Ich hatte mich ja bereits in meiner Rezension zu „Bis ans Ende der Schäbigkeit“ öffentlich zerknirscht gezeigt, dass das fulminante Debüt von TAUBEN zunächst an mir vorbeigerauscht war – was, im Nachhinein betrachtet, ein ebenso trauriges wie vermeidbares Versäumnis war. Folgerichtig hatte ich auch diverse Konzerte der Hamburger im vergangenen Jahr verpasst – was sich jedoch dringend ändern sollte. Als klar war, dass TAUBEN auf der ausverkauften MS Hedi spielen würden, setzte ich sämtliche Hebel in Bewegung, um doch noch auf das Schiff zu kommen. Und ja: Es hat sich gelohnt. In jeder Hinsicht.
TAUBEN auf der MS Hedi – viel mehr Seefahrtsromantik im Kontext deutschsprachiger Punkmusik ist schwer vorstellbar. Das Wetter? Norddeutsch durch und durch: ein bisschen Regen, viel Wind, noch mehr Wolken. Das Publikum: irgendwo zwischen Mitte Vierzig und lebenskluger Abgeklärtheit. Genau meine Leute.
Allerdings schien das Setting zunächst nicht ganz seefest zu sein: Kaum abgelegt, drehte das Schiff bei heftigem Wellengang wieder Richtung Landungsbrücken. Für einen Moment drohte die Vorstellung zu kentern, bevor sie begonnen hatte. Doch die Besorgnis wich bald kollektiver Erleichterung – der Kapitän steuerte schlicht ufernah entlang der Hafenkante. Nach etwa 30 Minuten Tuckern taumelte schließlich die Band an ihre Positionen. Sänger John Petermann eröffnete mit einem lakonischen: „Oh, nein, wir haben die Pimmelnasen vergessen! Oder hat jemand von Euch dran gedacht?“ Ratlose Gesichter. Die Bühne ebenerdig inmitten kleiner Amps, alles eng, aber keineswegs chaotisch – eher familiär, beinahe gemütlich. Man musste aufpassen, dass man bei dem Wellengang nicht aus dem Gleichgewicht geriet, und sich geschickt durch die Menge schlängeln, wenn man sich ein Bier holen wollte. Dann ging es los – mit Songs wie „Bike“ und „Asphaltrose“, zwei der frühen Songs auf dem Album „Bis ans Ende der Schäbigkeit“. TAUBEN spielten zu fünft auf engstem Raum, John im Pferdeshirt, Bassist Olaf Borchert im TRIO-Longsleeve, Keyboarder Steffen Bösenberg hatte seine Tasten mit Taubenabwehr-Spikes geschmückt – ein Detail, das in seiner lakonischen Ironie sinnbildlich für diesen Abend stand.
Was sofort auffiel: Der Sound war exzellent. Lautes, druckvolles Schlagzeug, ein knarziger Bass und fein gesponnene, melancholisch-melodischen Gitarrenlinien, die den Songs eine fast hymnische Qualität verliehen. Und John, der seine Texte live ebenso eindringlich wie auf Platte vortrug. Seine Stimme: ein Hybrid aus Rachut’scher Brüllästhetik und scharfkantiger Poesie – irgendwo zwischen Wut, Witz und Weltekel. „Für die Touristen unter Euch: Wir kommen gleich am Elbtower vorbei. Es wird da gern gesehen, wenn man sich weit aus dem Schiff lehnt und ein paar Cent möglichst nah an den Turm wirft.“ Großartig!
Es folgte eine gute Stunde Deutschpunk, der sich mühelos neben OMA HANS, DACKELBLUT, TURBOSTAAT oder KOMMANDO SONNE-NMILCH einreiht – ohne dabei je wie eine Kopie zu wirken. Kein Wunder also, dass Olaf, Betreiber von Schiffen Records, textsicher in der ersten Reihe stand und beim Mitgrölen wie ein weiteres Bandmitglied wirkte.
Zum Finale gab es noch zwei Zugaben: „Kaffee“, der Albumauftakt, gefolgt von einem neuen Stück – vermutlich mit dem prägnanten Titel „Fick dich“. Doch auch danach war kein Schluss in Sicht. Das Publikum verlangte mehr – und bekam es. Mangels weiterer Songs im Repertoire wurde kurzerhand „Kiosk“ ein zweites Mal gespielt – vom Publikum selbst gewünscht, als „hitverdächtiger“ Rausschmeißer in diesem wunderbar unkommerziellen Kosmos.
Danach lud man zum sogenannten „Kreiselkonzert“ an der Sternbrücke – und John, ohnehin schon als charismatischer Frontmann aufgefallen, entpuppte sich als ebenso nahbarer Gastgeber. Mit fast jedem Gast wurde noch geplauscht, gewitzelt, geschnackt.
Fazit: TAUBEN sind nicht einfach die nächste Hamburger Schule 3.0 – sie sind ein schäbiger Glücksfall, der zeigt, wie viel Punk im Jahr 2025 noch an Relevanz, Reibung und Restwärme zu bieten hat. Wir sehen uns nächste Woche an der Sternbrücke. Versprochen.
