Steffens Bericht vom:
Donnerstag
„Reeperbahn, wenn ich dich heute so anseh´
Kulisse für´n Film, der nicht mehr läuft
Reeperbahn, wenn ich dich heute so anseh´
die Abende sind teuer, doch es gibt kein Abenteuer“
sang Udo Lindenberg einst traurig vom Balkon des Atlantic-Hotels mit Alsterblick. Da wusste der Gute aber auch noch nichts vom Reeperbahnfestival. Denn wenigstens an drei Tagen im Jahr mischt sich eine Schar Rock´n´Roll-liebender Menschen unter das übliche Tourie- und Saufvolk und begibt sich auf Entdeckungsreise durch die Clubs von Kiez und Umland, in denen es dann auch tatsächlich viel zu entdecken gibt. Und damit meine ich nicht die sterile Arena der o2 World On Werbetour, die kurzerhand auf das Heiligengeistfeld gebeamt wurde. Das eigentlich Tolle am Reeperbahnfestival ist, dass dort mehrheitlich tatsächlich semibekannte Künstler ausgewählt werden, und das mit wirklich gutem Gespür. In diesem Jahr zuhauf aus skandinavischen Gefilden, darunter ein vollbesetzter Dampfer mit Schwedenbands, der die Elbe hinuntergeschippert kam. Das wäre ein Umweg, ich weiß, aber das Bild ist einfach zu schön.
Mein Festivalstart wurde am Donnerstagabend ganz behutsam von BJÖRN KLEINHENZ eingeläutet, der mit seiner Akustikgitarre in die Hasenschaukel einkehrte, das gemütliche Wohnzimmer unter den Clubs mit der süßen pinken Barfrau, bei dessen Betreten ich am liebsten jedes Mal in meine Hausschuhe schlüpfen würde. BJÖRN KLEINHENZ ist natürlich längst keine Neuentdeckung mehr, aber mit seiner einnehmenden Stimme jedes Mal wieder ein Erlebnis, gerade in der intimen Atmosphäre der aus allen Nähten platzenden Hasenschaukel, in der man eine Stecknadel fallen hätte hören können zwischen den ruhigen Tönen der bedächtigen Lieder vom neuen Album „B.U.R.M.A.“, das er von der Insel Farö mitgebracht hatte. Vielleicht insgesamt ein wenig zu viel Bedächtigkeit für ein Konzert, ein paar mehr schwungvolle Songs hätte es gerne geben dürfen. Aber das schien das verzauberte Publikum anders zu sehen. Von meinem Sitzplatz direkt am Rande der kleinen Bühne aus konnte ich in viele leuchtende Augen blicken, die Björn geradezu anhimmelten. Aber mal ehrlich, neben seiner feinfühligen Musik ist er einfach auch ein echt schnuckeliger Typ, besonders liebenswert, wenn er seine Lieder mit Akzent auf deutsch ankündigt, das der nahe Stuttgart aufgewachsene Schwede mittlerweile wohl durch seine Tourheimat Deutschland sehr gut aufgefrischt hat. Das klang auf dem Reeperbahnfestival vor zwei Jahren noch ganz anders, als er mit Band in Angie´s Nightclub spielte, einem denkwürdigen Abend übrigens, an dem er sich die Messlatte selbst extrem hoch gelegt hat. Aber sechs gegen eins ist natürlich auch unfair, vor allem ohne die engelhafte Susanna Brandin an seiner Seite. Donnerstagabend, BJÖRN KLEINHENZ, Hasenschaukel, was will ich mehr? Vielleicht noch in Angie´s Nightclub rüber gehen und DEAR EUPHORIA gucken? Nee, zum schlafen ging ich lieber nach Hause.
Freitag
Freitagnachmittag: Timetable studieren, Künstler-Recherche auf Myspace, Fahrplan erstellen! Resultat war ein straffes Programm, das mich schon früh ins Knust komplimentierte, wo die 27jährige Irin WALLIS BIRD mit Band auftrat. Ich gebe zu, es war beleibe nicht die Musik sondern allein ihr Profilbild, das mich pünktlich um 19:45 Uhr vor die Bühne zog. Nicht mal die unsäglichen Vergleiche mit JANIS JOPLIN im Festivalheftchen konnten mich abschrecken. Glücklicherweise, denn dieser blonde Brausefröhlich war durchaus mal einen Besuch wert. Sowas Quietschvergnügtes hatte ich ja noch nie gesehen. Die ansteckend gute Laune verbreitete sich schnell im Publikum, das eifrig anfing mitzugrooven. Ja, ich sagte grooven. Denn das ist leider bei all der Begeisterung von ihrer Ausstrahlung das Problem, das ich mit ihrer Musik habe. WALLIS BIRD neigt zum Mucken. Ihr Musikstudium in Dublin hat das sicherlich begünstigt. Aber viel verheerender, sie spielt auch noch mit ganz schlimmen Muckern von der Popakademie Mannheim zusammen, wie meine Recherche eben ergab. Kam mir doch gleich suspekt vor, wie der Typ den Bass hielt und der Drummer sich immer in Vordergrund spielte und „yeahh“ rief. Huch, da hat es mich gerade nochmal kurz geschüttelt. Um ein paar ihrer im Kern bestimmt durchaus netten Lieder pur zu erfahren, wäre es wohl besser gewesen, auf die Barkasse Frau Hedi zu steigen, wo Wallis später am Abend noch einmal solo auftrat. Nur mit Akustikgitarre auf der Elbe, das war bestimmt spritzig, ließ mein Schedule aber leider nicht zu. Der verlangte auch von mir, das Knust vorzeitig zu verlassen, um rüber in den Grünen Jäger zur Tanzkapelle THEY LIVE BY NIGHT zu radeln.
THEY LIVE BY NIGHT aus Göteborg sind zwar hemmungslos 80erDisco-poppig, ihre catchy Songs versprühten aber beim heimigen Reinhören direkt so viel Charme und machten so viel Spaß, dass ich sie einfach sehen musste. Zudem ist Beach Boy Dennis Wilson von den Toten auferstanden und spielt Bass bei ihnen. Aber was war denn da im Grünen Jäger los? Nichts! Keine guten Vorraussetzungen, um ungehemmt das Tanzbein zu schwingen, zumal der Grüne Jäger psychologisch auch noch so ungünstig geschnitten ist, dass die meisten Besucher anfangs immer am Rande stehen bleiben und nicht den Schritt vor die Bühne wagen. Es füllte sich dann glücklicherweise doch noch etwas, aber Stimmung wollte nicht aufkommen. Vielleicht war der glitzernde Discotraum, den ich im Kopf hatte, ein wenig drüber, aber hier hat leider gar nichts gefunkt. Ganz mieser Gesang, zumindest was davon zu hören war, denn ganz mieser Sound, introvertierte Band, introvertiertes Publikum und die bemüht leidenschaftlich gesungenen „Ahhhhhhhs“ und „Uhhhhhhhhs“ verhallten in peinlichem Unbehagen. Nee, THEY LIVE BY NIGHT sind eher was für einen schwedischen Abschlussball. Im halbleereren, nüchternden Grünen Jäger war das ein Trauerspiel. Schade. Vielleicht sollte man in so einem Fall einfach mal eine Polonaise starten.
Mehr Glück hatte mein nächster Kandidat DAN COSTELLO. Der Folkmusiker aus Brooklyn durfte in der wieder brechend vollen Hasenschaukel spielen. Leider war der versprochene Rauschebart ab. Aber das tat dem Unterhaltungsfaktor keinen Abbruch. Und der war groß. DAN COSTELLO macht zwar ziemlich einfach gestrickte Kinderlieder und trägt einen albernen Hut, seine Qualitäten als Entertainer aber sind etwas für die ganze Familie. Ein echt witziger Vogel. Mit seinen kleinen Geschichten zwischendurch erinnerte er mich stark an den verplanten aber kaum minder sympathischen WALTER SCHREIFELS bei seiner Solotour vor ein paar Jahren. Der hat wie DAN COSTELLO aber nicht einfach mal ganz unverhofft losgerappt. Wer traut sich denn noch sowas? Und hat dann auch so clevere Textzeilen wie: „I wanna be like Albert Einstein, be respected cause I use my noodle, relatively speaking“. Doch am meisten zündete sein Song über Mixtapes aus der Sicht eines „littlle black and silver Sony Tape Recorders“. Die Hasenschaukel forderte zurecht eine Zugabe und bekam sie trotz engem Zeitplan.
Als nächstes zog es mich ans andere Ende der Reeperbahn in die Fliegenden Bauten zum feinen Liedermacher CLICKCLICKDECKER alias Kevin Hamann. Eine super Idee, das schnieke Zirkuszelt mit der tollen Akustik ins Festival einzubeziehen. Aber was machte denn der Clown dort auf der Bühne? Ein aufgeregter Radioreporter, so ein dynamischer Aufziehroboter, der hundert mal den Namen seines Senders schnatterte und noch mal einen Fake-Applaus vom Publikum forderte, um später genug Schnittmaterial für die parallel stattfindende Radioaufzeichnung zu haben. Geh weg, Dieter Thomas Heck! Gibt es nicht irgendwo einen Boxkampf anzusagen? Alle wissen, dass jetzt CLICKCLICKDECKER kommt. Der schüttelte brav seine Hand und durfte endlich loslegen. Ansonsten sieht man ihn entweder alleine oder mit Band, heute Abend aber begleitete ihn die Eier legende Wollmilchsau Oli Stangl – jetzt musikalisch gesprochen. Denn der war eifrig am Klänge machen, Beats loopen, Mitsingen, Piano, E-Gitarre und sogar Pedal-Steel-Gitarre spielen, und das, ohne dabei zu nerven. Klanglich ganz wunderbar harmonierend zu Kevins warmer Stimme, die auch heute Abend sicher niemanden kalt ließ. Mit diesen verzweifelten Ausbrüchen im Gesang und Texten, die ich mir sogar als Gedichtband zulegen würde. CLICKCLICKDECKER – ganz groß!
Der Abend sollte enden, wo er begann, im Knust. Ohne jede Erwartung dachte ich: „Warum denn nicht noch einen Blick auf vier norwegische Mädels namens KATZENJAMMER riskieren?“, von denen ich trotz ihrer mittlerweile großen Popularität noch nie etwas gehört hatte. Müde, mit Rückenschmerzen und auch etwas geknickt mogelte ich mich durch die Menge vor die Bühne. Zigeuner-Polka oder Ähnliches zündet bei mir für gewöhnlich nur in außergewöhnlich guter Weinlaune, und zunächst war ich auch nur beeindruckt, wie perfekt die rotzfrechen und albernen Mädels unter anderem Akkordeon, Trompete und die große Bass-Balalaika mit dem Katzengesicht beherrschten, welche fröhlich nach jedem Song durchwechselt wurden. Aber was dann mit mir passierte erinnert an einen plötzlichen Drogenrausch. Als sie in perfektem vierstimmigen Gesang und voller Inbrunst ein Lied aus Ronja Räubertochter anstimmten, muss es bei mir einen emotionalen Rückfall in meine Kindheit gegeben haben. Für den Rest des Konzertes war ich so euphorisiert am tanzen und springen wie Carlton Banks zu TOM JONES. Die fegten mich mit ihrer pogotauglichen Mischung aus norwegischer Piraten-Bluegrass-Irgendwas-Musik und dem süßen Schalk im Gesicht dabei vollkommen aus den Schuhen. Wonnetrunken machte ich sogar ein Publikums-Frage-Antwort-Spielchen mit: „Jag hette Borgaaaaa – Fohor Mattis hette haaaan“. Verdammt, die haben mich gekriegt. Glückselig stand ich da. Einfach herrlich! KATZENJAMMER, mit Abstand mein Festival-Highlight.
Samstag
Man kann sich vollkommen zurecht über den Sinn dieser seelenlosen o2 Einweg-Arena da am Millerntor auslassen, aber die Stühle waren bequem, die Bierpreise moderat, der Sound ein Erlebnis und ich bin ohne Handyvertrag herausgekommen. Nachdem ich mich zunächst vom verträumten Indiepop der wunderbaren OHBIJOU aus Toronto vorverzaubern ließ, durften HELLO SAFERIDE aus Stockholm gleich damit weitermachen. Aber Annika Norlin, die etwas staksige Sängerin und der Kopf der Band, verstörte mich zunächst nur. Aufgescheucht rannte sie wie Axl Rose von einer Seite der Bühne zur anderen und machte seltsame Hip-Hopper-Gesten, die ich sonst nur vom MTV-Wegzappen kenne. Das passte so gar nicht zu dieser sanften Musik. Und als sie einen Schüttelkrampf am Schellenkranz bekam, bin ich mir sicher, überlegte nicht nur ich, ob ich den Notarzt rufen sollte. Auf der anderen Seite aber rührte sie mich zwischendurch regelrecht. Bei „I wonder who is like this one“ musste ich ganz schwer schlucken. Und der entspannte Rest der Band, allen voran die bezaubernde Backroundsängerin und Gitarristen Andrea Kellermann, waren eine echte Bereicherung für die vielen wirklich schönen, unlangweiligen Popsongs. Das mit dem Verzaubern hat dann also doch noch ganz gut geklappt, und hängen blieb die wundervollste Strophe des Festivals aus dem erwähnten „I wonder who is like this one“:
„People are like songs, it´s true
Some seem dull at first, but then they grow on you […]
But you are the only one I´ve met who is „God only knows”
I liked you the first time I met you, and it grows, and grows, and grows”
Hach!
Schuld daran, dass ich mir eine ausschweifende Party mit zwei schwedischen Rockbands auf Frau Hedi entgehen ließ, um stattdessen erneut auf einer Beerdigung im Grünen Jäger einzukehren, war NORMAN PALM. Den Sänger/Liederschreiber aus Berlin wollte ich schon lange mal sehen. Eine ganz unscheinbarere Type, Marke Woody Allen, mit ganz behutsamen Liedern. Ja, das ist der mit den zarten Coverversionen von „Boys don´t cry“ und „Girls just wanna have fun“. Er hat aber auch ganz wunderbare eigene Kompositionen, die er letztes Jahr auf einer CD mit einem sehr liebevoll gestalteten Artbook herausbrachte. Es trägt den schlichten Namen „Songs“. Das hielt ich für eine so nette Geschenkidee, dass ich es meiner Mutter unter den Weihnachtsbaum legte. Erst später entdeckte ich beim Durchblättern die Zeichnungen von ejakulierenden Penisen zum Song „Army nation“. Naja, unterstützt wurde NORMAN PALM auf der Bühne vom Finnen Janne Lounatvuori und einem „Visual Blätterer“, der sich um das an die Wand projezierte Artbook kümmerte. Nette Idee! Der Finne hatte viele exotische Instrumente mitgebracht, die den kleinen Songs noch mehr Charme verliehen. Darunter eine wokartige Kuchenform, die er morgens in Hamburg erworben und erst kurz vor dem Konzert spielen gelernt hätte. Hut ab! „Klang aber verdächtig wie auf der Aufnahme“, meinte ich nach dem Konzert zu Norman, aber dort sei es ein boanesisches Banjo gewesen oder so. NORMAN PALM, eine der kleinen, unscheinbaren Perlen. Ich glaube, ich würde ihn mein persönliches Wunschfestival eröffnen lassen. Oder lieber als Erholung in der Mitte ansetzen? Headliner wären jedenfalls KATZENJAMMER, yeah!
Verenas Bericht vom:
Donnerstag
Kaum den Spielbudenplatz erreicht, ist man schon mittendrin. Circa 200 Leute stehen mehr oder minder interessiert zwischen den Fress- und Trinkständen und schauen dem Festivalauftakt MONTAG zu. Eine enthusiastische, sehr heitre und melodiöse Indiepopkombo, die es nicht aufgibt, die Besucher von ihren Würstchen weg näher zur Bühne zu locken und sich sogar nicht scheut, hierfür auf Kommando-Klatsch-Schwachsinn zurückzugreifen. Der sehr Distelmeyer-inspirierte Gesang, sowie das wilde Wüten des Frontmanns am Klavier lassen mich dann auch kurz verweilen bevor es weiter in Molotow geht, um zumindest noch den Abschiedssong von PULLED APART BY HORSES mitzubekommen. War gut. Nicht ganz so gut, vielleicht auch mit zu hohen Erwartungen belegt, waren DANANANANAYKROYD. Ich hatte mich schon sehr auf die zwei Shouter gefreut und war dann leicht enttäuscht, dass diese durch die ziemlich lautgeregelten und für meinen Geschmack zu viele Popriffs intonierenden Gitarristen plattgemacht wurden. Auf Jens´ Bestreben hin und mit der Verheißung, sie würden so klingen wie RADIOHEAD (kann man das als Fan überhaupt wollen?) ging´s dann rüber in die Prinzenbar. Nicht minder zahlreich, doch um einiges ruhiger ist das Publikum bei SIVA. Ob eine ähnliche Tonlage und der Einsatz von 7/8 Takten ausreicht, um besagtem Vergleich standzuhalten, ist fraglich, jedoch heben sich die Berliner durch ihre vertrackteren und nicht allzu vorhersehbaren Kompositionen durchaus angenehm vom viel zu oft gehörten deutschen Indie-Einheitsbrei ab. Ein wenig Melancholie getankt und um die Ecke ins Docks zu KING KHAN & THE SHRINES. Überspitzter, ein wenig grotesker Rockabilly Funk wird geboten, nicht meine Musik, aber man ist ja offen für vieles auf so einem Festival…. Als Mr. Glitzerhose Khan jedoch anfängt zu besingen, wie er diverse Körperteile in seiner Freundin verschwinden lässt, geh ich dann doch lieber wieder zurück ins laute und stickige Molotow. Die GIRLS dienen als Hintergrundbeschallung, während ich mich seelisch und körperlich im Vorraum auf meinen eigentlichen Hauptakt des Abends vorbereite. Noch einmal ruhig sitzen bleiben, tief Luft holen und zweimal hintereinander aufs Klo gehen, dann rein zu FUTURE OF THE LEFT. Wie immer ist es großartig, die Stimme Andrew Falkous zu hören, und obwohl man diesen schon weitaus enthuisiastischer und energetischer erleben durfte, lässt er alle an diesem Abend zuvor rumhüpfen gesehenen Backfische auf der Stelle vergessen. Vielleicht liegt es auch an einem etwas verschlafen wirkenden Publikum, in dem mehr als 80 % ihre Anwesenheit mit einem dezenten Kopfnicken kundtun, dass man das Gefühl hat, hier hätte Größeres passieren können. Gigantisch war jedenfalls auch Kelson Louis Tregurtha Mathias am Bass und Mikro, der trotz Krankheit spielte wie andere vielleicht nach vorheriger Marathon-Vorbereitung. Da Schwitzen gemeinhin bei Fieber ja als gesund gilt, wird es ihm wohl mittlerweile auch wieder besser ergehen. Alles in Allem bleibt zu sagen, im Molotow war es mal wieder viel zu heiß, die Getränke zu günstig und die Atmosphäre zu gut, um wirklich frisch und ausgeschlafen am Freitag morgen im Büro zu sitzen.
Jens´ Bericht vom:
Freitag
Es stand Besuch an, an diesem Wochenende. Freunde aus Göttingen und der Schlagzeuger von KENZARI’S MIDDLE KATA aus dem tiefsten Bayern waren in Town. Erstere explizit für das Reeperbahnfestival, letzterer war beruflich in Hamburg und bemerkte eher zufällig davon. Für BART DAVENPORT waren wir leider zu spät dran, also ab ins Imperial Theater, wo ansonsten Krimis aufgeführt werden. Heute durfte aber DANIEL BENJAMIN ran, und wo man andernorts schlechte Karten hatte, wenn man zu spät um Einlass gewährt, wurde uns im Eingang von den Platzanweisern der Weg in die erste Reihe empfohlen. Fantastisch! Das letzte Mal hatte ich DANIEL BENJAMIN nur in Begleitung seiner Anvertrauten im Fundbureau gesehen, heute hatte er auch eine komplette Backing Bands im Gepäck und wechselte im Programm vom gefühlvollen Duett-Gesang zu den wildesten Rockposen. Da setze noch mal einer christliche Musik pauschal mit einschläferndem Gitarren-Singsang gleich.
Bevor es in der Hasenschaukel weiterging, noch einen kleinen Zwischenstopp im Moondoo. Dort, wo normalerweise D&G bzw. Ed Hardy-Träger Schlange stehen, wollte ich heute einen kurzen Blick auf ALIN COEN erhaschen. Die Band ist mir mal im TV begegnet, wo als Teilnehmer des Pop-Camp über sie berichtet wurde. Musikalisch perfekter Pop mit leichten Jazz- und Folk-Anleihen und toller Stimme – eigentlich nicht meine Baustelle, aber, wenn ich ehrlich bin, wollte ich ja auch nur Alin sehen. Im Anschluss an das Konzert gab es eine kleine CD-Verkauf- und Signierstunde mit beistehendem Tourmanager. Ich sprach sie an. Sie sagte, sie kenne mich irgendwo her. Leider nein.
In der Hasenschaukel, die sich auf dem Reeperbahnfestival als geschmacksichere heimelige Lokation, abseits der Großveranstaltungen herausstellte, spielten als nächstes GOLDEN KANINE. Auf die fünf Schweden war ich sehr gespannt, und ihr Balkan-inspirierter traurig-fröhlicher Indiefolk riss alle Anwesenden dermaßen in ihren Bann, dass sie im Anschluss an ihr Konzert erfolgreich drei Zugaben einforderten. Über die ausgelassene Stimmung freute sich auch die Band und sah dieses Konzert sicher auch als Entschädigung für ihr letztes Konzert an, das vor einem halben Jahr an gleichem Ort und Stelle stattfand und zu dem die Hasenschaukel nur halb gefüllt war. Allen Fans von BEIRUT und BRIGHT EYES seien GOLDEN KANINE wärmstens empfohlen. Mein persönliches Highlight!
Von THE HICKEY UNDERWORLD bekamen wir anschließend nur noch die Schlussakkorde mit, dafür sahen wir vor der Großen Freiheit zwei Reihen Polizisten, die die Securitys gegen hereindrängende Massen unterstützen mussten. Bei welchem Konzert? Natürlich DEICHKIND.
Aber auch bei EMILIANA TORRINI sah es mit dem Reinkommen nicht viel besser aus. Da sieht man mal, was ein einziger Hit so ausmacht. Ansonsten hätte für die gebürtige Isländerin, die bereits seit 15 Jahren Platten veröffentlicht, sicherlich auch ein kleinerer Club ausgereicht.
Samstag
Den Samstag verbrachten wir bei strahlenden Sonnenschein am Elbstrand, bevor wir bei einem Inder einkehrten und beinahe OHBIJOU verpasst hätten. Herrliche Musik zum Verdauen – und das gar nicht mal böse gemeint. Die Geigerin verriet mir im Anschluss an ihr Konzert während JOSÉ GONZÁLEZ, dass sie ganz schön aufgeregt gewesen wären. Doch vorher schauten wir auf Empfehlung noch kurz bei DIE! DIE! DIE! Im Molotow vorbei. Das lohnte sich! Die drei Jungs aus Neuseeland hatten sicherlich einen der weitesten Anfahrtswege, sorgten aber im Publikum sogleich für ordentlich Stimmung, während der Bassist wie ein Flummi über die Bühne hüpfte. Eine kraftvolle, aber zugleich melodische Mischung aus Noise-Rock, DC-Post-Punk, die den wenigsten Bands gleichzetig so eingängig und anspruchsvoll gelingt.
Herunterkommen war danach im High Tech Zelt von o2 angesagt, wobei JOSÉ GONZÁLEZ schon lange nicht mehr als Geheimtipp durchgeht. Das merkte man bereits zwanzig Minuten vor Beginn der Show, wo bereits nur noch Stehplätze in der 1.400 Personen fassenden Großwerbeflächen-Location zu ergattern waren. Wir ließen uns ganz vorne links neben den ersten Sitzreihen auf dem Boden nieder und lauschten den sanften Tönen des Schweden, der sich ohne irgendeine Ansage mit seiner Akustikgitarre auf den verlorenen Stuhl der riesigen Bühne setzte und sofort begann. Das hatte was von NICK DRAKE und WILLIAM FITZSIMMONS und sorgte für eine besinnliche Stimmung, die vom ganzen Hin-und Hergeflitze zwischen den einzelnen Clubs durchaus ihren Reiz hatte. Neben uns legte sich ein paar in den Armen haltend hin, schaute an die Decke, und er sprach zu ihr, dass sie doch ruhig ihre Augen schließen könne. Hach!
Um in der Stimmung zu bleiben, wechselten wir anschließend in die Fliegenden Bauten, um uns den klassischen Klängen von ÓLAFUR ARNALDS hinzugeben. Sein Equipment ist auf dem Weg von Reykjavik nach Hamburg wohl in irgendeiner Ecke des Flughafens geblieben, entsprechend musste der junge Isländer jetzt in einem raschen Soundcheck die vier Streicher auf sein Klavier und die Synthies abstimmen. War es bei JOSÉ bereits ruhig, wurde die Stimmung bei ÓLAFUR sogar noch weiter besänftigt. Offenbar aber nicht für alle Gehörgewohnheiten geeignet, verließen viele Zuschauer zwischen den einzelnen Songs das Zirkuszelt. Die Zurückgebliebenen ließen sich von den Klängen verzaubern und in eine Traumwelt entführen, in der die Zeit keine Rolle mehr zu spielen scheint. Dabei gelingt es ihm, der Klassik einen modernen Anstrich zu verleihen und geschickt minimale Electronics in seine Stücke mit einzubauen. Wie talentiert der 22jährige Musiker ist, der neben dem Klavier unter anderem Schlagzeug, Gitarre und Banjo spielt, lässt sich auch daran erkennen, dass sich Bands wie 65DAYSOFSTATIC und HEAVEN SHALL BURN Streicherarrangements von ihm schreiben lassen. Eigentlich ein perfekter Zeitpunkt, um im Anschluss daran den Rückweg anzutreten.
Aber ich schaute noch bei KANTE rein. Doch die besten Zeiten der Band scheinen leider vorbei, die Große Freiheit, die die Ränge geschlossen hielt, war auch unten nur zu zwei Dritteln gefüllt, das Publikum zum größten Teil bereits jenseits der Dreißig. Und bei KANTE scheint sich der Trend durchzusetzen, der auch bei Felix´ Zweitband SPORT immer mehr in den Vordergrund rückt: weg von der Melancholie und Nachdenklichkeit hin zum Rock. Was ich gerade bei KANTE doch sehr schade finde, da sie schließlich mit den eher introvertierten Alben „Zweilicht“ und „Zombie“ ihre Fanschaft aufgebaut haben. Lässt man sich jedoch auf den Aspekt Rock ein, kann man erkennen, dass die Instrumente schon sehr präzise aufeinander abgestimmt wurden.
Und damit klang das diesjährige Reeperbahn-Festival für mich auch aus. Aus den letztjährigen Erfahrungen hat sich gezeigt, dass man auf unbekanntere Bands ausweichen sollte, wenn man lange Warteschlangen vermeiden möchte. Denn dort gibt es vieles zu entdecken. Und gerade dafür ist das Reeperbahn-Festival perfekt geeignet. Wir sind gespannt auf´s fünfjährige Jubiläum im nächsten Jahr!