„Klingt wie aus einer anderen Welt“ bietet sich als Phrase für etwas ganz Anderes, vielleicht sogar Abgefahrenes an. Wenn SAFFRONKEIRAs Musik klingt wie aus einer anderen Welt, dann ist diese ein Paralleluniversum, das unserem sehr ähnelt. Was die Sache aber bei genauerem Hinhören – dann, wenn man plötzlich und unerwartet auf die kleinen, aber verstörenden Unterschiede stößt – erst richtig gruselig macht.
Damit meine ich: Die hier eingesetzten Elemente – spröde Beats, übersichtliche Klaviermelodien, verfremdete Stimmen, Verstärkerbrummen, gesamplete Streicher, Störgeräusche und Synthesizerflächen – kommen auch Electronica-Gelegenheitshörern wie mir schnell bekannt vor. Scheinbar vertrautes Terrain. Wie hier aber Beats und Sounds zusammengebogen werden, ineinander über- oder auch auseinander hervorgehen, scheint mir völlig neuartig zu sein. Oft lösen zunächst zusammenhanglos wirkende Ideen einander ab, um dann plötzlich doch, zu einem sinnvollen Ganzen zusammengewachsen, wieder miteinander aufzutauchen. So werden im Stück „Intrepidation“ langsames, digitales (?) Knistern, verfremdetes Pochen, das Geräusch von etwas, das klingt wie ein komplizierter Schließmechanismus, Vogelgezwitscher und möglicherweise Glockenläuten miteinander verbunden. Irgendwann sorgen dann Töne, die aus einem Mellotron kommen könnten, für eine gewisse Leichtigkeit und nach und nach etabliert sich sogar über verwirrende Umwege ein Beat. Wirkt in dieser Beschreibung zusammengeschustert, hört sich aber überraschend rund an.
Bemerkenswert ist, dass bei allem Quietschen und Schaben, Klappern und Grollen, Dröhnen und Flüstern alles durchgehend transparent klingt. Die Geräusche werden sinnvoll arrangiert statt einfach nur übereinander geschichtet, so dass die Kompositionen trotz ihrer Weirdness immer genug Luft zum Atmen haben.
Die CD-Variante des Albums besteht aus zwei Teilen – „Old life“ und „New life“ – die zusammen etwa 140 Minuten dauern und in einem schönen Digipak untergebracht sind. Auf Vinyl füllen beide Teile jeweils ein Doppelalbum. Bei aller Ähnlichkeit wirkt „Old life“ auf mich etwas massiver, auch grober und Industrial-lastiger als der zweite Teil, während „New life“ auf angenehmeres Soundmaterial zurückgreift, dieses etwas vorsichtiger zusammenfügt und so insgesamt zarter und zugänglicher rüberkommt.
Natürlich versucht man beim Hören, das durch die Alben- und Songtitel und die Schwarz-Weiß-Fotos vermittelte Konzept vom Leben vor und nach der Geburt auf die Musik zu übertragen: Was bekommt der noch ungeborene Mensch von seiner Umwelt mit? Und wie unterscheidet sich seine Wahrnehmung kurz nach der Geburt von der eines Erwachsenen? Wie schnell fügen sich die vielen Einzeleindrücke zu einem Ganzen zusammen? Vielleicht kommt der akustische Overkill hier solchen Erfahrungen nahe – was zunächst einfach nur merkwürdig ist, lässt sich dann nach und nach doch irgendwie verarbeiten.
Keine Ahnung, wie ich dieses Klangungetüm bewerten soll. Ich weiß noch nicht mal, ob das hier schön ist oder doch was anderes. Diese Musik ist so raumgreifend, fordernd, als würde sie tatsächlich eine ganze Parallelwelt für sich beanspruchen. Mir ist das manchmal unangenehm, so wie manche Träume übermäßig realistisch sind, aber mit Unvollkommenheit hat das ja nichts zu tun. Von daher bleibt mir nur die Höchstwertung. Wer weiß, was mich sonst heimsucht.