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TALCO – Von wegen Bunga Bunga-Party…

Hamburg, 21. März 2013. Während sich in den Supermärkten die Schokoladenosterhasen bis unter die Ladendecke stapeln und Zweitplatzierungen von Grillsaucen und Rostbratwürstchen beim Kunden hartnäckig an die Eröffnung der Grillsaison appellieren sollen, macht der Winter dem Konzept des norddeutschen Lebensmitteleinzelhandels einen dicken Strich durch die Rechnung und hält die Region seit gut zwei Wochen fest in seinen eisigen Klauen. Tage voller Verkehrschaos, schneematschverschmierten Bürgersteigen und die dunkle Vorahnung einer exorbitanten Heizkostennachzahlung haben die Menschen mürbe gemacht und die emotionalen Energiereserven auf ein Mindestmaß herunterfahren lassen. Somit kam das TALCO-Konzert in der Fabrik gerade recht als adäquates Heilmittel gegen verschleppte Winterdepressionen, denn die Italiener gelten mit ihrem folkloristisch geprägten Ska-Punk zurecht als absoluter Stimmungsgarant!
Weniger Probleme mit den herrschenden Temperaturen dürften an diesem Abend dagegen die ebenfalls aufspielenden Mitglieder von DISTEMPER gehabt haben, denn als waschechte Moskauer sollten sie strenge Winter eigentlich gewohnt sein. Dementsprechend brauchten sie auch keine lange Aufwärmphase, um eine energievolle Bühnenpräsenz an den Tag zu legen. Obwohl ich mir die Band immer mal wieder gerne von Tonträger anhöre, habe ich es bislang noch nie geschafft, sie live zu sehen und war von ihrem professionellen Auftreten positiv überrascht: Gekleidet in einem einheitlichen Tartanmuster-Look und mit fast schon choreographiert wirkenden Tanzeinlagen sowie einem dauertanzenden Hunde-Maskottchen auf der Bühne lieferten sie eine beachtenswerte Performance ab. Ein weiterer Blickfang ist zudem der Sänger, der mit gut anderthalb Meter langen Dreadlocks, Melone und Rauschebart wie eine Mischung aus Jack Sparrow, Clockwork Orange-Drogie und Ex-TURBONEGRO-Frontmann Hank von Helvete wirkte und bekanntlich mit einer beeindruckenden Wodka-Stimme gesegnet ist. DISTEMPER gelten nicht zu Unrecht als „Russlands Antwort auf die MIGHTY MIGHTY BOSSTONES“ und feuerten einen Ska-Punk-Knaller nach dem nächsten ab, ehe der Auftritt mit „Moscow Reggae“ sowie einer Coverversion des SHAM 69-Klassikers „If the kids are united“ würdig beendet wurde.
TALCO eröffneten ihren Teil des Abends mit dem gleichnamigen Opener ihres aktuellen Albums „Gran gala“, und ab diesem Zeitpunkt gab es unter den über tausend Zuschauern kaum jemanden, der in der Folgezeit nicht in irgendeiner Weise rhythmisch im Takt zuckte. Stücke wie „Danza dell´autunno rosa“, „Il mio tempo“ oder „Punta raisi“ riefen zudem unzählige Stagediver auf den Plan, wobei es auch zu einem kuriosen Zwischenfall kam, als eine etwas beleibtere junge Dame die Bühne erklomm. Nachdem sie sich zuerst nicht getraut hat zu springen, ließ sie sich schließlich wie ein nasser Sack mit allen vieren von sich gestreckt nach vorne fallen und wurde zunächst von vier bis fünf Zuschauern aufgefangen. Mangels Dynamik brachen nach einigen Sekunden allerdings die menschlichen Stützpfeiler nacheinander weg und es kam wie es kommen musste: Das Mädels krachte auf den Boden und begrub dabei den letzten verbliebenen, eher schmächtig veranlagten Träger unter sich. Bis auf den einen oder anderen Zwerchfell-Muskelkater auf Seiten der Umstehenden kam es jedoch glücklicherweise zu keinen nachhaltigen körperlichen Schäden… Nachdem das alte Partisanen-Stück „Bella ciao“ traditionell den Höhepunkt des Konzertes gebildet hatte und auch das vom Publikum eingeforderte „St. Pauli“ gespielt wurde, war es an der Zeit aufzubrechen. Draußen war zwar immer noch Winter, aber zumindest für diesen Abend schien das niemanden der Anwesenden mehr zu stören.

Bernd Cramer

Konzert-Junkie & Vinyl-Liebhaber. Schreibt über Musik, ohne zu Architektur zu tanzen.