Radladen stehen und radelten frohen Mutes bei herrlichem Sonnenschein über langgezogene Feldstraßen und durch duftende Wälder. Genau das muss Theodor Fontane beim Niederschreiben von seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ gefühlt haben. Die Welt hätte nicht schöner sein können, das einzige Streitgespräch handelte darüber, ob es sich bei dem riesigen Vogel dort auf der Wiese um einen Storch oder einen Graureiher handelt.
Als wir schließlich in Storkow ankamen, fanden wir die Festivalbändchen-Ausgabe passenderweise im „Haus der Begegnung“, anderen Leuten begegnete man auf dem kleinen Campingplatz, vor dem lokalen Döner-Imbiss oder auf dem Marktplatz, wo GIRLIE aus Berlin noch mit ihrem Soundcheck beschäftigt waren, während sich der Burrito-Mann neben seinem Wohnwagen ein kleines Zigarettenpäuschen gönnte. Wir gönnten uns zunächst eine wohlverdiente Hopfenschorle, die man hier aber natürlich nicht unter dem Namen „Alster“ kennt.
Auf der Fahrt von Hamburg nach Storkow hatten wir uns durch die Playlist der anwesenden Bands gehört, und als GIRLIE, die natürlich kein einziges Girl in ihrer Band hatten, begannen, waren wir durchaus positiv überrascht. Weniger schrammelig als auf Tonträger, dafür das ABC der passenden Dissonanzen kennend, erinnerten mich GIRLIE viel mehr an eine Mischung aus NIRVANA und guten, alten Dischord-Bands. Schon mal merken!
Die Zeit reichte außerdem für einen kurzen Zwischenstopp im Innenhof der Burg Storkow, wo wir die letzten Songs von KAT FRANKIEs neuem Projekt KEØMA vernahmen. Die beiden Berliner bezeichnen ihre Musik selbst als „Night Drive Pop“, ihr größter Erfolg bestand bislang aus der Teilnahme am Vorentscheid die Eurovision. Wer weiß, sehr wahrscheinlich hätten KEØMA beim ESC besser abgeschnitten als der deutsche Manga/Lolita-Beitrag, aber ihre ruhige, verträumte Musik wirkte bei Tageslicht ein wenig farblos. Zu späterer Stunde hätte das sicherlich besser gepasst.
Unsere nächste Station sollte die Kirche sein, in der das EINAR STRAY ORCHESTRA auftrat. Wobei man besser EINAR STRAY TRIO sagen sollte, da die Norweger heute nur in Minimalbesetzung auftraten und auf Schlagzeug und Bass verzichteten. Das funktionierte zusammen mit dem Hall in der Kirche aber ganz hervorragend, und wahrscheinlich würde sich der evangelische Kirchenkreis Oderland-Spree glücklich schätzen, wenn die Storkower Kirche an einem gewöhnlichen Sonntag nur halb so gut besucht wäre. Ein toller Auftritt, und man kann gespannt sein auf das bald folgende Album.
Viel Vorfreude meinerseits bestand vor allem auf den Auftritt von SOMETREE. Reunion nach sechs Jahren Pause. Wahnsinn! Jetzt mit zwei Drums und DELBO-Daniel am Bass. Das war ganz, ganz großartig, wie man SOMETREE kannte und liebte. Zwischen ruhigen, klaviergetragenen Stücken im Stile von RADIOHEAD und Wall of Sounds à la MOTORPSYCHO legten SOMETREE einen tollen Auftritt hin und wurden nicht entlassen, ohne noch die eine oder andere Zugabe gegeben zu haben. So bleibt am Ende die Hoffnung, dass es nicht nur bei einer Live-Reunion bleibt.
Zum Abschluss des ersten Tages schauten wir noch mal in der Burg bei LIIMA vorbei, dem synthielastigen Nachfolgeprojekt von EFTERKLANG mit Casper Clausen am Gesang, Rasmus Stolberg am Bass und Mads Brauer und Tatu Rönkkö an den Synthies, sonstigen Elektronika und diversen anderen klangerzeugenden Utensilien. Musikalisch ist die Ausrichtung weniger epochal als bei EFTERKLANG, sondern eher krautrockig bis discolastig, meist im charmanten Retrosound. Doch leider stellt sich mir live ein ähnlicher Eindruck wie beim Hören ihres Albums ein: mit Ausnahme des groovigen Songs “Amerika” klingen die meisten Stücke irgendwie nichtssagend und ziellos. Vielleicht fehlt mir bei LIIMA auch die großartige Stimme von Casper Clausen, die hier meist derart moduliert wurde, dass sie nicht mehr erkennbar ist. Umso erfreulicher, dass anscheinend auch EFTERKLANG sich mit dem endgültigen Aus noch nicht so recht abfinden konnten, und so wurden bereits Konzerte mit Orchesterbegleitung für Frühjahr 2017 angekündigt, während man nebenbei an einer Oper arbeitet. Man darf also gespannt sein, wie es weitergeht.
Dies sollte das Ende unseres ersten Festivaltags sein, und so schwangen wir uns glückselig auf die gelben Drahtesel, um am See zurück zur Pension zu fahren. Doch leider verhakten sich von meinen Festivalbegleitern auf dem Rückweg die Lenker der Hollandräder, so dass es zum Sturz kam und wir den Samstagnachmittag in der Notaufnahme der Bad Saarower Helios-Klinik verbrachten und uns anschließend für die vorzeitige Rückreise nach Hamburg entschieden.
So entgingen uns leider Bands wie ZOOT WOMAN, DIE HOECHSTE EISENBAHN, FEDERICO ALBANESE, ME AND MY DRUMMER und unser Geheimfavorit, die ARBEITSGEMEINSCHAFT FORM. Zudem sind wir dem idyllisch gelegenen Mühlenfließ noch einen Besuch schuldig geblieben und werden wahrscheinlich nie erfahren, wie es in „Nettis Speisekammer“ aussieht. Fest steht jedenfalls, dass sich das kleine und charmante Alinae Lumr schon jetzt einen Platz in unserem Herzen erspielt hat und wir alles dran setzen werden, 2017 wieder dabei zu sein.