Vor ein paar Monaten meldete sich bei uns erstmals ein neues Label mit dem merkwürdigen Namen "Milchmann Records". Neben einem Sampler mit dem interessanten Namen "Die Rache der Erholungssuchenden" lag außerdem ein Album von VERSTÄRKER bei, einer fünfköpfigen Band aus München, die zuvor unter dem Namen DIEKLEINENPROPHETEN agierte und sich einer Mischung aus ruhigem Post-Rock, Elektronik und deutscher Literatur verschrieben hat. Zumindest was die vertonten Gedichte von Theodor Storm usw. angeht, lässt das Interesse der Band an deutschsprachiger Lyrik erahnen.
Via Mail sandte ich den Fünf ein paar Fragen zu, die mir Sänger Roberto beantwortete:
[F]Was hat es mit dem Bandnamen auf sich? Etwa eine Reminiszenz an BLUMFELD? Warum nicht mehr DIEKLEINENPROPHETEN?
[A] Oh, die ewige Frage nach dem Namen. Tja, also mit BLUMFELD hat er primär nichts zu tun, auch wenn das ein ganz beeindruckender Song ist, wahrlich. Ausgangspunkt war die Entscheidung, nicht mehr unter "DIEKLEINENPROPHETEN" auftreten zu wollen. Das war eine Schnapsidee, sich so zu nennen, wenn man halbwegs ernsthaft solch eine Art von Musik machen möchte. Normalerweise verband man uns mit HipHop oder dachte, es sei eine Schülerband, sehr ungut. Und weil von unsererseits kaum bis gar nichts dahinter stand, wurde es als zunehmend drängender empfunden, das zu ändern.
So, jetzt dazu, warum es gerade "VERSTÄRKER" wurde. Tja, wenn das einer wüsste. Es gab so viele Vorschläge, und keiner fand eine halbwegs regierungsfähige Mehrheit. Und VERSTÄRKER klang für uns nach Instrumentalmusik, auch war es kein in die trendige "the"-Ecke gehender englischer Name, da konnten wir uns handelseinig werden. Aber das Thema Name & Bedeutung wird bei uns zumindest völlig überbewertet, wir machen halt Musik, und einen Namen braucht man wohl. Und so war das Problem geboren…
[F]Wie seid ihr als erste Band überhaupt bei Milchmann Records gelandet?
[A] Also, die erste Band sind wir ja gar nicht, das ist ja SCROUNGE, und MICHAEL ELEKTRICH ist ja auch auf Milchmann Rec. Aber es stimmt, wir sind ja schon die erste rein externe Band. Das kam so, dass die auf uns zugetreten sind, uns fragten ob wir Interesse hätten, wir hatten die Bänder für das Album, und so ging’s dann eigentlich relativ flugs.
Für uns etwas verwunderlich war das ja schon, weil wir im Schnitt liedermäßig immer länger und verspulter geworden sind. Aber den Jungs hat’s getaugt. Tja, und die Zusammenarbeit hat beiden Seiten so gut getaugt, dass jetzt ja auch noch eine Split von uns mit PETER CORETTO namens "Bandentreffen" auf Milchmann Records erscheint.
Gott sei Dank kümmern die sich um uns, psychologische Betreuung inklusive.
[F]Wie kam es zu dem Albumtitel "B-Seiten", und was hat es mit den Songs "Solaris I -IV" auf sich?
[A] Der Name "B-Seiten" fand zu unserem Album via einem Mischer, der uns öfter live gesehen & verstärkt hat. Der meinte, dass alle unsere Lieder klassische B-Seiten wären, vorn die Radio-Version, glatt und gefällig, und auf der B-Seite die weniger den Airplay & Business-Prinzipien sondern rein musikalischen Zielsetzungen folgenden Lieder. Oder so ähnlich. Auf jeden Fall fanden wir alle, dass es irgendwie sympathisch klingt, wenn ein Album "B-Seiten" heißt.
Und "Solaris" heißt der Song deswegen, weil der Tarkovsky-Film ganz großes Kino ist, so wie das Stanislavlem-Buch. Wegen der blöden Verfilmung mit George Clooney wollten wir’s fast schon wieder umbenennen.
Zudem klingt "Solaris" nach Instrumentalmusik, das ist wichtig und richtig, auf den Gesang sollten wir sowieso verzichten.
[F]Wie seid ihr auf die Idee gekommen, Gedichte wie "Am grauen Strand" von Theodor Storm zu vertonen? Und welches Verhältnis habt ihr allgemein zur Lyrik?
[A] Auf die Idee, Gedichte zu vertonen, sind wir gekommen, weil wir selber keine Texte schreiben (können). So begründet sich auch unsere Beziehung zu "Am grauen Strand" von Storm. Es trägt eine schöne Stimmung, aber zu behaupten, wir hätten damit mehr am Hut, wäre wohl gelogen. Eher fasziniert mich da die rohe Sprache und der korrespondierende Inhalt der Beat-Poeten, aber deren freier Sprachfluss fordert mehr Integrationsanstrengungen, wenn man daraus einen Text machen möchte. Und wir wollen eigentlich nur Musik machen. Das muss Aussage von uns genug sein, Texte sollen andere schreiben.
[F]"Lyrik 2" klingt, als ob man das Aufnahmegerät bei einer Jam-Session laufen ließ. Habt ihr den Song live eingespielt?
[A] Kein Song auf "B-Seiten" ist komplett live eingespielt, daher ist es auch deutlich getragener als das Ganze live ist, wie so oft. Ein Album ist das eine, und live ist das andere, bei "B-Seiten" hat uns das rumspielen, rumbasteln, stöpseln etc. Spaß gemacht. Vieles von den Sachen haben wir so nie live gespielt. Und zu der "Lyrik"-Aufnahme bleibt wohl anzumerken, dass es das zweite Lied war, das wir je aufgenommen haben. Und das hört man. Aber es geht am Ende so schön im Chaos auf & unter, das musste einfach mit auf die Platte, so untight und trashig es sein mag.
[F]Ihr habt mit 17 Songs bzw. 78 Minuten die Spielzeit einer CD ja bis zum Ende ausgereizt. Wäre das Album, falls möglich, noch länger geworden?
[A] Für das nächste Album, das bereits vollständig aufgenommen ist, diesmal alles live & in einem Raum, als kleiner Kontrast, steht mittlerweile Songmaterial in der Gesamtlänge von mehr als 3 ½ Stunden zur Verfügung. Das wird wohl ein Riesenproblem, das auf 80 min zusammen zu schrumpfen. Da muss wohl eine 4fach CD-Box her. Das wird ein teurer Spaß, au weia.
[F]Wo würdet ihr euch als Band selbst einordnen?
[A] Hinsichtlich musikalischer Zuordnung sehe ich uns schon in einem wie auch immer verstandenen alternativen Umfeld, aber damit hat sich’s mit den Kategorisierungsbemühungen auch schon. Letzte Woche haben wir bei einer Ausstellung in der Kranhalle in München ein Drei-Stunden-Impro-Set gespielt, spätestens seitdem weiß ich auf diese Frage auch für mich überhaupt keine Antwort mehr zu geben, aber was soll’s. Das ist vermutlich die Ecke, wohin wir so auf Umwegen hinschlendern: Impro-Post-Klangräume. Da löst sich dann das Problem mit der Songausarbeitung von ganz alleine, wunderbar…