Dass dieses Interview mein allererstes war, habe ich ausgebufftes Schlitzohr erst am Ende meinem Interviewpartner eröffnet. Das war Jesse, seines Zeichens Keyboarder bei den großartigen EPOXIES. Von denen habe ich zum ersten Mal in einem Fat Wreck-Newsletter gehört, als der fette Michael sich höchstpersönlich äußerte. Nach einem Konzertbesuch ließ er es sich nicht nehmen, die EPOXIES zu seiner neuen Lieblingsband zu erklären. Und konsequent, wie er ist, hat er sie nun unter seine Fittiche genommen, obwohl die fünf aus Portland so gar nicht in das Bild vom West Coast-Melodycore-Label passt, das Fat Wreck noch immer angeheftet wird. Alles weitere jetzt im Interview, bei dem mir Lisa mit einigen Fragen und Timo Q. mit seiner verkaterten Anwesenheit zur Seite standen. Die Homepage der EPOXIES sei dem interessierten Leser ebenfalls sehr ans Herz gelegt.
[F]Das ist heute Abend eure letzte Show der Tour, richtig?
[A]Jep!
[F]Wie war die Tour insgesamt?
[A]Sehr gut. Wir waren bisher noch nie in Europa. So hatten wir jeden Abend keinerlei Idee, was uns erwarten würde. In den USA können wir das ungefähr einschätzen, so Stadt für Stadt, aber hier war jeder Abend eine Überraschung. Aber von einer oder zwei Ausnahmen abgesehen, waren alle Auftritte sehr gut. Das war schockierend! Da kommen 70 Leute mitten im Nirgendwo (Anm. des Tippers: Köln?), um uns an einem Dienstag Abend zu sehen. Wir sind alle ganz hingerissen, denn es sieht so aus, als wenn wir uns ganz gut anstellen würden für unsere erste Tour.
[F]Ihr habt bei einigen Shows für NOFX eröffnet. Gute oder schlechte Erfahrungen gemacht?
[A]Ich würde sagen, dass die NOFX-Shows wirklich gut für uns waren und uns viel geholfen haben. Aber sie haben bei weitem nicht so viel Spaß gemacht, wie unsere eigenen Shows. Wir sind an so was nicht gewöhnt. Wir haben noch nie in diesen riesigen Hallen gespielt. NOFX sind… man könnte kaum eine seltsamere Kombination von Vor- und Hauptband finden. Während also NOFX, die Crew und alle anderen super, super nett waren und wir auch eine Menge Fans gewonnen haben, war es doch emotional sehr hart, jeden Abend raus zu gehen und vor 4.000 Leuten zu spielen, die uns gerade nicht sehen wollten und dann auch noch zu versuchen, diese Leute zu überzeugen, dass sie uns doch sehen wollen. Als wir danach in die Clubs kamen, da wo wir hingehören, ging’s uns allen aber gleich: „Aaah, das kennen wir jetzt wieder.“
[F]Das hört sich gut an, denn es gab da diese Gerüchte über die Show in Köln, dass die Leute Euch den Rücken zugedreht haben, Euch den berühmten Finger gezeigt haben usw., und dass Ihr deshalb Euren Auftritt früher beendet habt. Stimmt das denn?
[A]Nein.
[F]In Eurem Guestbook gibt es diese riesige Diskussion über diesen Auftritt.
[A]Das ist lustig. Denn in dem Moment, in dem wir bei Fat unterschrieben und all diese NOFX-Shows spielten, fingen die verschiedensten Idioten an, in unser Guestbook zu schreiben. Aber das ist … ich weiß, dass nicht jeder NOFX-Fan uns mögen wird. Wahrscheinlich werden eher wenige NOFX-Fans uns mögen, aber es gibt so verdammt viele von denen. Wenn wir also jeden Abend 10% des Publikums rüberziehen können, dann ist das riesig. Und es war bei weitem unsere schlechteste Show. Wir waren supermüde, hatten vielleicht zwei Stunden geschlafen. Der Sound auf der Bühne war schrecklich. Es war also irgendwie sehr verwirrend und scheußlich für alle. Aber wir hatten trotzdem Spaß. Dass all die Kids sauer auf uns waren, war stark. Denn jeder einzelne von denen ist quasi einer von den Arschproleten aus der Schule. Grundsätzlich wollen wir solche Leute aufregen. Also war es auch gut, dass die sich aufgeregt haben.
[F]Das ist gut, wenn ihr das so sehen könnt, denn es hörte sich schon sehr fies und feindselig an.
[A]Oh, das war es auch. Ich liebe es, die Leute glücklich zu machen und sie zum tanzen zu bringen, aber meine zweite Wahl wäre es, sie zu verärgern und aufzuregen (großes Gelächter). Solange sie nur eine Meinung haben. Und so sind wir auch als Band, sehr polarisierend. Entweder man mag uns oder man hasst uns, und ich denke, das ist gut so.
[F]Ich wollte jetzt nach den Anfängen der Band fragen, aber dann habe ich das alles schon auf Eurer Homepage gelesen, also frage ich nicht mehr danach.
[A]Sehr gut, danke!
[F]Obwohl es wirklich eine coole Geschichte, von wegen Science Fiction-Garagen-Band mit Roboterkostümen und so, war. Wie bist Du persönlich denn zur Musik gekommen? Und welches Instrument bedienst Du eigentlich?
[A]Ich bin der Synthesizer-Typ.
[F]Dann warst Du in Osnabrück die Mumie?
[A]Ja genau. Wie ich persönlich zur Musik gekommen bin? Tja, meine Familie war musikalisch. In der zweiten Klasse war ich im Schulchor. Und mit zehn habe ich angefangen, Gitarre zu spielen. Ich denke Musik ist einfach das, was ich immer gemacht habe. Ich hatte eine Band in der High School, und ich hab die Uni sausen lassen, um Musik zu machen.
[F]THE EPOXIES scheinen weit mehr zu sein als nur eine Band. Das Wort "Kunst" hört man immer wieder. Ich kann gar nicht genau sagen, auf was ich eigentlich hinaus will…
[A]So nach dem Motto, dass wir ein Konzept verfolgen?
[F]Nicht im Sinne von festgeschrieben auf Papier. Vielleicht als eine feste Idee, die mehr umfasst, als bloß Musik zu machen.
[A]Das stimmt definitiv. Die Musik ist der wichtigste Teil, und die Songs sind wichtiger als der ganze Rest, aber das Auftreten ist ein großer Teil von dem, was wir tun. Ich habe es so satt, wegzugehen und zehn Dollar zu bezahlen, um ein paar Typen in Jeans und T-Shirts zu sehen, die auf ihre Füße gucken und Gitarre spielen. Ich kann normale Leute für lau sehen! Und eines der Dinge, die wir unbedingt machen wollen, ist eine gute Show bringen – die beste Show, die wir machen können. Und das Motto der gesamten Band ist es, so hart wie möglich an allem zu arbeiten: das Songwriting, die Tour und die Bühnenshow. Jedes Mal, wenn uns einfach nicht danach ist, arbeiten wir gleich doppelt so hart. Wir bringen sogar unsere eigenen dämlichen Lichter aus den USA mit …
[F]Ihr habt also Euer ganzes Equipment mitgebracht? Sogar die Seifenblasenmaschine?
[A]Ja, denn wir konnten so was hier nicht finden, bzw. wir hätten so etwas finden können, aber wir hätten das alles hier nicht mehr rechtzeitig zusammenbauen können und so. Und jede Nacht müssen wir mit den Soundtypen streiten, weil die einfach keinen Bock auf unsere Geräte haben. Wir schalten dann aber auch auf stur und denken:“ Fuck you! Wir bauen unsere Lichter auf!“ Naja, eigentlich sind die meisten cool, aber bei einigen merkt man schon, dass die denken: „Na toll …“ Das ist auch so eine Sache mit unserer Band: die Leute erwarten richtig, uns zu hassen, wenn wir aufbauen und wenn wir auf die Bühne kommen mit unseren blöden Klamotten. Aber dann können wir sie hoffentlich auf unsere Seite ziehen. Ich hab’ das schon oft gehört: „Ich war so verdammt drauf und dran, Euch zu hassen, und jetzt seid ihr meine Scheiß-Lieblingsband.“ Es ist halt nur ein ganz schmaler Grad zwischen Liebe und Hass.
[F]Was hat es denn mit diesem 80er Einfluss auf sich? Wenn man das überhaupt so nennen kann?
[A]Wenn Du 80er sagst, denken die Leute, die dies lesen an WHAM!, A-HA oder CULTURE CLUB, was völlig falsch ist. Ich denke, wir sind so ’76 – ’81. Denn wenn Du mal wirklich über die Bands nachdenkst, von denen wir beeinflusst sind, dann sind das ADAM & THE ANTS, DEVO, BUZZCOCKS, ’n bisschen KIM WILDE und BERLIN, aber eigentlich so ’76 – ’81; Punkbands, die Wave-Elemente in ihrem Sound haben. Das ist eher die Richtung, aus der wir beeinflusst werden – Bands wie die WHITE STRIPES oder so. Aber, es gibt eine geheime Zutat, die man in der Musik nicht wahrnehmen kann, die aber unsere Ästhetik total beeinflusst. Alle aus der Band waren schon mal in Garagen-Bands, im Stil von THE MONKS und THE SONICS und 60er Jahre Girl-Group- und Phil Spector-Kram. Und all diese Sachen stecken in der Band, ohne dass ich das genau erklären kann.
[F]Vielleicht nur ’ne Einstellung?
[A]Ja, ich meine, guck’ dir unsere dämlichen Outfits an, die den Betrachter beleidigen. Das ist doch nicht viel anders als THE MUMMIES oder so. Wir versuchen gar nicht erst, hübsch oder poliert zu sein.
Es folgt eine kurze Unterbrechung, in der ich versuche herauszufinden, ob Jesse mehr über die Situation von PHIL SPECTOR weiß. Der ist nämlich angeklagt, weil er eine Frau erschossen haben soll. Das wiederum scheint gar nicht mal so unwahrscheinlich, wenn man seine in der Vergangenheit doch sehr seltsamen Verhaltensweisen bedenkt. So hielt er die RAMONES bei den Aufnahmen zu „End of the century“ stundenlang mit seiner Kanone im Studio fest, bis alles so lief, wie er das gerne hätte. Leider konnte Jesse mein Bedürfnis nach Klatsch und Tratsch und neuen Gerüchten nicht befriedigen.
[F]Du hast eben gesagt, dass Du die Uni geschmissen hast, um Musik zu machen und da frage ich mich, ob Ihr denn von der Band leben könnt oder Jobs habt?
[A]Keins von beiden! Wir können auf gar keinen Fall von der Band leben und Jobs haben wir auch keine – hauptsächlich hungern wir (kurzes Gelächter)!
[F]Ihr seid also meist mit Überleben beschäftigt?
[A]Das ist so ziemlich genau richtig. Irgendwie überleben wir. Wenn wir heutzutage in den USA touren, machen wir sogar ein bisschen Geld. Wir kommen also von sechs Wochen Tour nach Hause und jeder von uns kriegt vielleicht tausend Dollar.
[F]Ihr seid also nicht völlig blank, wenn ihr wieder zu Hause seid (es soll mal jeder da draußen, der jetzt "SELL OUT!" und ähnlichen Scheiß brüllt, überlegen ob er/sie denn mit ca. € 800 sechs Wochen (das sind 1,5 Monate!) auskommen könnte. Geld für Platten bleibt da kaum über, geschweige denn, dass man reich wird!)?
[A]Ja, und das ist Geld für einen Monat. Es reicht wirklich nicht besonders lange. Aber wir schuften uns so zurecht, mit tollen Arbeiten wie Unkraut jäten oder Gräben ausheben. Alles halt um einen weiteren Monat durchzuhalten.
[F]Und bis jetzt hast Du das nicht bereut?
[A]Oh, ich bereue es jeden einzelnen Tag! Also, ja und nein. Es ist unglaublich hart. Ich glaube, die meisten Leute wissen nicht, wie hart es ist, eine tourende Band zu sein. Und wie viel Stress man hat und wie sehr man leidet. Die Leute sehen uns an einem Abend vor 500 Leuten in einem Club und denken: „ Die Typen sind reich!“ Und sie verstehen nicht, dass man zwei Tage vorher 700 Meilen gefahren ist, um vor drei Leuten zu spielen. Oder was alles geflickt, repariert oder neu gekauft werden muss auf Tour. Aber trotz alledem bereue ich es keine Sekunde. Ich liebe es! Wir verlieren eine Menge Geld hier auf dieser Europa-Tour, aber für eine Urlaubsreise ist es ziemlich billig. Und nur so sollte man das sehen. Ich muss irgendeine Möglichkeit finden, das alles zu bezahlen, wenn ich wieder zu Hause bin. Ich bin mir sicher, dass ich es mein Leben lang bereuen würde, wenn ich in zehn Jahren zurückblicken würde und es nicht gemacht hätte.
[F]Du hast gesagt, dass Euch nicht nur die Musik wichtig ist. Wieso gibt es dann eigentlich keine Texte bei Eurer Platte?
[A]Da bist Du nicht der erste, der das fragt.
[F]Es ist doch etwas schwer die Texte zu verstehen, besonders, wenn Englisch für jemanden eine Fremdsprache ist.
[A]Klar. Der Grund ist ein bisschen pervers. Wir wollen von anderen Leuten hören, was sie denken, wie die Texte lauten. Denn meistens sind diese Texte besser.
[F]Ich glaube, ich habe da so etwas gelesen.
[A]Oft schlägt mir jemand auf diese Art was vor, und ich denke: „ Oh, so sollte es wirklich heißen. Das ist echt gut.“ Aber eigentlich weiß ich das auch nicht so genau. Ich denke, dass viele von den Platten, die ich als Kind mochte, keine Textblätter hatten, und wir sind auch nie dazu gekommen, eins zu machen. Wir sollten Roxy (Sängerin der EPOXIES) die Schuld geben, denn das wäre wohl ihr Job. Aber die Texte sind keine Geheimnisse. Und wenn Leute mir schreiben, helfe ich ihnen manchmal. So gefällt mir das. Aber über das Problem mit der Fremdsprache habe ich noch gar nicht so nachgedacht, da hast Du Recht (Ihr wisst, wem und welchem Zine Ihr zu danken habt, wenn es bald Textblätter bei EPOXIES Platten gibt!). Meistens, denke ich, kann man die Texte herauskriegen, aber vielleicht ist das doch nicht so einfach. Roxy kann man echt schwer verstehen, die ganzen Worte, die sie sagt auf jeden Fall…
[F]Wie wär’s mit einer speziellen Euro-Version?
[A]In den USA denken viele, sie hätte einen deutschen Akzent (doch eher großes Gelächter).
[F]Ihr seid auf der „Rock against Bush“ Compilation vertreten. Wie wichtig ist es für Euch, auf diesem Sampler und ganz allgemein politisch zu sein?
[A]Für mich persönlich, ich bin schon ziemlich politisch, aber die ganze Band… Ich denke in einem bestimmten Sinn sind wir politisch, aber die Dinge, die wir kommentieren, sind eher allgemeine soziale Vorgänge. Darum geht’s in der Band, um die Gesellschaft und Technologie, und wie sehr wir alle voneinander isoliert sind, und wie entmenschlicht wir sind. Aber das ist alles nicht sehr spezifisch, wie „wähl dies!“ oder „mach das!“. Ich denke, es ist cool, dass einige Bands wirklich politisch sind und Dinge auf den Punkt bringen, aber wir sind eher allgemein. Und das ist auch wichtig, denn ich denke, dass die Leute sich manchmal zurückziehen, wenn jemand etwas richtig aggressiv vorträgt. Ich glaube nicht, dass sich für viele Leute die Welt verändert hat, nachdem sie ein EARTH CRISIS-Album gekauft haben. Du musst auch in der richtigen Position sein, um gewisse Dinge aufnehmen und verstehen zu können. Manchmal kann Kunst dabei helfen. Wir behandeln halt größere Paradigmenwechsel, welche die Art über Dinge zu denken ändern, ohne besondere Problembereiche anzusprechen. Das Bush-Ding wiederum ist sooo beschissen. Die Leute sind so scheiße wütend zu Hause. (Dazu passt auch, was der Schlagzeuger Tim uns später beim Fußball (wer hat denn bitte schon mal einen Ami getroffen, der nicht nur Fußball begeistert ist, sondern sogar das 74’er Endspiel auf Video zu Hause hat?)gucken erzählte. Der machte mir die Situation in den USA mit der Aussage deutlich, dass er hier in Europa nicht nur viel mehr über Kerry erfahren kann, sondern, dass dieser quasi nicht in den (zu 80 % von Freunden der Bush Familie kontrollierten) Medien auftaucht. Das Argument, das Kerry auch nicht viel besser als Bush ist, stimmt wohl, aber was dieser Satz über den Zustand der Demokratie (?) in den USA aussagt, hat mich doch tief getroffen.) und alle in der Band sind sauer wegen Bush. Und die punkvoter Initiative (Wahlinitiative in den USA, die vom Fetten Mike persönlich initiiert wurde; einfach mal im Internet schauen), wie die organisiert ist und funktioniert, ist einfach cool. Mike hat die mit seinem eigenen Geld aus dem Boden gestampft, und sie richtet sich an eine Zielgruppe, die nicht besonders politisch ist (die amerikanischen Teenie-Punks!). Wenn es also gelingt, diese Kids zum Denken und Wählen zu bringen, kann das einen großen Einfluss haben. Denn die Leute, die politisch sind, haben schon eine Meinung und werden diese auch nicht so einfach ändern. Aber es gibt so viele Kids, die sich sagen: „Öhh, is’ doch egal. Da kann man doch nichts ändern!“ Und sich diese Gören zu schnappen und zu sagen: „Fuck you. Es ist nicht egal. Lies was und denk drüber nach! Entscheide selber, aber mach Dir wenigstens klar, das es auch in Deinen Händen liegt!“ Die ganze Organisation ist sehr cool und die Situation sehr ernst, so dass unsere kleine Einstellung von wegen etwas über den Dingen stehend nicht mehr so wichtig ist. Wir sind sehr glücklich an „Rock against Bush“ teilnehmen zu können.
[F]Irgendein Kommentar zu conservativepunk.com?
[A]Folgendes: viele Leute reden drüber, wegen punkvoter. In den Medien, wenn sie die eine Seite zeigen, müssen sie die andere auch zeigen. Und wer ist denn bitte bei conservativepunk? Michael Graves? (Und mir fällt noch Dave Smalley von DYS, DAG NASTY und DOWN BY LAW (was geht mit den Ds?) ein, aber der ist ja schon zur Unterstützung der US-Truppen mit seiner Gitarre durch die USA gezogen und hat dort CLASH-Songs gesungen. Was ja nun wieder beweist, dass der Kerl wirklich überhaupt gar keine Gehirn hat – CLASH-Songs für den Krieg? Wieso hat denn Herr Schmalei nicht „Wolfpack“ vorgetragen? Hätte doch viel besser gepasst! Aber ich schweife ab – zurück zu Jesse: Der Ersatzsänger der MISFITS? Bitte! Und kein Schwein geht auf deren Seite. Die kriegt vielleicht 1/100 oder 1/1000 der hits, die punkvoter kriegt. Aber die kriegen halt viel Aufmerksamkeit, weil CNN, oder wer auch immer, deren Seite zeigen will. Es ist echt abstoßend. Und eine andere Sache ist, dass Politik und Punkrock zusammen garantiert zum Desaster wird, denn Punker gehen natürlicherweise gegen den Strom, was auch immer gerade der Strom der Massen ist. Viele Punks geben sich konservativ, um die Leute aufzuregen. Und weil Punks auch völlige Links-Nazis sein können. Klar, dass Du versuchst die Leute aufzuregen, denn Du bist Punk, und das kann in beide Richtungen gehen. Ich finde es so cool, um noch mal auf punkvoter zurück zu kommen, dass es dort darum geht, den Leuten ihre eigene Entscheidung zu lassen, dass sie sich bloß irgendwie einbringen sollen. Das bewundere ich sehr. Dort wird eben nicht gesagt „Wählt Kerry!“ oder „Wählt Nader!“ oder was auch immer. Sie sagen bloß: "Guck dir die Situation an und wie schrecklich sie ist, und versuche Dich zu informieren! (Hier noch mal Tim, der unterstrich, wie wichtig diese Aufgabe ist, denn er sagte, dass die Menschen in den USA, also alle, auch potentiell konservative, dazu ermuntert werden, sich nicht zu informieren und nicht zu beteiligen. Das hat natürlich verheerende Folge für das Funktionieren der Demokratie! Da muss also erst der dicke Michael daherkommen und eine fundamentale Funktion der Demokratie sicherstellen! Und das im Mutterland der Demokratie, das immer noch dem Rest der Welt „seine“ Demokratie bringen will. Inzwischen sollte allen auch in Europa (ja, genau Dich meine ich!) klar werden, dass auch die innenpolitische Situation in den USA in ihrer jetzigen Ausprägung auch für uns verdammt gefährlich und bedrohlich werden kann.)
[F]Und jetzt etwas ganz anderes: ich habe gehört, es gab/gibt Interesse von Major-Labels?
[A]Das hat wohl mal gestimmt. Einige Major-Labels kamen zu uns, redeten mit uns, besuchten unsere Shows und so. Aber ich denke, sie fanden schnell heraus, dass wir nicht an Ihrem ganzen Deal interessiert sind. Wenn jemand morgen zu mir nach Hause kommt mit einem Laster voller Geld – ich bin nicht aus Stein, wenn Du verstehst, was ich meine. Aber das Ganze ist so ein Betrug! Wir haben denen gesagt: „ Klasse! Und hier sind unsere Forderungen.“ Und daraufhin die dann: „Moment!“ Wir wollen völlige Kontrolle. Alle Rechte an den Songs bleiben bei uns. Wir wollen das ganze Geld und dafür nichts geben. Nur unter diesen Bedingungen würden wir zu einem Major wechseln. Und überraschenderweise waren sie daran nicht interessiert. Die wollten uns nur als Steuerabschreibemodell oder so, weil einige Leute in L.A. über uns geredet haben. Und ehrlich gesagt ist das auch gut so. Ich bin sehr froh, dass wir nicht Teil davon geworden sind. Noch mal, falls irgendwelche Majors dies lesen (ja, genau!) und mir sehr viel Geld dafür geben wollen, nichts zu tun, dann bin ich sofort dabei, aber wir drängeln uns nicht vor, wenn es darum geht, sich zu verkaufen. Und das nicht mal wegen der ethischen Verwicklungen, sondern weil es dämlich ist. Die Art und Weise, wie Major-Labels aufgebaut sind, macht es für Bands wie der unseren so schwer, überhaupt zu überleben.
[F]Cool. Ich wollte einfach nur wissen, ob an den Gerüchten was Wahres dran ist.
[A]Sie sind wahr. Sire hat Interesse gehabt. Ich weiß, dass MCA und Warner Brothers und Universal sich uns angesehen haben und einige haben sich auch mit uns in Verbindung gesetzt. Aber keiner von denen hat die ganze Sache je ernsthaft verfolgt. Wir haben einige gratis Essen genießen können, während schmierige Typen uns zugetextet haben, aber besser wurde es nicht. Wir durften auch aufs Dach des Capitol Records-Gebäude und haben uns da fotografieren lassen.
[F]Man nimmt halt alles mit, was umsonst ist.
[A]Haargenau!
[F]Das neue Album wird also bei Fat Wreck rauskommen?
[A]Mhm (in der bejahenden Form)!
[F]Ich habe gehört, dass die Songs auf Eurem Album doch schon etwas älter sind und … (Lisa und ich reden durcheinander und werfen dabei auch noch die Begriffe record, CD und Album durcheinander, so dass sich Jesse dazu veranlasst sieht die Frage nach Vinyl oder CD und deren Verfügbarkeit in Europa mal grundsätzlich zu beantworten).
[A]Ich erzähle mal, wie das alles aussieht. Es gibt nur ein Album. Das kam vor fast zwei Jahren bei Dirtnap Records sowohl in den USA und in Europa raus. Aber es wurde hier fast gar nicht vertrieben. Dirtnap ist ein klasse Label, aber Ken hat so gut wie kein Geld. Und besonders in Europa ist sein Kram sehr schwer zu bekommen. Wir haben immer und immer wieder von Leuten gehört, dass sie unsere Sachen nicht bekommen konnten. Als wir also wussten, dass wir hierher auf Tour kommen würden, und dass unser nächstes Album auf Fat rauskommen würde, habe ich Mike gefragt, ob er den Vertrieb für das erste Album übernehmen würde. Ken fand das völlig in Ordnung. Das Ganze ist dann zwischen Fat und Dirtnap abgemacht worden. Alle sind sehr zufrieden. Wir sind glücklich, weil wir einen viel besseren Vertrieb haben und Fat kann uns, was Öffentlichkeitsarbeit und so weiter angeht, weiterhelfen. Dirtnap sind auch glücklich, weil sie wahrscheinlich durch Fat zehnmal soviel Platten verkaufen werden wie alleine. Und Fat kann den Vertrieb dazu nutzen, unsere neue Platte anzukündigen. Das Vinyl … ich hab’ gar nicht realisiert, dass Fat gar kein Vinyl pressen würde. Aber das ist eigentlich nicht so deren Sache. Als also unsere Tour losgehen sollte, hab’ ich da angerufen und sie sagten: „Es gibt kein Vinyl.“. Und ich: „Kein Vinyl?“. Aber es war zu spät. Dirtnap hatte noch welche, und ich hab’ drüber nachgedacht, die nach Europa zu schicken, aber das auch schon zu spät. Wie dem auch sei, das nächste Mal bringen wir LPs. Ich habe hier mit Radio Blast Records gesprochen (Ruhrpott, wenn mich meine Plastic Bomp-geschädigten Gehirnzellen nicht trügen) und vielleicht machen die ja das Vinyl (ich weiß hier nicht ganz, ob es um die erste s/t Platte geht oder um die neue auf Fat oder sogar um beide – lassen wir uns überraschen). Ich mag Vinyl und ich weiß, dass es in Europa eine wichtige Sache ist und ich wünschte, wir hätten welches dabei.
[F]Vielen Dank für die Aufklärung. Was ich eigentlich fragen wollte, war, ob die neuen Songs sich unterscheiden von denen der ersten Platte, schließlich liegt die schon über zwei Jahre zurück.
[A]Schwierig für mich, das zu beurteilen, aber ich denke schon, dass sie anders sind. Einige sind tanzbarer, mehr vom Schlagzeug nach vorne gebracht. Ein paar von den neuesten Songs sind … ich will jetzt nicht so weit gehen und sagen, dass sie wütender sind, aber schon intensiver und etwas düsterer. Aber sie sind immer noch definitiv EPOXIES-Songs. Ich glaube nicht, dass wir radikale Richtungsänderung vorgenommen haben, aber ich denke, dass eine Entwicklung zu erkennen ist.
[F]Hört sich doch gut an. Sieht so aus, als wenn wir fast fertig wären. Die einzig verbleibende Frage dreht sich um die Zukunft der EPOXIES und ob es bestimmte Ziele gibt, die noch erreicht werden sollen.
[A]Wäre Klasse, wenn wir nicht hungern müssten. Das ist zumindest mein erstes Ziel. Zu den Zukunftsplänen gehört, sobald wir nach Hause kommen, Songs zu schreiben und Songs zu schreiben und Songs zu schreiben, damit das Album veröffentlicht werden kann. Und im Dezember würden wir gerne wiederkommen (HURRA!) für ein paar Wochen Tour in Europa. Außerdem gibt es noch einige Orte, an denen wir touren sollten. Nach Japan möchte ich gerne, und dann müssen wir durch die Staaten touren und und und. Aber hauptsächlich geht es jetzt ums Schreiben, damit das Album rauskommt, denn wir sind da nicht so schnell.
[F]Zum Songschreiben – wer macht da eigentlich was (Lisa verbockt mit ihrer Neugier den geplanten Abschluss des Interviews)?
[A]Normalerweise bringt jemand eine Idee für einen Song mit, eine Strophe, ein Refrain oder einen C-Teil (was auch immer das ist – vielleicht ein weiterer Teil des Geheimnisses der EPOXIES: der C-Teil!) oder ’ne Melodie. Und an diesem Punkt macht dann die ganze Band weiter. Wir sitzen dann alle so rum … das ist der Grund, warum wir so langsam sind, denn jeder hat eine Idee und wir ändern dann alles, so dass die Songs oft ganz anders werden, als sie zunächst aussahen. Ich glaub von daher nicht, dass es fair wäre, eine einzige Person als den Songwriter der Band zu bezeichnen. Das ist meistens die ganze Band.
[F]Und die Texte?
[A]Meistens ich und Roxy (Sängerin; aber watt ist denn datt für ’ne Erziehung? Datt heißt Roxy und ich!).
[F]Ich denke, das war’s. Noch irgendwelche letzten Worte?
[A]Das werde ich immer gefragt und die Antwort ist: „Nein!“
[F](Wieder kann Lisa nicht loslassen, was sich ein Psychologe mal anschauen sollte.) Vielleicht könntest Du uns noch sagen, was Eure beste Show war, wenn Köln Eure schlechteste war?
[A]Hey, wenn ich das sage, dann werden vierzig andere Clubs sauer.
[F]Vielleicht ’ne Aussage unter Ausschluss der Öffentlichkeit? Oder wo hattet Ihr denn am meisten Spaß?
[A]Es gab schon echte Highlights. Letzte Nacht war klasse – AK 47 war echt spaßig. Berlin war klasse, im Wild at Heart. Das Korn in Hannover und Tübingen waren auch klasse. Valence in Frankreich war ebenfalls spaßig.
[F]Sind Dir Unterschiede aufgefallen zwischen den verschiedenen europäischen Ländern? Denn hier im Norden Deutschland gelten die Leute als etwas unterkühlt und sehr zurückhaltend, während im Süden alles etwas enthusiastischer zugehen soll.
[A]Das ist jetzt schwierig zu beurteilen, denn wir haben einige Shows in Deutschland gespielt und jeweils nur eine in anderen Ländern. Eine in Österreich, eine in Tschechien, eine in Frankreich, eine in Belgien, eine in Irland und dann einige Shows mit NOFX im Vereinigten Königreich, von daher … . Aber irgendwie kann ich das nachvollziehen. In Bezug auf die Deutschen: soweit ist das beurteilen kann und von dem, was ich bisher mitbekommen habe, ist es manche Nächte völlig super, und sie tanzen und brüllen. In den Staaten sind wir an Beleidigungen gewöhnt zwischen Band und Publikum. Das macht Spaß und hält die Energie am fließen. Aber dann gibt es auch Abende, da kommen die Leute nach der Show zu dir und sagen „Das war so cool.“ Und sie wollen Zugaben und kaufen einen Haufen (Binnenreim rules!) Merch –es muss ihnen also gefallen haben, richtig? Aber nach den einzelnen Songs kommt von denen nur „Yeah.“ (Jesse klatscht ca. 1 Sekunde lustlos in die Hände) und dann nichts mehr – Stille. Du kannst eine Nadel fallen hören, weil es so still ist. Und wir denken: „Scheiße! Watt’n hartes Publikum“ (An diesem Punkt geht der Rest der Band in Richtung Fernsehturm davon und informiert Jesse darüber, dass sie zum Star Club gehen wollen. Den Irrtum, dass der Star Club nicht zu Fuß zu erreichen ist, sondern ganz und gar nicht mehr steht, konnten wir erst später aufklären).
[Q]Ich will ja niemanden verschrecken, aber Hamburg hat sich schon des öfteren Bands gegenüber verdammt kühl gezeigt; so von wegen hinten stehen und abwarten.
[A]Für uns sind alle Städte auf dieser Tour völliges Neuland. Es gibt da so eine Art Buzz um uns (übersetzt das mal … Brummen?) und viele Leute kommen, um zu sehen, was es denn mit uns auf sich hat oder weil sie was gelesen oder gehört haben oder weil Freunde ihnen Bescheid gesagt haben. Einige Leute haben unsere Platte und sind super enthusiastisch, aber viele Leute haben auch die Einstellung: „ Na denn, zeigt mal, was ihr drauf habt.“ (Jesse macht den typischen Hamburger Konzertgänger nach: Arme verschränkt, die Nase etwas erhöht und skeptischer Blick und erheitert uns erheblich). Und die Abende sind besonders gut, an denen zunächst alle genauso drauf sind und dann fangen sie an, mit dem Kopf zu nicken und wir sagen uns „Fuck, die werden heute noch tanzen.“ (Großes Gelächter.) Diese Shows, wo die Leute uns nicht lieben wollen, wir sie aber dazu zwingen, uns zu lieben, sind die spannendsten. Wir werden also sehen, wie’s heute läuft. (Tja, meines Erachtens trat genau das ein. Trotz wenig zahlender Zuschauer (waren wohl alle bei den BOXHAMSTERS in der Fabrik, die übrigens genau den gegenteiligen Ansatz zu den EPOXIES verfolgten und sich nicht mal auf der Bühne bewegten, von einer irgendwie gearteten Bühnenshow oder Engagement mal ganz zu schweigen – Super!) ging’s am Ende doch hoch her.) Das ist unsere letzte Show heute Abend, wir können also alles rauslassen – unsere Instrumente zerkloppen, unsere Hälse aufschlitzen – es ist egal.
Tja, trotzt aller Versuche von Lisa, das Interview anarchistisch zu unterwandern, kam es doch noch zu einem runden Abschluss. Bleibt für mich noch zu vermelden, dass ich das folgende Konzert sehr genossen haben. Vor allem, weil ich seit langem mal wieder ’ne Band gesehen habe, die mehr getan hat, als bloß Songs zu spielen. Stattdessen gab es eine explosive Mischung aus Musik, Kostümen, Quatsch, Bühnenshow, Albernheiten und Performance! Völlig abgefahren und sehr unterhaltsam, ohne jemals auch nur in die Nähe der Belanglosigkeit zu geraten. Nächstes Mal solltet Ihr Euch diesen Spaß auf gar keinen Fall entgehen lassen. Und falls Ihr Euch immer noch nicht vorstellen könnt, was die EPOXIES musikalisch so machen, dann beende ich diesen Bericht mit den weisen Worten Timo Q.’s (kommt ja nicht allzu häufig vor): „Die hören sich an wie Nena auf Speed!“