YOUTH PICTURES OF FLORENCE HENDERSON – s/t

Auf einen gescheiten Bandnamen zu kommen, ist mittlerweile echte Kreativarbeit. Gibt ja schon alles. Man google ein beliebiges Wort verbunden mit „myspace“, und, so prophezeie ich, irgendjemand wird schon drauf gekommen sein. Sich nach berühmten Leuten oder Charakteren benennen? Vergiss es, Schatz, alles vergeben. Hab da kürzlich mal zwei potentielle Namensideen für mein brandheißes, fiktives Bandprojekt recherchiert – sind natürlich schon weg. Nach meiner Lieblings-Maskfigur FLOYD MALLOY hat sich eine Band aus Paderborn benannt und der Nachname des tragischen Fußballheldes Reinhard „Stan“ LIBUDA wird von einem MC aus Bad Segeberg in Beschlag genommen. Yupp! Aber es muss ja längst kein simples Substantiv oder ein Eigenname mehr sein. Mittlerweile gibt es moderne Abhilfestrategien, die ganz neue Möglichkeiten eröffnen. Die da wären: Prädikat-Objekt Kombinationen im Infinitiv (TALKING TO TURTLES, SPITTING FROM TALL BUILDINGS), Verb mit S-Anhängsel (SHOUT OUT LOUDS – übrigens grammatikalisch falsch: „loud“ müsste ein Adverb sein, womit es richtigerweise die SHOUT OUT LOUDLYS wären. Habe der Band schon mehrmals mit rotem Ausrufungszeichen gemailt), Aussagen in erster Person Plural (WE ARE SCIENTISTS, WIR SIND HELDEN, WE ARE SOLDIES WE HAVE GUNS), Ausrufe (NEIN! NEIN! NEIN!, FERTIG LOS!, UIJUIJUI, auch mit S-Anhängsel möglich: die YEAH YEAH YEAHS), lokale Hinweise (PANIC AT THE DISCO, HUND AM STRAND), Sache einer berühmten Person (GHOST OF TOM JOAD, JACKSON POLLOCK`S ACTION PAINTING) und vieles mehr, was der Independent Band von heute die Namensfindung erleichtert. Warum die Mitglieder der letzten Kategorie YOUTH PICTURES OF FLORENCE HENDERSON aus Norwegen sich nun ausgerechnet noch auf die US-Schauspielerin beziehen müssen, wissen nur sie selbst. Ich jedenfalls hätte YOUTH PICTURES allein schon ganz passabel gefunden und vor allem auch passend. Verspielte Gitarren getragen von einem Cello, ein Gesang von weit weg, der sich wieder in den Klängen verliert, ein sanftes Gleiten durch die Songs fernab klassischer Popstrukturen und immer wieder kleine Brüche sind der perfekte Soundtrack zu ausführlichem Kramen nach alten Fotos in verstaubten Kartons. Erinnerung wunderschöner Momente, Wehmut, Trauriges, Freudentaumel, Verblasstes, körnige Farbwolken, mal ein wärmender Sepia-Filter, mal kaltes Schwarzweiß. Ich könnte mir auch ein Musikvideo vorstellen – der Song wird unter eine Dokumentation über Lemminge gelegt. Ihr langer, langsamer Weg auf die Klippe. Großaufnahmen ihrer putzigen Gesichter im kalten Wind. Sonnenstrahlen blitzen übers Fell. Und dann in Zeitlupe ihr unerschrockener Sprung von der Klippe während der Song seinen Klimax erreicht. Ach, gibt’s bestimmt wieder schon. Gibt ja alles schon. Grausamer Überfluss! Fluch der späten Geburt. Aber die sieben Norweger, deren Bassist jedes mal eine sechsstündige Zugfahrt zur Bandprobe auf sich nimmt, hatten eh ganz andere Ideen zur Visualisierung ihrer Musik. Das Album, das in zwei CDs namens „Puzzle“ und „The detective“ geteilt ist, liegt in einem äußerst schmucken DIN A5 Büchlein vor und beinhaltet auf 32 Seiten abstrakte Zeichnungen und Bilder als Kommentare zu den Songs. Eher Schräges, wie schon der Mann im Lampenschirm auf dem Cover vermuten lässt. Sieht aus wie einer dieser döspaddeligen Hunde mit Plastiktrichter um den Hals. Call it Placeboeffekt, aber wenn ich ein Album auflegen möchte und es dazu aus einem so liebvoll gestalteten Buch holen darf, dann macht es doch gleich viel mehr her als eine in seelenlosem Plastikmüll abgepackte CD mit Strichcode. Aber das Besondere an YOUTH PICTURES wäre mir wohl auch dann nicht verborgen geblieben. Für musikalische Referenzen bediene man sich angesichts der sich stets aufbauenden Klanglandschaften, des Cellos und Songlängen jenseits der drei Minuten wohl in erster Linie im Postrock der 90er. Die YOUTH PICTURES tragen hier jedoch nie zu dick auf. Mit einem geschickten Arrangement führen sie durch die Entwicklung des Liedes, lassen es ausarten und wieder zusammenbrechen, so dass der Charme der stets einfachen Instrumentierung nicht durch die Effekthascherei von Synthieschummeleien oder einer fetten Produktion zerstört werden muss. Für Abwechslung sorgen auch die beiden unterschiedlichen Leadsänger Gjermund und Torbjörn, wobei mir letzterer durch seine Tendenz zum Schreien und Verzweifelten deutlich mehr zusagt und an Alte-Schule-Emo erinnern lässt, was definitv die zweite Schublade wäre, die man herausziehen müsste, um nach einer Referenzband zu kramen.
Mir sind „Puzzle“ und „The detective“ mittlerweile richtig ans Herz gewachsen, aber wie das so ist, täglich möchte man nicht unbedingt in alten Fotos versinken, aussortieren wird man sie aber sicher niemals wieder.