Das Wutzrock-Festival im südöstlichen Hamburger Stadtteil Bergedorf gibt es bereits seit 30 Jahren und hat sich seit dieser Zeit als eines der letzten linkspolitischen „Umsonst und Draußen“-Festivals etabliert. Idyllisch zwischen dem Eichbaumsee und der Dove-Elbe gelegen, strömen Jahr für Jahr tausende Besucher auf das Gelände, um drei Tage lang ausgiebig zu feiern. Obwohl aufgrund knapp bemessener finanzieller Mittel keine ganz großen Namen im Line-Up zu finden sind, so beweisen die Veranstalter bei der Auswahl der auftretenden Bands jedes Jahr aufs Neue einen guten und vielfältigen Geschmack. Und auch Freunde der sonstigen Unterhaltung kommen auf ihre Kosten, denn abgerundet wird das Wutzrockprogramm traditionell durch ein buntes Potpourri aus Lesungen, Theater, Kleinkunst und Schlafsackwetthüpfen. Also hieß es auch in diesem Jahr wieder: Rein in die S-Bahn und auf nach Bergedorf!
Nachdem sich im Laufe des Freitagnachmittags zunächst diverse lokale Nachwuchsbands auf den beiden Bühnen austoben durften, sollten eigentlich THE SPOOK spielen, aber Pustekuchen: Ischiasbeschwerden eines Bandmitgliedes machten die Reise in den Norden zunichte! Stattdessen sprang spontan DER FALL BÖSE ein, so dass es anstelle von Horrorpunk funkigen HipHop-Crossover gab. Es folgten LETZTE INSTANZ: Mit Folk-Rock und Mittelalter-Metal kann ich ja eigentlich herzlich wenig anfangen, aber der Auftritt der Dresdener hat irgendwie Spaß gemacht. Ein Blickfang ist auf jeden Fall der Cellist, der auf einem abgefahrenen Metallthron saß und mit seinem arschlangen Zopf unermüdlich den Headbang-Propeller mimte. Weshalb der Auftritt gegen Ende immer weiter in ein wüstes Durcheinander von Coversongs ausartete, blieb mir allerdings schleierhaft. Zum Ende des ersten Festivaltages gab es dann Indie-Rock: GHOST OF TOM JOAD spielten die Songs ihres tollen Albums „No sleep until Ostkreuz“ und zeigten, dass sie auch live meinen hohen Erwartungen standhalten können. Das Trio strotzte geradezu vor Spielfreude und konnte das Publikum schnell überzeugen. Lediglich die Ansagen kamen etwas unbedarft rüber, ansonsten ein restlos überzeugender Auftritt!
Am Samstag hat Petrus ganz tief in die Wetterkiste gegriffen und bescherte dem Wutzrock nach mehr oder weniger verregneten Wochen ein Sommerwetter oberster Güte! Danke, Alter! Dementsprechend wurde der Tag zunächst auf der Wiese bei den Zelten verbracht und ganz hippiemäßig auf der Akustikgitarre rumgezupft. Aufs Festivalgelände ging es dann pünktlich zu REIMZIG. Die Band besitzt in Bergedorf Kultstatus, hatte sich vor einigen Jahren allerdings aufgelöst und spielte auf dem Wutzrock eine kleine Comeback-Show. Mich erinnert der Mix aus Rock und HipHop ziemlich stark an SUCH A SURGE, nicht schlecht, aber eigentlich längst überholt. Die DISSIDENTEN spielten im Anschluss Weltmusik und sprachen wohl eher die älteren Festivalbesucher an, während sich die jüngeren vor der kleinen Nebenbühne scharrten, um dem Hamburger-Schule-Elektro-Pop von KNARF RELLÖM TRINITY zu lauschen. Da sich auf der Nebenbühne der Zeitplan jedoch nach hinten verschoben hatte, sahen wir nur die ersten Stücke, um dann wieder zur Hauptbühne zurück zu kehren: TURBOSTAAT baten zur Audienz und räumten restlos ab. Im Gegensatz zu ihrem Auftritt beim Hurricane-Festival schwappte die Stimmung voll auf das Publikum über, und Lieder wie „Harm Rochel“, „Insel“ und „Schwan“ wurden hundertfach mit voller Inbrunst mitgesungen. Dass die Nordlichter zu den besten Livebands des Landes gehören, wurde an diesem Abend wieder einmal eindrucksvoll bewiesen. Auf der kleinen Bühne spielte eine Band namens 206 noch ein paar düster-trashige Punksongs, ehe es für mich in die Heia ging. Da ich die abschließend spielende Reggae-Formation I-FIRE bereits vor einiger Zeit live gesehen habe, konnte ich an diesem Abend ruhigen Gewissens darauf verzichten.
Das Programm am Sonntag fiel traditionell recht überschaubar aus und stand im Zeichen des Offbeats. DUBTARI glänzten mit einer Mixtur aus Reggae, Ska, HipHop und Salsa und verlangten dem Publikum schweißtreibende Tanzbewegungen ab. Das SELECTER-Cover „To much pressure“ stellte einen passenden Übergang zum letzten Act des diesjährigen Wutzrock-Festivals dar: THE TOASTERS. Die dienstälteste amerikanische Ska-Band tourt seit den frühen 80ern unermüdlich durch die Weltgeschichte und beschallte nun auch Bergedorf mit Klassikern wie „2-Tone army“ oder „Matt Davis, spezial agent“. Frontmann Robert Hingley war sichtlich gut drauf, scherzte zwischen den Liedern ausgelassen vor sich hin und argumentierte gegenüber den Festivalbesuchern die Notwendigkeit einer geregelten Erwerbstätigkeit mit der tiefsinnigen Formel: „No job = no beer!“ Diese Aussage stieß vor allem bei den ehrenamtlichen Tresenkräften am Bierstand auf Zustimmung, denn das Konzept „Getränkeverkauf finanziert Umsonst-Festival“ ging dank des guten Wetters voll und ganz auf. Somit dürfte es auch 2009 wieder heißen: Rein in die S-Bahn und auf nach Bergedorf!