Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn Tom Liwa vor wenigen Wochen einer viralen Hirnhautentzündung zum Opfer gefallen wäre. Wir wäre das wohl gewesen? Vermutlich hätte er posthum innerhalb kürzester Zeit auch den finanziellen Ruhm erlangt, den das soziale Kapital der Ehre zu Lebzeiten generierte.
Hat Tom Liwa sich nicht längst mit „St. Amour“ und „Ich & Ich“ in die ewigen Jagdgründe komponiert? Aber schreibt er nicht weiterhin neue Songs und tourt? Ist Tom Liwa bereits unsterblich oder bloß das Sandmännchen?
Sowohl Tom als auch Drummer Giuseppe standen mir am Record-Release-Abend zum neuen Album „Umsonst und draußen“ in Münster Rede und Antwort…. nach einigem BUNTE-Psychotest-Gepose ging es direkt hart zur Sache:
[F]Streitet ihr euch schon mal?
[A]Tom: Streiten wir uns schon mal? (lacht) Ja, Giuseppe und ich, wir haben so ein komisches Ding mit den Jahreszeiten. Es gibt Zeiten im Jahr, wo wir uns überhaupt nicht leiden können und uns überhaupt nicht verstehen. Das wissen wir aber mittlerweile, da sind wir total vorsichtig, und das kostet viel Diplomatie, von der wir beide eigentlich nix haben. Ich als Skorpion sowieso fast gar nicht, und er auch nicht wirklich als Italiener. Skorpion und Italiener, das ist eine ganz gefährliche Mischung. Aber wir haben uns einfach daran gewöhnt, dass das Universum es anscheinend so will, dass es Phasen im Jahr gibt, an denen es scheinbar schwieriger ist. Wir wollen ja zusammen bleiben. Wir haben uns einfach für die Arbeit an unserer Beziehung entschieden. Es geht nicht darum, einen Schlagzeuger zu finden, mit dem man nie streitet, mit dem es nie Probleme gibt. Sondern es geht darum, einen zu finden, mit dem man durch die Hölle gehen möchte. Dem man, wenn die Schattenseiten und die dunklen Seiten auf dem Tisch liegen, sagen möchte „Lieber, wenn ich mich sowieso mit irgendeinem Schlagzeuger rumquälen muss, dann möchte ich mich lieber bis ans Ende meines Lebens mit diesem Schlagzeuger rumquälen.“ Und ich glaube, er sieht das, was mich angeht, ähnlich.
[F]Ah ja… also doch die Hölle! Wie viel Einfluss hat denn die Band 2015 auf die Entstehung der Lieder?
[A]Giuseppe: Tom ist natürlich der Liedermacher, der Harmonien und Melodien formt. Es gibt auf dem neuen Album mit „Federkleid“, wo ich die Harmonien gegeben habe, auch ein gemeinsames Stück. Aber von seiner Arbeitsweise her ist er schon jemand, der die Sachen selber macht, sich aber auch auf Vieles einlässt. Wenn es dann ganz konkret wird, hat er schon seine Vorstellungen, was wichtig ist für einen Songwriter wie ihn, aber er sagt mir nie, was ich am Schlagzeug spielen soll. Ich arrangiere das Schlagzeug zu einem Lied frei heraus, und das passt dann eigentlich auch immer. Die Keys und die Orgel von Birgit, die mischen sich dann so rein in einem bestimmten Stil, den die FLOWERPORNOES jetzt auch schon lange fahren. Und dann hat man schon Mechanismen wie dass man merkt, dass ein Song sehr schnell funktioniert, wenn man zusammen probt.
Tom: Diese Band im Moment hat einen sehr hohen Einfluss. Es ist eigentlich so, dass bei vielen Sachen, die ich schreibe, die Band schon mitdenke und mitfühle, die sind also auch einfach bei mir, auch wenn ich ganz woanders bin. Die anderen zwei kenne ich schon seit Jahrzehnten, und mit Giuseppe hat sich ein ähnliches Verhältnis herauskristallisiert. Bei der Platte sind aber auch wirklich viele Sachen gemeinsam entstanden, und wir beide haben tatsächlich die Single zusammen geschrieben. Während wir im Studio waren und aufgenommen haben, ist jemand gestorben, der zumindest für Birgit, Markus und mich jahrzehntelang sehr, sehr wichtig war. Daevid Allen, der Sänger und Texter und Schreiber von der Band GONG, der auch für mich immer ein Vorbild in der Hinsicht war, spirituelle Belange mit musikalischen Belangen zu verbinden, mit sehr viel Humor vor allen Dingen. Er ist an Krebs gestorben im Alter von 77 Jahren, während wir aufgenommen haben. An dem Morgen haben wir einen kleinen Altar mit Bildern und Kerzen von ihm hingestellt, improvisiert und daraus ist ein Song geworden, der auch auf der Platte ist. Losgelöst von meinem Singer/Songwriter-Ding sind wir eine Band, die sehr viel frei spielt und ausprobiert. Wenn wir nicht gerade eine Aufgabe vor der Brust haben, laufen manche Proben auch so ab, dass kein Wort geredet wird, dass wir einfach spielen. Das sind gar keine Songs. Oder dass wir Coverversionen spielen oder irgendwas. Wir sind im klassischen Sinne auch wie eine Free-Jazz-Band oder eine Psychedelic-Band, so dass aus dem gemeinsamen Spiel etwas entsteht.
[F]In der Vergangenheit konnten FLOWERPORNOES-Alben in Beziehung zueinander gesetzt werden. Ist die neue Platte auch der Anfang von etwas Neuem?
[A]Tom: Die Zeit bewegt sich ja gegenläufig zu uns. Das, was jetzt noch Zukunft ist, möchte gerne Vergangenheit werden, während wir in die Zukunft wollen. Und so gesehen ist das Jetzt immer der Punkt, wo sich das genau trifft und geht dann automatisch in beide Richtungen. Die Platte ist jetzt natürlich auf dem besten Wege, Vergangenheit zu werden und gleichzeitig hat sie, wie ein aus dem Universum gefallenes Samenkorn, natürlich die Saat in sich, was als nächstes passiert.
[F]Verstehe. Jetzt mal was anderes (zeige Foto vom MSV Duisburg Fan-Betroffenheitsroman „So lonely“). Was hast du aktuell mit dem MSV an der Mütze?
[A]Tom: Ich fand die letzte Drittliga-Saison grandios. Und ich fand es auch ziemlich spitze, dass man sich im Internet per Stream jedes Spiel angucken kann. Das war super, weil ich bin genau zu der Zeit aus Duisburg weggezogen bin, aber mehr MSV-Spiele gesehen habe, weil tatsächlich alle Auswärts- und Heimspiele immer dann samstags und sonntags auf dem Rechner waren. So habe ich in der Zeit mehr MSV-Spiele gesehen als zu irgendeiner anderen Saison, und es war schön, in dem neu gewählten Exil dadurch in Verbindung zu bleiben und dann auch noch aufzusteigen. Grandios. Das war nicht „so lonely“, das war mal „so lovely“.
[F]“So lonely“ ist ein Fan-Roman mit dem zentralen Thema, dass alle Mitleid haben, sobald man sagt, man ist Duisburg-Fan.
[A]Tom: Mein erstes Heimspiel war irgendwann gegen Braunschweig in der 1. Liga. Da haben die 0:0 gespielt, das muss irgendwann in den 70ern gewesen sein. Im Moment bin ich wieder sehr nah dran. Ich sag immer: „Du kriegst den Jungen aus Duisburg raus, aber Duisburg nicht aus dem Jungen.“
[F]Auch in Oelde nicht?
[A]Tom: Ich bin gar nicht in Oelde, ich bin in Stromberg. In Stromberg gibt es eine separatistische Bewegung. Sie wollen eigentlich gar nicht zu Oelde gehören, die verstehen sich selbst als Stadt, obwohl es ein Dorf ist. Und in diesem Dorf sind noch Unterschiede. Wir sind nämlich Unter-Stromberg. In Stromberg gibt es tatsächlich einen Berg, so einen Hang. Das ist auch der einzige Berg in der kompletten platten Umgebung, was den Nachteil hat, dass jeden Sonntag Unmengen von Fahrradfahrern genau da lang fahren, weil das ist der einzige Anstieg den die zwischendurch haben, in ihren Ameisenkostümen. Wo die dann rumfahren und trainieren. Es gibt auch so einen Joggingverein, der unter der Woche mit so Headlights auch diesen Berg rauf und runterläuft. Man muss da tierisch aufpassen, wenn man mit dem Hund draußen ist, damit der sich nicht erschreckt.
[F]Gesundheitlich geht es dir jetzt gut?
[A]Tom: Ja, das war ja ziemlich heftig, die Hirnhautentzündung im Sommer. Aber mir geht es echt wieder gut. Im Krankenhaus habe ich einen Gesamtgesundheitscheck gekriegt, das hätte ich sonst nie gemacht. Aber ich weiß, dass bis auf diese Geschichte in mir alles total okay ist und ich auch für mein Alter ziemlich geile Werte habe. Also, Blutwerte und Lungenwerte, selbst meine Prostata ist normal groß, alles ist spitze, und das habe ich jetzt auch hinter mir. Und wie an jeder Krankheit, an jeder Krise, bin ich auch daran wieder ein Stück gewachsen und habe das gut integrieren können.
[F]Gut, dass du wieder auf dem Dampfer bist! Alles Gute und viel Erfolg mit „Umsonst und draußen“!