Dem Punkrock Holiday-Festival im slowenischen Tolmin eilt ein exzellenter Ruf voraus. Am Südrand der Julischen Alpen und direkt an der Gabelung zweier Flüsse gelegen, verfügt es über die wohl schönste Festival-Kulisse Europas, zudem wird es von den Organisatoren bewusst klein gehalten, um den familiären Charakter der Veranstaltung zu bewahren. Zum Vergleich: Während sich bei den eine Woche vorher an selber Stelle stattfindenden Metaldays 15.000 Zuschauer auf das Gelände quetschten, warfen die Veranstalter des Punkrock Holidays gerade einmal 5.000 Tickets auf den Markt, welche konsequenterweise bereits einen Tag nach dem offiziellen Vorverkaufsstart vergriffen waren. Dass das Line-Up für diese überschaubare Größenordnung dennoch erstklassig ist und jedes Jahr aufs Neue die Crème de la Crème der Melodic-Punkszene vorstellig wird, ist zudem der beste Beweis dafür, dass mittlerweile auch viele Bands die Vorzüge dieses Festivals zu schätzen wissen. Nachdem ich es in den letzten Jahren leider nicht geschafft hatte, mir selber ein Bild vom PRH zu machen, sollte es in diesem Jahr endlich klappen. Tickets wurden rechtzeitig organisiert, und nach einem Übernachtungs-Zwischenstopp in München ging es am Montag weiter nach Tolmin.
Tag 1 (Warm-Up)
Während die Fahrt über die österreichische Autobahn noch relativ unspektakulär vonstatten ging, wussten die letzten 100 Kilometer der Strecke durchaus zu beeindrucken. Nach einem kleinen Autobahnabschnitt in Italien tauchten wir in eine malerische Landschaft aus Bergen, Flussbetten und Serpentinen ein, die uns schließlich direkt in den 3.000 Seelen-Ort Tolmin führte. Da der Tag aus musikalischer Sicht lediglich ein reduziertes Warm-Up Programm auf der Hauptbühne vorsah, blieb also noch ausreichend Zeit, um das Zelt aufzubauen, das Gelände zu erkunden und mit den Camp-Nachbarn auf die bevorstehenden Tage anzustoßen.
Irgendwann zog es uns dann aber doch vor die Bühne, denn CLOWNS spielten. Ich habe im Vorfeld sehr viel Gutes über die Australier gehört, die den Aussagen zufolge eine unglaublich gute Live-Band sein sollen. Und ich wurde nicht enttäuscht. Soundmäßig erinnern sie mich sehr an TURBONEGRO, allerdings mit einem unverkennbaren Hardcore-Einfluss. Der Sänger ist eine absolute Rampensau und immer in Bewegung, der Rest der Band agierte ebenfalls alles andere als schüchtern und drohte mit Komplettabriss der Bühne. Was für ein Einstieg in das Festival!
Hatten wir den Auftritt der CLOWNS noch aus der Nähe des Mischerturms verfolgt, zog es uns im Anschluss direkt vor die Bühne, denn mit JAYA THE CAT stand einer meiner persönlichen Festival-Highlights auf dem Programm. Doch was war denn das?! Der direkte Zugang zur Bühne war durch einen Fotograben versperrt. Das ist bei anderen Festivals zwar mittlerweile Standard, das PRH brüstet sich jedoch in der Regel damit, auf derartige Absperrungen zu verzichten und Stagediving zu dulden. Wie man uns auf Nachfrage erklärte, wurde die Absperrung an diesem Tag auf ausdrücklichen Wunsch des späteren Headliners THE OFFSPRING aufgestellt, die scheinbar wenig Interesse an einer Interaktion mit dem Publikum verspüren bzw. angeblich Angst davor haben, im Falle eines Stagediving-bedingten Unfalls verklagt zu werden. Ich überlasse es an dieser Stelle den Lesern, sich ihren Teil hierzu zu denken. Aber egal – nun ging es erstmal darum, JAYA THE CAT abzufeiern. Diese ließen sich erwartungsgemäß nicht zweimal bitten und feuerten ihr bekanntes Reggae-Punk-Feuerwerk ab, bei dem Songs wie „Rebel sound“, „Here come the drums“ und „Hello hangover“ lediglich die Spitze des Hit-Eisberges darstellten. Hat man nach so einem Auftritt noch Lust auf eine Altherren-Punkband, die sich vom Veranstalter eines Festivals vertraglich die Errichtung eines Fotograbens zusichern lässt? Eher nicht. Also lieber zurück zum Camp und bei einem gepflegten Gute-Nacht-Bierchen das nächtliche Alpenpanorama genießen. Augenzeugen zufolge sollen THE OFFSPRING an diesem Abend allerdings gar nicht so schlecht gewesen sein, wie es ihr unterirdischer Auftritt beim Crash Fest vor zwei Jahren befürchten ließ.
Tag 2
Das Punkrock Holiday trägt die Erholung nicht nur in seinem Namen, sondern vermittelt mit seinen beiden Festival-eigenen Kiesstränden tatsächlich Urlaubsfeeling. Daher ging es mittags erstmal zum Badestrand, wo es sich zahlreiche Festivalbesucher mit Luftmatratzen, Campingstühlen und allerlei aufblasbaren Schwimm-Gedöns (dieses Jahr offensichtlich im Trend: Flamingos und Einhörner) gemütlich gemacht haben. Direkt ins Wasser trauten sich allerdings nur die Wenigsten – kein Wunder, denn bei den hier fließenden Gewässern Soca und Tolminka handelt es sich um Gebirgsflüsse, deren Wassertemperatur sich konstant im einstelligen Bereich bewegt. Knietief im Wasser zu stehen und dabei ein gut gekühltes Radler zu trinken, hat allerdings auch etwas für sich. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde dann zum anderen Strandabschnitt rübergewechselt, an dem sich die sogenannte Beach-Stage befand. Auf dieser spielen tagsüber eher unbekannte Bands, wie beispielsweise 7 DIALS MYSTERY aus Österreich. Diese hatten zwar durchgängig gute Melodycore-Songs im Gepäck, scheiterten aber mit ihren verkrampft wirkenden Animationsversuchen beim zu dieser Uhrzeit noch nicht allzu zahlreich vertretenen Publikum.
Ein neuer Geheimtipp beim PRH ist die winzige Akustikbühne, die sich bei den Merchandise-Ständen auf dem Festivalgelände befindet. Das Programm für diese wird relativ kurzfristig und spontan zusammengestellt, und neben unbekannten Acts findet finden sich hier auch gelegentlich Festival-Bands ein, um zusätzlich zu ihrer regulären Show ein kleines Unplugged-Set darzubieten. Für 17:30 waren hier eigentlich THE GENERATORS angekündigt, worauf ich mich sehr gefreut hatte. Doch leider kam offenbar irgendetwas dazwischen, denn anstelle der LA-Punks stand zur angekündigten Zeit lediglich ein junger Mann mit Gitarre auf der Bühne, der mit Inbrunst den Fat Wreck-Sound der Neunziger rezitierte. Einige Zeit später kam das Publikum dann aber doch noch in den Genuss eines GENERATORS-Auftritts, wenn auch in regulärer Form auf der Hauptbühne. Ich persönlich finde die Band ja großartig und mag ihren melodischen Orange County-Punk sehr gerne. Doch gerade viele eher jüngere Festivalbesucher konnten mit der Mischung aus SOCIAL DISTORTION-Sound und melodischem Streetpunk nicht allzu viel anfangen, zumal die GENERATORS mit ihrer eher gemächlichen Bühnen-Ausstrahlung nicht so ganz zum adrenalinfixierten Grundtenor des Festivals passten. Schade drum!
FRANK CARTER & THE RATTLESNAKES hätte ich mir gerne angeschaut, doch leider mussten diese ihren Auftritt absagen. Somit zog es mich dann erst wieder zu IGNITE vor die Bühne, und wie alle anderen, die auf eine rauschende Melodic-Hardcore-Party gehofft hatten, wurde ich nicht enttäuscht. Zoli & Co. präsentierten sich in Bestform, der Sound vor der Bühne ließ keine Wünsche offen, und solange sie meinen Lieblingssong „Slowdown“ spielen, ist sowieso alles in Butter. Selbstverständlich durfte auch das obligatorische U2-Cover „Sunday bloody Sunday“ nicht fehlen, wobei ich mir jedes Mal aufs Neue die Frage stelle, weshalb das Publikum bei IGNITE-Auftritten zu diesem Song, der sich zudem auch noch erschreckend eng an der Originalversion orientiert, am meisten abgeht. Da haben die Kalifornier doch weiß Gott größere Hits im Repertoire…
Den Schlusspunkt des zweiten Tages setzten PENNYWISE. Wer sich mal genauer mit der Chaoten-Truppe auseinandergesetzt hat, weiß, dass die Bandmitglieder dem gepflegten Exzess nicht abgeneigt sind und eine gute Party für sie im Zweifelsfall einen höheren Stellenwert genießt als ein makelloser Auftritt. Anders sind die zahlreichen verpatzen Einsätze, Verspieler und Texthänger an diesen Abend jedenfalls nicht zu erklären. Folglich gingen die Meinungen zu ihrem Auftritt auch ziemlich auseinander. Während einige den Auftritt ziemlich mies fanden, haben sich andere nicht an den spieltechnischen Defiziten gestört, getreu dem Motto „Das sind halt PENNYWISE, da gehört das nun mal dazu“. Im Endeffekt haben dann doch alle Hymnen wie „Fuck authority“, „Same old story“ oder „Society“ abgefeiert. Dass ein PENNYWISE-Auftritt standardmäßig mit der „Bro Hymn“ endet, ist längst kein Geheimnis mehr, doch der Bühnensturm, der an dieser Stelle einsetzte, hat selbst erfahrenen Fans ein breites Grinsen ins Gesicht gezaubert. Dutzende Menschen erklommen binnen weniger Sekunden die Bühne, selbst auf dem Schlagzeuger-Podest wurde gecrowdsurfed, und am Ende wurden sogar die Bandmitglieder einfach hochgehoben und über die Köpfe getragen. Oder wie Gitarrist Fletcher später zu Protokoll gab: „That’s the best Bro Hymn I ever played!“.
Tag 3
So langsam schlich sich ein gewisser Festival-Rhythmus ein: Aufstehen, frühstücken, Bierchen trinken, duschen, am Strand chillen, Bands anschauen. Das erste erwähnenswerte Highlight des dritten Tages waren NOT ON TOUR auf der Beach-Stage. Die Israelis sind derzeit so etwas wie die Band der Stunde, was man allein schon daran erkannte, dass auf dem Festival unglaublich viele Menschen mit ihren Shirts herumliefen. Weshalb sie trotzdem nur auf der kleinen Bühne ran durften, wissen wahrscheinlich nur die Veranstalter. Entsprechend platzte der begrenzte Platz vor der Bühne aus allen Nähten, und als Frontfrau Sima Brami die ersten Zeilen von „I wanna be like you“ ins Mikrofon trällerte, gab es kein Halten mehr. Mit ihrer Mischung aus rasend schnellem melodischen Punkrock und poppigen Melodiebögen sorgten sie für jede Menge Bewegung auf und vor der kleinen Bühne und lieferten wohl eine der besten Shows des gesamten Festivals ab. Man kann gespannt sein, wie es mit NOT ON TOUR weiter geht – mich würde es jedenfalls nicht wundern, wenn sie irgendwann zu den ganz großen Bands dieser Szene gehören.
NO TRIGGER waren mir bis dato nur vom Namen bekannt, doch ein Zeltnachbar meinte, ich solle mir die Band unbedingt ansehen. Obwohl zur relativ frühen Uhrzeit noch nicht allzu viel vor der Hauptbühne los war, legten die Amis einen souveränen Auftritt hin und erinnerten mit ihrem engagierten Melodic-Hardcore an Bands wie STRIKE ANYWHERE oder GOOD RIDDANCE. Letztere sollten wir im weiteren Verlauf des Abends ja auch noch zu Gesicht bekommen. Zunächst ging es jedoch mit Oldschool-Hardcore weiter: SLAPSHOT brachten für das PRH vergleichsweise harte Töne auf die Bühne, hatten beim Publikum allerdings nicht die Durchschlagskraft, die ich vermutet hätte. Vielleicht hätte der aggressive Sound zu späterer Stunde besser funktioniert, wer weiß. So fieberte der Großteil des Publikums lieber einem anderen Tages-Highlight entgegen: FACE TO FACE. Die Kalifornier schienen richtig heiß zu sein und legten einen erstklassigen Auftritt hin. Erwartungsgemäß wurde in erster Line Material ihrer ersten drei Alben verbraten, und die Zuschauer erwiesen sich bei Songs wie „Pastell“, „Ordinary“ oder „Bill of gods“ als überaus textsicher. Dazu gab es mit Stücken wie „Bend but not broken“ oder „Double crossed“ einige Kostproben ihrer aktuellen LP „Protection“ zu hören, die sich nahtlos ins positive Gesamtbild einreihten. Glückliche Gesichter, wohin man nur schaute – so soll es sein.
Das einzig Negative, das man zu einem Auftritt von ANTI-FLAG schreiben kann, ist die Vorhersehbarkeit, die sich mittlerweile bei den Konzerten der Pittsburgh-Punks eingeschlichen hat. Ihre zahlreichen politischen Statements sind zwar nach wie vor ungemein wichtig, gehören aber mittlerweile halt ebenso zur AF-eigenen Konzertfolklore wie die obligatorische Aufforderung zum Circle Pit oder der Ausflug von Schlagzeuger Pat samt Drum-Kit ins Publikum. Zugleich hat die Band aber auch dermaßen viele geile Songs im Gepäck, dass man auch nach dem zehnten oder zwölften Mal noch Spaß an ihren Shows hat. Smasher wie „Turncoat“, „You’ve got to die for the goverment“, “Fuck police brutality” oder „The press corpse“ wurden mit Cover-Songs von CHUMBAWAMBA („I get knocked down“) und THE CLASH („Should I stay or should I go“) garniert. Wie war das doch gleich mit der Vorhersehbarkeit? Aber egal. Unterm Strich ein guter Auftritt! Einen solchen bescheinigten viele auch den im Anschluss spielenden GOOD RIDDANCE, wobei ich persönlich nie einen besonderen Bezug zu der Band hatte und daher auch nicht wirklich viele Songs von ihnen kenne. Vielleicht ist dies auch der Grund dafür, dass ich ihren Auftritt eher emotionslos zur Kenntnis nahm. Oder daran, dass FACE TO FACE die Messlatte an diesem Abend einfach ein Stück zu hoch gelegt hatten.
Tag 4
Wer dem Festival-Trubel für einige Stunden entfliehen möchte und körperlicher Bewegung nicht abgeneigt ist, dem sei ein Fußmarsch auf einer der zahlreichen Wanderrouten rund um Tolmin wärmstens empfohlen. Bereits wenige hundert Meter vom Festivalgelände entfernt bietet sich bereits die Möglichkeit, sich in die unberührte Natur zu schlagen und die herumliegenden Berge samt imposanter Schluchten, türkisfarbenen Bachläufen und üppiger Vegetation zu erkunden. Da das Wetter an diesem Tag eher wechselhaft war, drängte sich ein entsprechender Ausflug regelrecht auf. Wir entschieden uns für eine kleine, zirka acht Kilometer lange Tour in die Tolminer Klammen, die neben einer atemberaubenden Naturkulisse noch weitere Sehenswürdigkeiten wie mehrere Grotten, den „Bärenkopf“-Felsen und natürlich die 60 Meter hohe „Teufelsbrücke“ zu bieten haben. Zurück auf dem Zeltplatz dauerte es jedoch nicht lange, bis die Natur auch ihr unschönes Gesicht zeigte. Nachdem es zunächst leicht angefangen hatte zu regnen, entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit wie aus dem Nichts ein Unwetter, wie ich es bis dato noch nie bei einem Festival erlebt hatte. Ein regelrechter Orkan fegte samt pechschwarzer Wolkenfront über das Gelände hinweg, und während wir mit sieben Leuten versuchten, unser Pavillonzelt zu sichern, flogen uns im wahrsten Sinne des Wortes Campingstühle, Tische und Zelte um die Ohren. Andere Festivalbesucher wurden von Windböen regelrecht umgerissen, und Leute, die sich zu der Zeit am Strand oder auf dem Festivalgelände aufhielten, berichteten später von umstürzenden Bäumen, herabfallenden Ästen und mehreren Verletzten. Nach ungefähr einer Viertelstunde war der Spuk wieder vorbei, und nach einer Aufräumpause konnte das Festival glücklicherweise fortgesetzt werden.
Nicht nur diverse Zelte, sondern auch der Zeitplan wurde durch das Unwetter kräftig durcheinander gewirbelt. Der eigentlich für den frühen Abend geplante Auftritt von GET DEAD fiel diesen Umständen zum Opfer, sollte aber in der Nacht an das reguläre Programm angehängt werden. Passenderweise starteten PEARS an diesem Tag auf der Hauptbühne, denn auch ihre Shows werden gerne mal mit einem Orkan verglichen. Allen voran ihr Sänger Zach Quinn ist dafür bekannt, wie von der Tarantel gestochen über die Bühne zu springen, sich auf dem Boden herum zu wälzen oder den direkten Weg ins Publikum einzuschlagen. Dazu gibt’s eine gnadenlose Hardcore-Punk-Orgie, aus der immer wieder feine Melodien hervorstechen. Ich gebe zu, dass ich mit ihrem allseits abgefeierten aktuellem Album „Green star“ nicht so richtig warm werde, aber live ist die Band definitiv ein Erlebnis. TEENAGE BOTTLEROCKET wirkten im anschließenden Vergleich wie eine Art brave „Everybodys Darling“-Band des Festivals. Ihr Pop-Punk mit klarem RAMONES-Einschlag klingt wie maßgeschneidert für das PRH, und entsprechend wurden sie auch für Songs wie „Why the big pause“ oder „They call me Steve“ abgefeiert. Die zahlreichen deutschen Festivalbesucher durften sich am Ende des Auftritts zudem auch noch an dem von der „American Deutsch bag“-EP bekannten Song „Ich bin Ausländer und spreche nicht gut Deutsch“ erfreuen. Da sage noch einer, Integration werde überbewertet…
Weiter ging´s mit den NYHC-Veteranen von MADBALL. Normalerweise nicht so meine Musik, aber die Band hat echt gut abgeliefert, und vor allem Frontmann Freddy Cricien präsentierte sich in absoluter Topform. Unglaublich, über was für eine Kondition der Mann verfügt, und auch von dem befürchtet hohen Prollfaktor war zum Glück nur wenig zu erkennen. Bei LESS THAN JAKE hingegen schieden sich mal wieder die Geister. Wer in den 90er Jahren mit dem Ska-Punk der Band aus Florida groß geworden ist, feierte sie entsprechend ab, wer ihr Schaffen bis dato hingegen nur am Rande mitverfolgt hat, ließ sich nur bedingt von der übertrieben guten Laune auf der Bühne und dem Schlauchboot-Crowdsurfing davor mitreißen. Viel gespannter war ich auf den anschließenden Auftritt der TOY DOLLS. Wie würde das in erster Linie US-Punk-fixierte Publikum auf die Engländer reagieren, die ja quasi als die Erfinder des Fun-Punks gelten und auf den ersten Blick nicht so wirklich ins Line-Up passen? Die Antwort lautet: Erstaunlich positiv. Dies lag wohl zum einen an der offensichtlichen Spielfreude, mit der das Trio trotz fortgeschrittenen Alters zu Werke ging, zum anderen aber auch daran, dass die TOY DOLLS mit ihren einfachen Drei-Akkorde-Hymnen musikalisch eben doch nicht so weit vom amerikanischen Bubblegum-Punk entfernt sind, wie man zunächst glauben möchte. Auf jeden Fall zeigten die Briten an diesem Abend, dass sie weitaus mehr zu bieten haben als nur ihren bekannten Nonsens-Hit „Nellie the elephant“. Auf den Nachhol-Auftritt von GET DEAD verzichtete ich aufgrund einsetzender Müdigkeit und der Tatsache, dass ich die Band bereits eine Woche zuvor im Hamburger Molotow gesehen hatte.
Tag 5
Letzter Tag des Punkrock Holiday, und zum Endspurt standen nochmal ein paar richtig gute Bands auf dem Programm. AFTER THE FALL atomisierten mit ihrem melodischen Hardcore regelrecht die Beach Stage, hätten dabei aber ein paar mehr Zuschauer verdient gehabt. An gleicher Wirkungsstätte zeigten STRAIGHTLINE, dass sie live tatsächlich so gut sind, wie sie vor einigen Monaten bereits mit ihrem Album „Vanishing values“ angedeutet hatten. Großartiger, technisch versierter Singalong-Melodycore mit dezentem Metal-Touch, der Bands wie STRUNG OUT, MUTE oder BELVEDERE in Nichts nachsteht. Auf CHIXDIGGIT hatten sich im Vorfeld viele Leute aus meinem Bekanntenkreis gefreut, und ich ließ mich zunächst ein wenig von besagter Euphorie anstecken. Vielleicht lag es im Endeffekt gerade an dieser überhöhten Erwartungshaltung, dass ich ihren Auftritt als eher enttäuschend empfand. Zwar hatte die Band sichtlich Spaß auf der Hauptbühne, aber für meinen Geschmack was das alles irgendwie zu albern und cheesy. Doch spätestens als sie „Henry Rollins is no fun“ spielten, konnte auch ich mir zumindest ein breites Grinsen nicht verkneifen.
88 FINGERS LOUIE waren zur Hochphase des Melodic-Punks eigentlich eher so eine typische „ferner liefen“-Band, die stets im Schatten der üblichen Genre-Größen stand. Umso positiver überraschte mich ihr neuer Longplayer „Thank you for being a friend“, welcher dieses Jahr nach einer längeren Auszeit der Chicagoer erschienen ist. Auf der Anreise nach Slowenien hatten wir uns an dem Album bereits ordentlich warm gehört, und nun knallte uns die Band Songs wie „Meds“ und „Knock it off“ direkt mal live um die Ohren. Bleibt zu hoffen, dass 88 FINGERS LOUIE ab sofort wieder etwas regelmäßiger in Erscheinung treten. Auch auf die Trompeten-Punkrocker von SNUFF hatte ich mich im Vorwege sehr gefreut, denn die Engländer hatte ich bis dato noch nie live gesehen. Zwar fällt mir auf die Schnelle kein Album der Band ein, das ich ausnahmslos von vorne bis hinten abfeiern würde, aber auf jeder ihrer mir bekannten Veröffentlichungen befindet sich doch zumindest eine Handvoll kleiner Hits, was in Summe für einen großartigen Auftritt reicht. Dazu kamen noch die äußerst unterhaltsamen Ansagen, bei denen sich SNUFF als wahre Meister des britischen Humors entpuppten. Und, na klar – „Arsehole“ wurde selbstverständlich auch gespielt.
Kommen wir zum Grande Finale des Punkrock Holiday 2017: PROPAGANDHI. So ziemlich alle, die sich nach fünf Tagen Festival-Exzess noch auf den Beinen halten konnten, versammelten sich zum Auftritt der Kanadier vor der Bühne und wurden mit dem vielleicht intensivsten Auftritt des gesamten Festivals belohnt. Gespielt wurden erwartungsgemäß neuere Songs der letzten drei Alben, aber auch das eine oder andere ältere Stück wie „Fuck the border“ oder „Homophobes are just pissed cuz they can’t get laid“ wurden gespielt. Und zum Abschluss sorgte „Anti-Manifesto“ für kollektive Endorphin-Ausschüttungen, bevor es glücklich, aber erschöpft ins Zelt ging.
Abreise
Der Abreisetag ist schnell erzählt. Nachdem zusammengepackt wurde, was der Sturm übrig gelassen hat, wurde noch schnell etwas Proviant besorgt, und schon ging es wieder zurück Richtung Heimat. Während wir an der österreichisch-deutschen Grenze über anderthalb Stunden im Stau standen, weil der deutsche Staat angesichts der Flüchtlingssituation wieder auf stichprobenartige Grenzkontrollen setzt, ließ ich das Festival noch einmal innerlich Revue passieren und blieb dabei immer wieder bei einem Lied vom PROPAGANDHI-Auftritt am Vorabend hängen: „I stand not for my country, but by people of the whole fucking world. No fences, no borders. Free movement for all. Fuck the border. Fuck the border. Fuck the border. Fuck the border.”…