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Reeperbahnfestival 2012 (Hamburg)

Es muss gespart werden. Das wissen nicht nur die Griechen, das wurde uns bereits als kleines Kind im Knax-Club gelehrt. Und das bemerkten wir von blueprint leider auch auf dem diesjährigen Reeperbahn-Festival, als nur noch eine Person akkreditiert werden konnte. Aber so ist das nun mal mit den Online-Magazinen – wir freuen und bedanken uns natürlich, dass es überhaupt geklappt hat. Allerdings findet ihr deshalb in diesem Jahr leider nur einen recht begrenzten Bericht, weil man allein nur einen kleinen Teil des Festivals verfolgen kann. Wir bitten dies zu entschuldigen.
Bereits zum siebten Mal gab es auf dem Reeperbahn-Festival die Gelegenheit, sich über die neuesten Bands zu informieren, die teils kurz vor dem Durchbruch stehen, aktuell aber noch in kleinen Clubs zu bestaunen sind. Und ein paar alt gediente Sachen wie die JON SPENCER BLUES EXPLOSION und STEREO TOTAL gab es auch zu begutachten. Vor allem aber ist das Reeperbahn-Festival ein Highlight im jährlichen Terminkalender aller Musik-Entdecker, wurde doch so ziemlich für jeden Geschmack etwas geboten. Und es gab vor allem Sparten-Programme. Dass man in der Hasenschauel vornehmlich Singer/Songwriter sieht, ist klar, ebenso erwartet man im Neidklub sicherlich kein Heavy Metal, besonders war aber zum Beispiel am Donnerstag ein Klassik-Abend im Grünspan und Jazz in der St. Pauli-Kirche. Insgesamt mehr als 250 Konzerte standen zur Auswahl, 40 künstlerische Programmpunkte der Rubrik „Arts“ und diverse Veranstaltungen, die sich mit der Musikindustrie im Allgemeinen auseinander setzten.
Wir starteten am Donnerstag auf der frei zugänglichen Stage East, wo es kurze Showcases diverser Bands gab. Unser Halt galt EINAR STRAY aus Norwegen, die bezaubernde Songs zwischen Indie und Folk spielen – leider war die Musik so leise, dass man ganz eng zusammenrücken musste, um etwas zu hören. Aber vielleicht auch ganz gut so, wenn man eine bestimmte Stimmung erschaffen möchte. Wem das gefiel, hatte die Gelegenheit, die Band am Samstag in der St. Pauli-Kirche noch mal länger zu sehen – das dortige Konzert soll übrigens großartig gewesen sein.
Weiter ging es in die Hasenschaukel. ME AND OCEANS – Mann und Maschine. Sehr reduziert kam die Musik von Fabian Schütze rüber und lebte bei aller Reduktion vor allem von seiner tollen Stimme. In der Hasenschaukel galt jedoch mal wieder: wer nicht rechtzeitig da ist, muss sich mit einem Platz vor dem Schaufenster zufrieden geben.
REBEKKA KARIJORD in der Prinzenbar erinnerte mich ein wenig an ME AND MY DRUMMER. Eine ausdrucksstarke Stimme und indiepoppige Musik, leider auch manchmal nicht ganz weit vom Grand Prix d’Eurovision entfernt. In Angie´s Nightclub überzeugte derweil der junge JAMES BUGG sein Publikum mit einer Stimme, die man dem 18jährigen Briten, der aussah wie 14, so gar nicht zutrauen mochte. Irgendwo zwischen Country, Singer/Songwriter und Americana.
Das diesjährige Programm erlaubte dazwischen einen kleinen Abstecher in Hedis Landgang, wo am selben Abend DIGGER BARNES auftrat. Ich kann sein aktuelles Album „Every story true“ gar nicht genug über den Klee oben, so großartig ist es. DIGGER BARNES und seinen Visuals-Kumpanen PENCIL QUINCY könnt ihr übrigens noch bis Ende November in der Bremer Schwankhalle mit dem multimedialen Theater „Krieger“ sehen. Sehr empfehlenswert! Und demnächst folgt hier noch ein Interview mit dem Guten.
Zurück auf dem Kiez mussten wir feststellen, dass SPLEEN UNITED im Café Keese leider noch mit technischen Problemen zu kämpfen hatten. Wir hätten zwar wirklich Lust auf die Kopenhagener gehabt, deren Video zur Single „Suburbia“ angenehm an FRIENDLY FIRES und Co erinnert, aber dafür gibt es einfach zu viel Konkurrenzprogramm, als dass man Zeit vertrödeln sollte. Also rüber in die Molotow Bar zu SHIELDS. Eine weise Entscheidung, denn die Briten waren schön indiepoppig und gleichzeitig musikalisch so versiert, dass es die reinste Freude war. Fast niedlich, wie der Gitarrist um ein Bühnenbier bat und dafür pflichtbewusst seine Pfandmarke durchs Publikum reichte.
Ich gebe es zu – bei LENA MEYER-LANDRUT (die sich jetzt nur noch LENA nennt) reinzuschauen, hatte etwas Voyeuristisches. Aber man war zugleich erstaunt, wen man so alles traf. „Ich soll LENA gut finden? Quatsch, ich wollte nur mal kurz reinschauen.“ Ja, ja. Gut war es allerdings wirklich nicht und ihre Ansagen zwischen den Songs ungewöhnlich verkrampft und stilistisch von Helge Schneider kopiert. So teilte sich das Publikum auch in LENA-Fans und, seien wir mal nett, Neugierige.
Zum Abschluss des ersten Tages kehrten wir noch mal zurück in Angie´s Nightclub für SOCALLED. Was war das denn bitte? Eine Show, die alles beinhaltet von HipHop, Zauberei, Klezmer, Klassik und Klamauk. Wie das zusammen gehen soll? Ich kann es euch wirklich nicht erklären, aber es ging. Und es war sehr lustig. Schaut hier:
http://vimeo.com/17700747#at=216

Freitag, 21. September
Der zweite Tag begann ziemlich grau. Nicht musikalisch, sondern wettertechnisch. Passend dazu trat auf der Bühne vorm Molotow eine Band mit dem Namen HUSKY auf. Doch die kamen nicht aus dem kalten Alaska, sondern aus Melbourne, und ihre Musik klang angenehm verhuscht, harmonisch und eher skandinavisch als australisch. Das Publikum fand´s gut.
In der Hasenschaukel spielten danach EVA & MANU. Ein Paar, Mann und Frau, das sich beim Reisen durch Europa kennengelernt hat. Er Amerikaner, sie Finnin, die von ihren Erlebnissen berichten und auch gesanglich ein tolles und sympathisches Duo abgaben. Großartig. Ich bezweifle jedoch, dass sie genug CDs für den Verkauf dabei hatten.
In der St. Pauli Kirche spielten in eindrucksvoller Kulisse und mit toller Beleuchtung AMATORSKI aus Belgien. Vergleiche mit SIGUR RÓS mögen zwar grundsätzlich zutreffen, live fehlten uns aber die Ecken und Kanten, die ihre Musik besonders macht. So fußten ihre Songs zwar auf abwechslungsreiche Beats, die Gitarrenloops und das übrige Songgerüst sorgten jedoch nicht für eine Offenbarung. Auch in der Prinzenbar legten wir nur einen kurzen Zwischenstopp ein, weil NO CEREMONY aus Manchester viel zu laut und auch zu simpel waren. Wie unterschiedlich Musik doch live und daheim rüberkommen kann. Gleiches galt für FENSTER im Imperial Theater, die zwar mit einem antiken Bügelbrett als Keyboard-Ständer beeindruckten, aber musikalisch nur lahmen Indie boten. Optisch very nerdy, musikalisch very boring.
Mehr Action gab es dagegen im Café Keese mit EWERT AND THE TWO DRAGONS. Die Musik von Ewald und seinen beiden Drachen lebte vor allem von den kräftigen Stimmen der Esten. Wenn man das nächste Mal zum entfernten Gastspiel nach Hamburg reist, dürften einige Anwesende sicherlich im Schneeballprinzip für weitere Zuschauer sorgen. Genauso machte ich es im Anschluss daran mit SHIELDS, die ich zwar gestern erst gesehen hatte, aber die mir so gut gefallen hatten, dass ich allen Freunden davon berichtete und mit in die Prinzenbar schleppte. Tolle Band, leider folgt das Debütalbum erst noch. Sollten sich alle Fans von den FOALS, FRIENDLY FIRES, THE CADS usw. schon mal vormerken.
Auch vermerken sollte man sich den dritten November. Denn da spielen SPRING OFFENSIVE wieder in der Molotow Bar, die sie an diesem Abend absolut in ihren Bann zogen. Sahen die Jungs so aus, als ob sie just die Schulbank aus Oxford und den dortigen Knabenchor verlassen hätten, standen sie nun zwar etwas nervös auf der engen Bühne, beeindruckten aber durch mehrstimmigen, klaren Gesang und vertrackte Gitarren. Mittendrin ein A capella-Song inmitten der Zuschauer. So schafft man sich Freunde. Merken: Klingen wie IN GOLDEN TEARS gerne klängen.
Diesen guten Eindruck der letzten beiden Bands wollten wir uns nicht mehr nehmen lassen und machten uns auf den Rückweg. Für den zweiten Tag sind da auch genügend Kilometer zusammengekommen.

Samstag, 22. September
Der dritte Tag begann mit dem obligatorischen Posterkauf auf der alljährlichen Flatstock Poster Convention. Gefolgt von einem Instore-Gig bei Zardoz mit keinem Geringeren als JON SPENCER und seiner BLUES EXPLOSION, der einen kleinen Einblick in das neue Album und den Auftritt am Abend in der Großen Freiheit gewährte. Nur dass am Nachmittag ganze Familien anwesend waren, was JON SPENCER mit einem lakonischen: „Irgendwelche Signierwünsche? CDs, T-Shirts, Kleinkinder?“ quittierte.
FRAU POTZ haben sich im Laufe des letzten Jahres immer mehr in meinen Bekanntenkreis gedrängt, was sicherlich daran gelegen haben könnte, dass sie auf dem Label eines Freundes veröffentlichten und auf dem Omas Teich an unserem Stand gekocht haben (http://www.youtube.com/watch?v=QtA5pzCm8e4). Etwas unangenehm jedoch, dass ich erst heute Abend bemerkte, dass Felix in dieser Band nicht nur singt, sondern auch Gitarre spielt. Was bei einem Trio ja nicht ganz unwahrscheinlich ist, wenn ich mal nachgedacht hätte. Und sie waren eine Spur rockiger als ich nach ihrer Single „Ach, Heiner“ vermutet hätte.
Im Molotow spielte indes offensichtlich „The next big thing“ wie die lange Schlange vor der Tür verriet. „Sorry, Einlassstopp.“ „Gilt das auch für oben?“ „Ach so, nein. Oben kannste reingehen.“ Schon passiert und ein paar Minuten später ab nach unten. Gewusst wie. LAST DINOSAURS hieß die Band aus Australien, war zum ersten Mal in Deutschland und brachte die Menge mit eingängigen Songs und zackigen Rhythmen zum Kochen. Auch im Netz werden die Jungs heiß gehandelt, wie ihre letzten Alben zeigen, die offenbar nur überteuert über Import zu beziehen sind.
TANGARINE in der Hasenschaukel waren hingegen ein Fehlgriff. Außer man hat ein Faible für die BEE GEES und SIMON & GARFUNKEL. Ich nicht, also schnell wieder weg. Da in meinem Zeitplan nun erstmal eine Lücke herrschte, schlenderte ich noch mal über die Poster Convention und traf Senor Burns, der in Süddeutschland umtriebig ist und unter anderem Poster für WE FADE TO GREY und KENZARI´S MIDDLE KATA gemalt hat. Ein angenehmer Zeitgenosse. Herrn Burns treffe ich ca. einmal pro Jahr – immer in Hamburg, immer auf der Poster Convention. Vielleicht sollte ich ihn auch mal in München besuchen.
Die Schlange vorm Docks deutete darauf hin, dass hier bald TEMPER TRAP spielen würden, also auf in die Freiheit zu JON SPENCER, bevor man dort auch nicht mehr hineingelassen wird. Aber die Sorge war unberechtigt. Eine Viertelstunde vor Beginn herrschte gähnende Leere, anscheinend tritt bei der BLUES EXPLOSION und dem durchschnittlichen Reeperbahn-Festival-Volk bereits ein Generationskonflikt auf. Und schon setzt man sich gedanklich wieder mit den bevorstehenden Midlife Crisis auseinander. Ist die Musik, die ich beispielsweise mit meiner Band mache, eigentlich noch zeitgemäß? Wollen die jungen Teens uns überhaupt sehen? Oder sollten wir die Bühne dem Nachwuchs überlassen? Überhaupt, was ist denn das für eine lahme Stimmung hier bei JON SPENCER? Das hatte ich aber anders in Erinnerung. Doch halt, das liegt nicht an der Band, das liegt am Publikum. Alte Greise in Schunkelstimmung, und ich bin einer davon. Bevor ich melancholisch werde, noch schnell ein Bierchen geholt und zur Aufbesserung der Laune ein paar neue Leute kennengelernt. Das half kurzzeitig, bevor ich mich davon machte.
Auf dem Heimweg trafen wir zufällig auf eine Demo gegen die GEMA-Tarifreform, die für die Hamburger Clubs enorme finanzielle Einschnitte, wenn nicht sogar das Aus bedeuten würde. Nachdem zur Anlockung des Publikums diverse DJs unter freiem Himmel wummernde Bässe für die Massen auflegten und namhafte Hamburger Prominente wie die Drag Queen Olivia Jones und Ex-St. Pauli-Präsident und Theaterbesitzer Corny Littmann die Bühne betraten, beteiligten sich alle umliegenden Clubs an der Aktion, für eine Viertelstunde die Musik auszumachen – getreu dem Motto „Auf St. Pauli gehen die Lichter aus“. Gute und effektvolle Aktion!

Ein kurzer Blick in den Neid Klub zeigte, dass die Stimmung hier irgendwie merkwürdig und die Musik nur noch aus DJ-Sets bestand, die sich kaum voneinander unterschieden. Also ab nach Hause und noch mal kurz über das Altern nachgedacht. Das war vorhin natürlich alles etwas sentimentaler als die Lage es tatsächlich hergibt. Das nächste Reeperbahn-Festival sollte jedenfalls noch drin sein…

http://www.reeperbahnfestival.com