Es gibt so Konzert-Abende, die man mehr oder weniger als perfekt bezeichnen kann. Wenn man, kurz bevor man sich auf den Weg macht, erfährt, dass man doch nicht alleine zum Konzert muss, ist das ja schon mal eine feine Sache. Wenn man zu zweit auf der Gästeliste steht, kann eigentlich schon nichts mehr schief gehen. Und wenn dann auch noch das Konzert richtig gut ist, gibt es ja schon fast nichts mehr zu verbessern. Aber wenn man durch Zufall auch noch den Gitarristen der Support-Band kennen lernt, und sich dieser als äußerst sympathischer Typ herausstellt und einen die folgende Stunde mit Bier versorgt und eine CD zum Besprechen mitgibt, könnte nichts besser laufen. Aber kommen wir zunächst einmal auf die Band dieses netten Menschen zu sprechen: die hieß SONG & DANCE und hatte heute Abend die Gelegenheit für Chris Leo’s neues Projekt VAGUE ANGELS zu eröffnen. Sicher kein leichter Job, aber die Aufgabe erfüllten die vier Münsteraner absolut gekonnt. Denn was von Beginn an auffiel, war die hohe Eigenständigkeit der Band, die sich musikalisch irgendwo zwischen FUGAZI, VICTORY AT SEA, AT THE DRIVE-IN und CURSIVE bewegt. Dabei kombinierten die Vier ein abwechslungsreiches, aber nie hektisches Schlagzeugspiel mit einem tonangebenden Bass und einer dazu passenden Gitarre, sowie einer zweiten Gitarre, der Gordon mit wüsten Verrenkungen die krankesten Sounds entlockte, und die die Musik stellenweise so weit in die Dissonanz trieb, dass es schon fast anstrengte. Aber auch nur fast, denn im letzten Moment kriegten sie jedes Mal wieder die Kurve und entlohnten durch ausgleichende Melodiösität. Ebenso variabel wie die Musik war auch der Gesang von Eva, der zwischen gesprochen, geschrieen und gesungen abwechselte. Erwähnenswert außerdem, dass die Band nicht nur politisch korrekte Floskeln verwendet, sondern sich ernsthaft engagiert und während des Konzertes einen Klingelbeutel herumreichte, um Geld zur Unterstützung der Flüchtlingshilfe zu sammeln. Abgeschlossen wurde der Gig mit dem traumhaften „Circus“, das durch ein Akkordeon ergänzt wurde und mit Abstand das melodischste Stück des Sets war.
Nach einer kurzen Pause saß auch schon Chris Leo alleine mit seiner Gitarre und seinem neuen Buch „White pigeons“ in der Mitte der Bühne, und man mochte fast nicht glauben, dass dieser kleine, unscheinbare Mann schon seit mehr als zehn Jahre die Indierock-Szene so entscheidend mitgeprägt hat, obgleich er gerade mal dreißig Lenzen auf dem Buckel hat. Mit Bands wie THE VAN PELT, THE LAPSE und NATIVE NOD kann er inzwischen aber schon auf eine ganze Liste namhafter Veröffentlichungen zurückblicken. Doch heute galt sein Besuch der Vorstellung seines aktuellen Buches, wobei er gleichzeitig bewies, dass er im Deutschunterricht in der High School gut aufgepasst hatte.
„White pigeons“ handelt von einer fiktiven Band namens „The Breaks“, und das Besondere daran ist das siebte Kapitel ist. Dort findet man nämlich eine CD mit zwölf Songs eben jener Band, und unter dem Namen VAGUE ANGELS bot Chris Leo heute Abend neben einigen Erzählungen zu dem Buch das vertonte Kapitel, sowie einige Songs seiner vorigen Bands. Die Tatsache, dass er ohne Backing-Band auftrat, stellte sein musikalisches Können dabei mehr als eindrucksvoll unter Beweis. Neben den exotischsten Griffen, gelang es ihm, auf der Gitarre gleichzeitig Akkorde und Solo-Sachen zu spielen, und in seinem markanten Sing/Sprech-Stil dazu bildhafte Geschichten zu erzählen. Als besondere Gäste waren heute auch seine Eltern und Freundin anwesend, die für ein paar Termine extra aus den USA eingeflogen sind. Nachdem er nach einer Stunde sein offizielles Konzert beendet und sich dafür entschuldigt hatte, dass er auf der laufenden Tour bereits alle Bücher verkauft hatte, kehrte Chris nach ein, zwei Minuten mit dem Geständnis auf die Bühne zurück, dass ihm die Pause zwischen dem regulären Set und der Zugabe immer so unsäglich peinlich sei und gab zwei weitere Songs zum Besten, bevor das Konzert tatsächlich beendet wurde. Ein gutes und gut besuchtes Konzert und der perfekte Abschluss des Tages, genau rechtzeitig die letzte U-Bahn erreicht zu haben.