MISANTHROP – Das Ungeheuer und sein Kritiker

Das Musiker-Kollektiv Postrap hat in der Vergangenheit schon des Öfteren bewiesen, dass deutscher HipHop weitaus mehr zu bieten hat als aufgeblasene 08/15-Beats und pubertäre Battle-Texte. Vielmehr versteht man sich als Sammelbecken von Künstlern, die bemüht sind, Rap-Musik frei von Scheuklappen und Genregrenzen weiterzuentwickeln.
So auch der Münchener Rapper MISANTHROP: Er geht auf seinem mittlerweile fünften Album zwar weniger experimentell zu Werke als beispielsweise seine Postrap-Kollegen von SON KAS, doch die Abgrenzung zum Deutschrap-Einheitsbrei gelingt auf „Das Ungeheuer und sein Kritiker“ trotzdem vortrefflich. Der Opener „Oberflächenkratzer“ erinnert direkt an so manche deutsche HipHop-Produktion der frühen 90er Jahre: Ein frischer, klassisch geloopter Beat, oldschoolige Sprachsamples und nicht zuletzt die fließende Reimtechnik erinnern an eine Zeit, in der HipHop noch keine Modeerscheinung, sondern eine nach außen mehr oder weniger abgeschottete Subkultur war. An diese Zeit denkt auch MISANTHROP im darauffolgenden Track „Generation XY“ zurück: „Unsere Demos gab es auf Kassette, nicht auf CD-R, Brenner waren selten wie die EU ohne Regelwerk“ – ergänzend dazu gibt es in dem Song heftige Scratcheinlagen, die glatt ein wenig an DJ Stylewarz zu seligen NO REMORZE-Zeiten erinnern.
Was die Texte und Metaphern betrifft, bewegt sich MISANTHROP auf einem konstant hohen Niveau. Vor allem politische und gesellschaftskritische Inhalte liegen ihm dabei am Herzen: In „Maschinenmensch“ geht es um Workaholics, Karrieremenschen und die generelle Rolle des Arbeitnehmers als Rädchen im System, in „Winkekatzen“ wird in einem Rundumschlag das Thema Ausbeutung und Zerstörung der Umwelt sowie der dahinter steckende kapitalistische Irrsinn thematisiert.
Geht es auf „Das Ungeheuer und sein Kritiker“ anfangs zumindest musikalisch noch relativ unbeschwert und eingängig zu, so wird die Stimmung zur Mitte des Albums hin plötzlich düsterer: Stücke wie „Aufbauhilfe“, „Das erste Land auf dem Mond“ oder „Welt 3“ verpacken die Texte in schwere, geradezu schleppende Beats, die stellenweise fast schon etwas Apokalyptisches an sich haben. Hier fängt die Platte an, zwischenzeitlich ein wenig anstrengend zu werden, doch mit Song „Straßenkampf“, der dazu aufruft, nich alles tatenlos hinzunehmen, sondern für seine Meinung und Interessen auf die Straße zu gehen, folgt wenig später bereits das nächste Highlight.
Insgesamt hat MISANTHROP, der sich für nahezu alle Beats, Cuts und Reime auf diesem Album alleinverantwortlich zeigt, mit „Das Ungeheuer und sein Kritiker“ ein ebenso überzeugendes wie unkonventionelles Werk abgeliefert, das dem Hörer jedoch ein gewisses Maß an Konzentration abverlangt. Und das mir persönlich den Glauben an das Gute im HipHop ein Stück weit zurückgibt. Danke dafür!

Bernd Cramer

Konzert-Junkie & Vinyl-Liebhaber. Schreibt über Musik, ohne zu Architektur zu tanzen.