Der Preis für die dümmlichste Lautsprecherdurchsage ging an diesem Abend eindeutig an den Hamburger Verkehrsverbund: „Sehr geehrte Fahrgäste, aufgrund der Witterungsverhältnisse verspätet sich die Bahn der Linie S1 Richtung Poppenbüttel um voraussichtlich fünf bis sechs Minuten.“ Dazu sollte man allerdings erwähnen, wie es um die Witterungsverhältnisse bestellt war: 6° C, Nieselregen und ziemlich windstill. Für einen Herbstabend in Hamburg eigentlich nichts Ungewöhnliches – wahrscheinlich hatte einfach jemand vergessen, ein Signal umzustellen und nun war es dem HVV zu peinlich, dies zuzugeben…
Apropos peinlich: Nicht minder fremdschämenswert sind verwöhnte Mittelklasse-Kids, die auf „böse Buben“ machen und das Ganze als Punkrock verkaufen wollen. Nachdem ich mich vor einiger Zeit durch die EP „Seid ihr bereit?“ von SERUM 114 quälen musste, hatte ich mir eigentlich geschworen, mir diese Band niemals wieder anhören zu müssen. Doch leider verfügt die Band anscheinend über ein pfiffiges Management und hat mich überlistet, indem sie kurzerhand als unangekündigter Überraschungssupport ins Line-Up gemogelt wurde. So blieb mir diese halbstündige Tortour leider nicht erspart, und es drängte sich die Frage auf, weshalb diese Posertruppe nicht bei der Erstellung der Genfer Konventionen berücksichtigt wurde. Höhepunkt des Auftrittes war der folgliche Schlussakkord, bei dem sich der Sänger beim Versuch, auf eine Monitorbox zu steigen, auch gleich noch gepflegt auf die Schnauze gepackt hat. Es gibt anscheinend doch noch Gerechtigkeit auf dieser Welt.
Umso erfreulicher war es, nach einer kurzen Umbaupause die vertrauten Klänge der BRIGGS zu vernehmen. Diese gaben von Beginn an Vollgas und veranschaulichten, weshalb einst Funksender für Gitarren erfunden wurden: Gitarrist Jason LaRocca stürzte sich direkt ins Publikum, um die zu diesem Zeitpunkt noch träge (oder aufgrund der Vorgängerband unter Schock stehende?) Masse zu animieren. Dazu gab es Knallersongs ihres neuen Albums „Come all you madmen“ am Fließband: „This is LA“, „What was I thinking“, „Ship of fools“, und auch der Album-Opener „Madmen“ funktioniert trotz des Fehlens von Gastsänger Ken Casey prächtig. Doch auch ältere Stücke wie „Back to higher ground“ oder „Let them know“ kamen zum Zuge und wurden nicht minder begeistert aufgenommen. Folglich bildete sich vor der Bühne auch ein recht ansehnlicher Pogo-Mob, zumal auch die Gebrüder LaRocca immer wieder auf einen Sprung ins Publikum oder in den leidigen Pressegraben vorbeischauten. THE BRIGGS untermauerten somit wieder mal ihren Ruf einer phantastischen Live-Band.
Die Vorstellung der Amis war schwer zu toppen, doch immerhin hatten wir es mit keinem geringeren Headliner als MILLENCOLIN zu tun. Die Schweden sind ausgebufft genug, um zu wissen, wie einem die Fans vom ersten Ton an zu Füßen liegen: Beim Opener „Mr. Clean“ wurde zielsicher in die musikalische Mottenkiste gegriffen und gleich zu Beginn ein Highspeed-Melodicpunk-Song allererster Güte ins Rennen geschickt. Es folgte ein bunter Querschnitt durch sämtliche Alben, und bei der Dichte an Ohrwürmern wurde mir klar, weshalb ich mich bis heute niemals auf ein Lieblingsalbum dieser Band festlegen konnte – auf jeder Platte sind schlicht und ergreifend viel zu viele geniale Songs, als dass man sie einem anderen Album hinten anstellen könnte. Hits wie „Twenty two“, „No cigar“ oder „Supernova“ brachten das Publikum endgültig zum Ausrasten und ließen an diesem Abend keine Wünsche mehr offen. Und sogar die Bahn fuhr auf dem Rückweg vom Konzert pünktlich – die vermeintlich ungünstigen Witterungsverhältnisse hatten sich scheinbar normalisiert.