Wir sitzen so vorm Molotow und trinken Bier. Bei sonnigen Temperaturen mag man diesen Ort kaum verlassen, und so kriegen wir die ersten Songs von RVG auch nur von draußen mit. Wobei man zu unserer Entschuldigung sagen muss, dass der Platz vorm Molotow nicht der schlechteste ist, da die Musik auch per Lautsprecher nach draußen übertragen wird. Doch RVG machen ihren Job als Support für SHAME nicht schlecht, was bei dem derzeitigen Hype um die Briten keine leichte Aufgabe ist. Dabei leben die Australier insbesondere von der Erscheinung und der heiseren Stimme ihrer Frontfrau Romy Vager (daher auch der Name RVG – ROMY VAGER GROUP), der einen schönen Kontrast zu dem melodischen Songwriting und den relativ cleanen Gitarren bildet. Und so klingt die Band aus Melbourne auf der einen Seite sehr nach den Achtzigern (ihre Landsleute von den GO-BETWEENS lassen grüßen), wenn nicht gerade die CRAMPS oder AGAINST ME um die Ecke schauen. Das Debütalbum der Australier ist derzeit nur über Import zu beziehen, soll aber ab Anfang Juli auch über hiesige Mailorder zu vernünftigen Preisen verfügbar sein.
Der Trend um SHAME brach bereits etwa anderthalb Jahre vor dem Release ihres Debütalbums los. Ich erinnere mich noch allzu gut, dass ich auf dem Reeperbahn-Festival 2016 von mehreren Seiten hörte, dass ich mir diese Jungspunde aus dem Süden von London unbedingt angucken sollte, was ich dann auch tat. Nicht zu Unrecht wurden die Briten gleichzeitig für den neu geschaffenen Reeperbahn Festival-Award nominiert, hatten dann allerdings einen ziemlich ungünstigen Slot um die Mittagszeit herum in der Molotow Sky Bar. Doch der rüpelige Auftritt von damals blieb eindrucksvoll in Erinnerung, das Debütalbum erhielt durchweg positive Rezensionen, und so war es nicht allzu verwunderlich, dass auf ihrer ersten Tour durch Deutschland nicht nur die Show im Molotow bereits im Vorfeld ausverkauft war. Aber in den vergangenen anderthalb Jahren hat sich einiges geändert. Sänger Charlie Steen kommt nicht mehr ganz so „bedrohlich“ rüber, wie es ein guter Freund von mir nach dem Auftritt ganz zutreffend formulierte, stattdessen wechselt seine Kommunikation mit dem Publikum ständig zwischen Kumpelhaftigkeit, Ironie, Provokation und britischem Humor: „Do you love England, you beautiful Germans? Yes? I fucking hate England. Just joking.”
Außerdem nehmen seine vier Mitmusiker mittlerweile einen wichtigen Part auf der Bühne ein. Wenn beispielsweise Bassist Josh Finerty nicht gerade seine heiseren Backing Vocals ins Mikro schreit, hüpft er wie ein Flummi über die Bühne, während Gitarrist Sean einen Handkuss an eine ältere Frau verteilt, die von draußen durch die große Schaufensterscheibe ins Molotow guckt. Vor allem lebt die Musik von SHAME aber von den hallenden New Wave-Gitarren, die keineswegs im Widerspruch zu Charlies kraftvollem Schlagzeugspiel stehen. Und so bedienen SHAME viele verschiedene Geschmäcker. Neben JOY DIVISION-Fans und Noise-Rockern kommen mit Songs wie „Angie“ und dem famosen „One Rizla“ sogar Indiepop-Fans auf ihre Kosten, und so überrascht es nicht, dass sich nach ihrem Konzert am Merchtisch junge Mädels neben gealterten Punks die Platten bzw. Dekolletés signieren lassen. Im Dezember kann man die Jungs wieder hierzulande sehen – dann sogar schon im großen Uebel & Gefährlich. Es geht also weiter steil nach oben. Oder wie es der Musikexpress ausdrückte: „Dank Bands wie dieser wird Punk niemals dead sein.”