Zwei Jahre nach dem hochgelobten Debüt legen SIVA. aus Berlin einen ebenbürtigen Nachfolger ab. „Same sights, new light“ zeigt auf, dass große, melodramatische Bands nicht nur aus Übersee oder Weilheim kommen und schaffte es bei uns bis zum Album-Tipp.
Vor dem Konzert in der Prinzenbar wollte ich ein Interview mit der Band über den Stand der Dinge und ihr famoses neues Album machen. Aber wie es nun mal so kommt, laufen die Dinge anders als geplant und das Interview musste mit Sänger und Gitarrist Andreas per Mail nachgeholt werden, da mein Diktiergerät seinen Dienst verweigerte.
[F]Die Presse vergleicht euch ja gerne mit ganz großen Bands: RADIOHEAD, COLDPLAY, THE NOTWIST und MUSE werden nicht selten als Referenz genannt. Was denkt ihr, wie es dazu kommt, schmeicheln euch diese Vergleiche, oder üben sie auch einen gewissen Druck und hohe Erwartungshaltungen aus?
[A]Derartige Vergleiche sind natürlich schmeichelhaft, aber auch letztendlich nur Teil der Wahrnehmung von außen. Wir freuen uns, wenn man derart angesehene Bands als Referenzpunkte für unser eigenes Schaffen heranzieht, allerdings ist das nicht ausschlaggebend für unsere eigene Wahrnehmung, was unsere Musik betrifft. Alles, was wir tun können, ist die Songs, die uns in die Hände fallen, so zu formen, dass sie uns gefallen. Wie diese dann beim Publikum ankommen, liegt nicht in unserer Hand und übersteigt ja auch die Verantwortung, die wir tragen möchten. Wir wollen unsere Sache gut machen und versuchen, den Kopf frei von Vergleichen zu haben, wenn wir schreiben, aufnehmen und produzieren. Es gibt klare Referenzen, die wir auch selbst bemerken, diese schleichen sich aber auf natürlichem Wege ein in unsere Musik… wir sind ja alle große Plattensammler und Musikliebhaber. Unsere Einflüsse kommen daher aus den unterschiedlichsten Richtungen. Das ist vielleicht ein Punkt, in dem sich unsere Wege mit anderen Bands kreuzen. Ich habe mal gelesen, gute Songs sind immer Songs über Lieder, die man schon mal gehört hat. Das fand ich interessant. Unsere Art Songs zu machen, ist nicht unbedingt gebunden an die Orte, an denen sie entstehen, vielleicht hat sie dadurch über die Jahre hinweg ein wenig an internationalem Charakter gewonnen. Das können wir selbst nicht recht beurteilen. Wenn also solche Vergleiche fallen, sind wir ehrlich gesagt auch oft überfragt. Aber es ist für uns sehr spannend zu sehen, wie unsere Musik empfunden wird.
[F]Ich las, dass SIVA. als „bandgestützte Soloidee“ bereits Anfang des Jahrtausends entstand und erst kürzlich zu einer „richtigen“ Band herangereift ist. Was genau hat sich im Laufe der Bandgeschichte gewandelt, und wie äußert sich das auf die Zusammenarbeit?
[A]SIVA. war nie eine Soloidee im eigentlichen Sinne. Wir begannen 2001 damit zu schreiben und erste Konzerte zu spielen, aber über die Jahre hinweg gab es einige Hürden und Besetzungswechsel, die die Entwicklung der Band verlangsamten, zwischenzeitlich sogar mich als einzige Konstante in der Besetzung zurückließen. Nach der Fertigstellung unseres ersten Albums saß ich allein auf einem Debütalbum einer Band, die an sich selbst zerbrach. Glücklicherweise änderte sich alles zum guten an diesem Punkt, und seit zwei Jahren haben wir zu uns selbst gefunden in einer neuen Besetzung, die viel reichhaltiger ist an Ideen und sehr viel unbedarfter in der Umsetzung. Unsere Arbeitsweise ist ein Prozess, der durch Suchen gezeichnet ist. Der Weg als Ziel, auf dem alles entsteht. Immer wenn wir beginnen, an neuen Songs zu arbeiten, ist nie klar, wohin das alles führen mag. Wir treffen die Entscheidungen gemeinsam, und alles fällt meist von allein an seinen Platz, die Songs diktieren sich also fast wie von allein.
[F]Der Titel „Same sights, new light” klingt nur nach wenig Veränderung. Was ist die Aussage dahinter, und inwiefern gibt es einen persönlichen Bezug?
[A]Da sind wir selbst offen für jeden Interpretationsvorschlag. Kern der Platte ist der Gedanke der Veränderung, die man in sich bemerkt. Die veränderte Wahrnehmung von Dingen, die um einen kreisen. Nimm die Orte, an denen du als Kind warst! Erinnerung und Zeit machen aus ihnen etwas ganz anderes als das, was man bemerkt, wenn man sie wieder aufsucht. Altes beginnt wieder zu atmen, und man schafft neue Bezugspunkte für sich. Mit Abstand betrachtet kommt man oft zu anderen Erkenntnissen. So fällt dann neues Licht auf Dinge, die man glaubt, bereits gekannt zu haben, weil man selbst an neuen Perspektiven gewonnen hat. Ich denke, wir sind als Band auch bei der Arbeit am neuen Album durch diese Erkenntnis an uns gewachsen.
[F]Zwei Viertel der Band arbeiten ja nebenbei als Produzent. Hat euch das in eurer Entscheidung bestärkt, diesmal selbst aufzunehmen und nicht wieder zu Thom Kastning (KATE MOSH) zu gehen?
[A] Die Arbeit an der ersten Platte mit Thom war wunderbar und hat uns bereichert auf vielen Ebenen. Wir arbeiteten eng zusammen und haben das Debüt zusammen produziert. Dafür sind wir unheimlich dankbar. Für die neue Platte war uns allerdings klar, dass wir sie im Alleingang bewältigen wollen, und somit haben wir dieses Mal auf einen externen Produzenten verzichtet. Wir nahmen alles selbst auf und mischten ebenfalls. Der Masteringprozess war der erste Moment, an dem wir zusammen mit jemandem außerhalb der Band an der Platte arbeiteten. Und dann war sie ja auch schon fertig. Das haben wir in der Bandgeschichte bisher nie gewagt, daher freuen wir uns umso mehr über die fertige Platte.
[F]Eure Cover gestalten sich immer sehr farbenfroh, während eure Musik von vielen Leuten als melancholisch, zum Teil sogar als traurig beschrieben wird. Stellt die graphische Gestaltung einen bewussten Kontrast dar? Wie nehmt ihr eure Musik selbst wahr?
[A]Es ist kein bewusster Kontrast zu unserer Musik. Unsere Freundin und Illustratorin Romy Blümel, mit der wir am Artwork gearbeitet haben, schafft für uns durch ihre Interpretation eine weitere Ebene. Für uns ist das Artwork ein sehr wichtiger Bestandteil. Von daher sind wir immer bestrebt, dass alles schlüssig ist für uns und ineinander greift. Bei der ersten Platte sollte die Suche thematisiert werden, Romy hörte die fertige Platte und reagierte direkt darauf. Beim neuen Album entstand das Artwork parallel zur Musik, was die Arbeitsweise natürlich stark beeinflusste. Jedes Mal, wenn wir uns trafen, gab es neue Musik, und Romy präsentierte uns neue Bilder. Wir selbst empfinden in unserer Musik genauso viel Euphorie wie auch Trauer und Verletzbarkeit, ich denke, wir bewegen uns dazwischen und pendeln hin und her, ganz wie es der Song eben verlangt. Wir sehen also selbst eher Parallelen zum Artwork als Kontraste, die Bilder komplementieren die Musik für uns auf eine sehr unbefangene Weise. Romy arbeitet da ähnlich wie wir – man reagiert auf das, was vor einem liegt, spontan, die ersten Ideen sind fast immer die richtigen. Wenn man loslässt, dann fügt sich alles sehr schnell zusammen. Deswegen war es uns auch wichtig, die neue Platte in einem kurzen Zeitraum zu verwirklichen, weil wir uns nicht verstricken wollten in Zerwürfnissen, sondern in einem Prozess alles fertig stellen wollten. Natürlich läuft das nicht unproblematisch ab, weil man sich selbst viel Druck macht. Das trug aber auch dazu bei, dass man sich konzentrierte. Songwriting und Produktion waren ein Arbeitsweg. Wenn wir eine Idee hatten, hielten wir sie fest und arbeiteten am nächsten Tag daran weiter. Solange bis alles fertig war.
[F]Nebenbei seid ihr ja noch u.a. bei I MIGHT BE WRONG und in diversen anderen musikalischen Projekten bzw. solo aktiv, arbeitet teils kommerziell als Produzenten, produziert Filmmusik, etc. Ein sehr umtriebiges musikalisches Umfeld. Erschwert oder erleichtert das die gemeinsame Arbeit, wenn es ans Songwriting geht?
[A]Obwohl wir alle in der Band mit vielen Projekten beschäftigt sind, ist doch SIVA. für uns das, worum alles kreist. Das ist der Ort, an dem wir uns einfinden und zusammen schreiben können. Das unterscheidet sich zum Teil sehr stark von der Art und Weise, wie man sonst komponiert und arbeitet, ist aber immer ein sehr intensiver Prozess. Durch die anderen Projekte verschärft sich ja auch ebenfalls der Blick auf SIVA. da man ja auch immer klarer abstecken kann, was die Band für uns ermöglicht und was wir für Ideen in sie einbringen. Meine Rolle in I MIGHT BE WRONG ist zum Beispiel eine komplett andere als die, die ich bei SIVA. Einnehme. So weiß man jedes Projekt zu schätzen und ist sich bewusst, inwiefern sie sich voneinander unterscheiden. Von daher ist es natürlich bereichernd, wenn man so umtriebig arbeiten kann, sich austobt und mit den unterschiedlichsten Ideen befasst mit unterschiedlichen Konstellationen. Jeder bringt neue Erfahrungen mit und treibt somit alles voran. Ich denke, das macht das Arbeiten an neuen Stücken zu gleichen Teilen interessant und einfacher, aber es schafft auch Reibungspunkte, da man sich ständig mit neuen Ideen konfrontiert, die zum Teil vorher nicht möglich waren. Wir wissen nie, was als nächstes kommt.
[F]Ich hörte erst kürzlich, dass euer Bandname sich doch so ausspricht wie die göttliche Figur des Hinduismus. Hat der Name „Siva“ auch etwas mit der Shiva des Hinduismus zu tun? Immerhin heißt es, dass sie das „Prinzip der Zerstörung“ verkörpert.
[A]In der Tat. Ich denke, es ist wichtig, dass man Fehler und Risse im Bild akzeptiert, womöglich sogar verwirft und neu ansetzt, um in Bewegung zu bleiben. Auf einer meiner Lieblingsplatten von CPT. KIRK & heißt es „Niemand hat hier irgendwas zerstört, wenn er wieder aufbauen kann“… ich sehe das ähnlich. Wenn man dem folgt, was einen antreibt, dann muss man sich auch eingestehen, wenn man neue Wege gehen oder von vorne anfangen muss. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, einen Song zu machen. Das ist das spannendste für uns. Wenn aus Fragmenten sich plötzlich etwas ergibt, mit dem wir so nicht aus dem Proberaum gekommen wären… wir geben den Ideen Raum. Und wenn etwas nicht funktioniert, sucht man sich einen anderen Weg, damit umzugehen.
Der Bandname bezieht sich auf den Song „Siva“ der SMASHING PUMPKINS. Ich las damals das Wort und schaute nach der genauen Bedeutung, die mich sehr inspirierte. Ich mochte es. Wir benannten uns in diesem Sinne eher nach der Idee, die der Name mit sich bringt, weil er unsere Arbeitsweise und unseren Umgang mit der eigenen Musik gut reflektiert. Und er sieht schön geschrieben aus. Haha!
[F]Ihr habt zu Beginn ja fast monatlich in Berlin gespielt und euch erst in den letzten beiden Jahren in der Hauptstadt etwas rarer gemacht und auf Konzerte außerhalb Berlins konzentriert. Ist es anders in Berlin als im Rest der Welt, was gefällt euch mehr? Und welche Bedeutung hat der Begriff „Heimat“ für euch?
[A]Konzerte in Berlin sind nach wie vor etwas sehr spannendes für uns. Man sieht bekannte Gesichter und freut sich darauf, so viele Freunde im Publikum zu haben. Man spielt zu Hause und will sich von seiner besten Seite zeigen, im gleichen Maße, so wie man zeigen will, dass man vorankommt mit dem, was wir tun. In anderen Städten besteht der Nervenkitzel viel mehr darin, neue Orte für sich zu erschließen und Leute zu treffen, die vorher nicht mit unseren Songs in Berührung gekommen sind. Das ist jedes Mal sehr spannend. Unsere Musik selbst ist nicht wirklich heimisch irgendwo, denke ich. Also, sie klingt für mich irgendwie nicht wirklich nach Berlin, was immer das heißen mag. Ich fühle mich selbst nicht so richtig an die Stadt gebunden, obwohl ich schon immer in Berlin lebe. Heimat ist für mich ein sehr weites Feld, das kann auch genauso ein Ort sein, an dem ich mich einfach nur wohl fühle, ganz egal, ob ich eine konkrete Verbindung dazu habe. Und es gibt eine Menge Orte, an denen wir uns wohl fühlen können, das zeigt jede Tour aufs neue. Ein Grund mehr sich auf die Herbsttour im September und Oktober zu freuen!
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