An MESSER scheiden sich die Geister. „Scheißname, Scheißmusik und Scheißband”, war eine der ersten Kritiken, die die Band aus Münster einfuhr. Mittlerweile haben sie aber auch viel positives Feedback erlangt, sogar vom selten über den britischen Tellerrand blickenden NME. „Im Schwindel“ erschien im Juni auf dem jungen Label This Charming Man Records und ist das Debütalbum von Hendrik, Pascal, Pogo und Philipp, die außerdem in Bands wie DRAMAMINE, PRESSGANG, RITUAL und TORA TORAPA aktiv sind.
Über die düsteren Texte, den ganzen Wirbel um seine neue Band und seinen Verewigungswillen in Kunst und Musik sprachen wir mit Sänger Hendrik Otremba.
Einige Journalisten ordnen euch der Hamburger Schule und Bands wie BLUMFELD und KOLOSSALE JUGEND zu, andere packen euch in eine Schublade mit OMA HANS und TURBOSTAAT, manche meinen, ihr macht Krautrock, ich selber finde, dass man bei euch auch musikalische Rockwurzeln heraushören kann, wenn man sich den eher gejamten Charakter der Songs anhört, die sich oft nur langsam steigern. Wo würdet ihr euch selbst einordnen?
Also, um mit Thurston Moore zu sprechen: Wir jammen nicht! Wir improvisieren gemeinsam im Proberaum, um schöne Songideen zu bekommen! Vieles davon bleibt dann eine Freistelle für Live-Situationen, so dass die Stücke die Chance haben, sich mit der Zeit zu verändern und sich der Energie und der Einmaligkeit der Konzertsituation anzupassen. Und zu den verschiedenen Referenzen: das ist ein typisches und vollkommen nachvollziehbares Verhalten von Rockjournalismus, das als Orientierung sicher hilfreich sein kann, aber einem Sound und der Erscheinung und Wirkung einer Band nie gerecht werden kann. Wir kennen die von dir aufgezählten Bands und finden sie alle toll, aber als wir angefangen haben, gab es keine Referenz, keinen „BLUMFELD-Song“ oder ein Stück, das beeinflusst wurde von KOLOSSALE JUGEND. Manchmal haben wir danach, wenn das Stück lange fertig war, interpretierbare Ähnlichkeiten entdeckt, aber im Schreiben ging es immer um Eigenständigkeit und Freiheit. Einzige Ausnahme: wir haben ein neues Stück, das ganz bewusst an einem der post mortem veröffentlichten Songs von CAN angelehnt ist. Hier ist aber die Inspiration instrumental und unser Song hat einen Text. Das ist eine Verneigung… Am Ende des Tages ist MESSER Musik!
Eure Texte klingen ziemlich düster, manchmal verzweifelt, oftmals auch wütend. Haben die Texte auch zu der Wahl eines passenden Bandnamens beigetragen?
Nein, weil es nicht nur um Dunkelheit geht. Er passt einfach gut: manchmal sind wir düster, manchmal sind wir heiter, mal traurig und auch oft euphorisch, mal witzig mal ernst – und ein Messer kann verletzende Waffe sein wie Lebensrettung, es begleitet die Menschen in allen Lebenslagen – in schönen wie in ganz schrecklichen –, und das schon seit undenkbaren Zeiten. Viele erwarten von einer Band ein bestimmtes Image: das haben wir nicht. Das haben übrigens die meisten Künstler nicht, das wird ihnen nur gerne und schnell auferlegt, weil man dann meint, sie besser zu verstehen. Letztlich ist es so: Wir heißen MESSER, weil das ein toller Name ist, der uns einfach entspricht. Das Wort »Messer« ist außerdem opak. Das gefällt uns…
Gab es auch schon negative Reaktionen auf den Namen „Messer“?
Nein, jedenfalls keine, die uns erreicht hätten. Im Gegenteil haben sich ein paar alte Hasen bereits verwundert gefragt, warum da vorher noch niemand drauf gekommen ist.
Auch wenn die Lyrics von MESSER offensichtlich düster ausfallen, bleiben sie meistens ziemlich kryptisch. Dienen deine Texte auch zu einer Art autogener Psychotherapie und ist das der Grund, warum sie nur selten konkret werden?
Das weiß ich nicht. Ich kann nur sagen, dass die Texte von mir sich nicht bewusst verschlüsseln, sondern Eindrücke vermitteln wollen, die man mit einer ganz faktischen Beschreibung nicht einfangen könnte. Wenn ich singe „ein schiefes Haus“, dann ist da ein schiefes Haus, das für mich irgendeine Bedeutung in sich trägt, die ich nicht anders formulieren möchte und kann. Durch den Kontext, durch meine Art zu singen und durch den Gesamtklang, die Einbettung in alles, was MESSER ist, entsteht dann etwas, das wiederum von jedem einzelnen, der uns zuhört, interpretiert werden darf. Texte sind für mich nicht unbedingt Therapie, aber sicher ein Mittel, etwas passieren zu lassen, das sonst in mir verborgen bliebe. Ich würde sagen die Texte von MESSER sind ein Ausleben.
Eure erste EP „Alle Tage“ und der Song „Abel Nema“ beziehen sich inhaltlich auf den ersten Roman von Terézia Mora. Wie sehr hat Dich das Buch beeinflusst, wie viel Abel Nema steckt auch in MESSER?
Mit Abel Nema ist Terézia Mora der perfekte literarische Kunstgriff gelungen, diese Figur ist unendlich deep und bedeutet soviel. Dabei ist Abel Nema wie eine Flipperkugel, der durch den irren Apparat geschossen wird, der das Leben ist, ohne wirklich Kontrolle zu haben. Abel Nema ist passiv und hat trotzdem Relevanz. Mich hat das Buch sehr beeinflusst, einfach weil es das schafft, was Kunst für mich ausmacht: Es bewegt etwas in dir, ohne konkret oder faktisch werden zu müssen, auf einer anderen Ebene. Es ist schön…
Ihr wart in der letzten Zeit viel auf Tour. Um noch mal auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: mit welchen Bands und bei welchem Publikum fühltet ihr euch am besten aufgehoben?
Ich fühle mich bei jedem gut aufgehoben, der sich ein Konzert von uns anschaut und die Bereitschaft mitbringt, sich davon berühren zu lassen. Egal, ob es dann funktioniert. Auch wenn wer rausgeht, fühle ich mich noch wohl. Und bei den Bands, mit denen wir spielen, ist es nicht viel anders: wenn man backstage das Gefühl hat, wegen der gleichen Leidenschaft auf die Bühne zu gehen, kann die Band von mir aus auch Country spielen, kann vollkommen underground sein oder total populär. Schön ist es natürlich, wenn die Bands, mit denen man spielt, auch zu den eigenen Lieblingen gehören. Oder wenn sie einen überraschend begeistern. Das einzige, was da ein Kriterium sein sollte: es gibt natürlich einen kleinen Wertekonsens, so typischer AZ-Kram: niemanden diskriminieren!
Hendrik, du schreibst nebenbei für Magazine wie Beatpunk, hast (wenn ich mich recht informiert habe) in Münster Philologie studiert und betreibst nebenbei einen philosophisch/künstlerisch ausgerichteten Blog. Wie sehr fließt dieser Schaffensdrang auch in die Arbeit und das Songwriting bei MESSER ein?
Ich habe Kulturpoetik studiert. Blogs hat heute jeder, das sehe ich nur als digitalen Knotenpunkt für die Dinge, die ich mache. Das ist sozusagen mein ausgeprägter Verewigungswille. Aber das Wort Schaffensdrang ist vielleicht der Schlüssel: ich will mich auch in MESSER verewigen.
Um euch reißen sich ja momentan so verschiedene Medien wie die taz, der Kölner Express und das NME, wobei ihr mit euren anderen Bands ja bereits länger umtriebig seid. Wie fühlt es sich an, wenn um eine neue Band plötzlich wesentlich mehr Trubel gemacht wird als um die vorherigen Stationen, wie nimmt man einen sogenannten „Hype“ als Teil des Ganzen wahr?
Hype ist ein dummes Wort. Es wird über uns geschrieben, weil sich Leute für Musik interessieren, dann schreibt irgendwer, von dem man es nicht erwartet oder der üblicherweise nicht über so was schreibt, und dann schreit einer „Hype“! Schon ist es ein Hype… Ich hingegen würde sagen, wir haben Aufmerksamkeit, und das freut mich. Jeder ist ein Heuchler, der sich auf eine Bühne stellt und behauptet, er mache seine Sache nicht auch, damit sie wahrgenommen wird. Ich meine gar nicht, dass wir irgendwem gefallen wollen – wir sind nur dankbar, dass es Menschen erreicht. Denn das ist Musik auch und insbesondere: Kommunikation. Und bis auf TORA TORAPA waren und sind die anderen aufgezählten Gruppen aus unserem Dunstkreis auch alle durchaus zufrieden mit dem Interesse, das ihnen entgegengebracht wird und wurde. Bei TORA RORAPA waren wir auch zufrieden, da hat sich aber kaum jemand für interessiert. Und das war okay so…
http://gruppemesser.blogspot.de
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http://ekstatischewahrheit.blogspot.de/
http://laurdemanos.blogspot.de/