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KETTCAR – 21.08.2008, Rantum / Sylt (Meerkabarett)

Da war doch noch eine Rechnung offen… Richtig! Irgendwann in den glorreichen Neunzigern sollten …BUT ALIVE! auf Sylt spielen, doch aus Angst vor herbeihalluzinierten „Chaostagen auf Sylt“ durch Massen über die Insel hereinbrechender Festland-Autonomer wurde das Konzert damals von der zuständigen Behörde verboten. Nun, im Jahre 2008, ist alles anders: …BUT ALIVE! ist dem Namen zum Trotz überhaupt nicht mehr lebendig, sondern mucksmausetot. Aus Teilen seiner sterblichen Überreste ging KETTCAR hervor, diese legten eine beispiellose Indie-Pop-Karriere hin und sind mittlerweile offensichtlich auch auf der Insel der Reichen & Schönen willkommen. Da somit die grundlegendste Vorraussetzung für ein Gastspiel westlich des Hindenburgdamms erfüllt war und die Hamburger zudem eine aktuelle Platte mit dem Namen „Sylt“ ihr Eigen nennen, wurde es also höchste Zeit, der Insel endlich einen Besuch abzustatten!
Per Schleswig-Holstein-Ticket ging es von Hamburg-Altona nach Westerland, und dank eines ausgiebigen Sektfrühstücks an Bord verging die gut dreistündige Bahnfahrt wie im Flug. Nach einem kleinen Bummel durch Westerland stand auch schon das erste Highlight des Tages auf dem Programm, denn KETTCAR wären nicht KETTCAR, wenn sie zur Feier des Tages nicht ein Mittag füllendes Programm aus dem Boden gestampft hätten. Und so wurde mit Hilfe der allseits bekannten Roten Gourmet Fraktion eine Volksküche auf die Beine gestellt, bei der die werten Herren Musiker persönlich Champagner, Scampis und Erbsensuppe an das hungrige Fußvolk verteilten. Wenn schon Stil, dann viel… Der eine oder andere Insulaner betrachtete das illustre Treiben mit einer gewissen Skepsis, denn der Gedanke, dass es Menschen gibt, die Fremden uneigennützig und kostenlos etwas zu Essen anbieten, erschien ihnen doch zu abwegig. Ein paar rüstige Rentner hingegen warfen ihre anfängliche Zurückhaltung – nachdem ihnen versichert wurde, dass kein Haken an der Sache ist – schnell über Bord und kippten sich eine Champagner-Flöte nach der anderen in den gierigen Rachen. Wenn der ehemalige Rechtspopulist und heutige Edel-Kokser Ronald Schill unseren ausländischen Mitbürgern einst vorgeworfen hat, den „deutschen Wohlstand verfrühstückt“ zu haben, dann wurden dessen spärlichen Krümel an diesem Mittag von Westerlands Rentnerfraktion die Kehle runtergespült…
Es folgte eine kleine Verdauungsmusik der besonderen Art: Teils noch mit Kellnerschürze um den Bauch gebunden, spielten KETTCAR ein kleines Unplugged-Konzert für die gesättigte Meute. Dabei glänzten sie mal wieder durch ihr atemberaubendes Improvisationstalent: Als Mikrophon diente ein Mini-Megaphon, und zum Umhängen eines Kinder-Keyboards musste eine abenteuerliche Konstruktion aus einem leeren Champagnerkarton und Klebeband herhalten. Getreu dem alten Musiker-Sprichwort: Gaffa hält die Welt zusammen. So wurden „An den Landungsbrücken raus“, „48 Stunden“, „Balkon gegenüber“ und „Graceland“ intoniert, bevor sich KETTCAR verabschiedeten und den Rückzug antraten. Wir machten uns anschließend auf nach Rantum, um auf dem dortigen Campingplatz einzuchecken, die Zelte aufzubauen und den Grill anzuwerfen. Der mittlerweile eingesetzte Nieselregen konnte die gute Laune nicht schmälern, und kurz vor acht fanden wir uns schließlich zum Konzert im Meerkabarett ein.
Das Meerkabarett ist eine große Zeltkonstruktion auf dem Gelände des Sylter Mineralwasserbrunnens und wirkt im Inneren wie eine Mischung aus Zirkuszelt und Theaterfoyer. Es war erstaunlich viel los, scheinbar haben trotz des Termins an einem Donnerstagabend auch viele Auswärtige den Weg nach Sylt gefunden, wofür auch die Tatsache spricht, dass wir bei weitem nicht die einzigen Campingplatzbewohner waren, die in Konzertmission unterwegs waren. Das Konzert selber beinhaltete dann keine großen Überraschungen mehr, sondern die zuletzt von KETTCAR gewohnte (und bewährte) Mischung aus Songs ihrer drei Alben: „Deiche“, „Nullsummenspiel“, „Money left to burn“, „Kein Außen mehr“, „Im Taxi weinen“, „Geringfügig, befristet, raus“, „Ich danke der Academy“, „Am Tisch“… Ein kunterbunter Hitmix eben, des weiteren durften die bereits in der Fussgängerzone zum Besten gegebenen Stücke natürlich ebensowenig fehlen wie der obligatorische Rausschmeißer „Balu“. Ergo: Ein wie immer gelungenes KETTCAR-Konzert in einem außergewöhnlichen Ambiente hinterließ nach gut eineinhalb Stunden ein wie immer glückliches bis begeistertes Publikum. Und so ist es schließlich auch kein Wunder, dass wir am nächsten Tag nach einem kurzen Abstecher zum Strand zufrieden, aber erschöpft die Heimreise antraten. Vielleicht verschlägt es KETTCAR ja auch mal nach Helgoland? Wir wären auf jeden Fall dabei. Sofern die zuständige Behörde nichts dagegen hat.

Hunger?
http://www.rotegourmetfraktion.de

Bernd Cramer

Konzert-Junkie & Vinyl-Liebhaber. Schreibt über Musik, ohne zu Architektur zu tanzen.