Leer, Ostfriesland, der 16. Juli 2009
Besser ausgerüstet als je zuvor geht es los. Dieses Mal sollte es sogar ein eigener Pavillon sein, gegen die Sonne und andere Wetter. Der vergessene Tisch wird unterwegs im Baumarkt nachgekauft und weiter, 460 Kilometer durch den Abend, um gegen Mitternacht in Gräfenhainichen anzukommen. Vor Ort erwartet uns eine erste kleine Enttäuschung, denn Camping mit Auto ist in diesem Jahr nicht vorgesehen, und im Laufe des kommenden Tages wird auch klar, aus welchem Grund. Wie bereits angekündigt, es ist ausverkauft und der Platz wird dringend für parkende Autos gebraucht. Dennoch sind wir in der glücklichen Lage, einen Zeltplatz zu finden, von dem aus es nur einige Minuten zum Auto zu laufen sind. Nur die Musik, für die das Autoradio hätte sorgen sollen, müssen wir in den folgenden Tagen anderen überlassen. Es sind noch mehr als 16 Stunden bis zum Festivalbeginn, doch die Party hat schon lange angefangen.
Gräfenhainichen, Freitag, der 17. Juli
Es ist heiß, unglaublich heiß. Und wir wach, auch wenn es noch keine zehn Uhr morgens ist und es eine lange Nacht zu werden verspricht. Nachdem es im vorigen Jahr ein relativ großes Chaos an der Bändchenvergabe gab, beschließen wir dieses Mal, uns rechtzeitig darum zu kümmern. Doch man hat schon vorgesorgt und dieses Mal mehrere Vergabestellen eingerichtet. Schön.
Es ist 13:30 Uhr, als sich plötzlich binnen weniger Minuten der Himmel zuzieht und das erste Unwetter über uns hinweg fegt. Und das hat es in sich. Wir bringen alle Kraft und Mühe auf zu halten, was zu halten ist und dennoch scheint das Glück nicht auf unserer Seite. Nach einer knappen halben Stunde sind wir durchnässt bis auf die Knochen, den Pavillon hat es irreparabel erwischt, das Zelt ist zusammengebrochen und sämtliche Verankerungen aus dem Boden gerissen. Innerhalb unserer Schlafstätte ist glücklicherweise aber alles trocken geblieben. Die Pavillonleiche wird also beiseite geräumt, alles von neuem fest gezurrt, und so kann es schließlich weitergehen. Einen nicht zu verachtenden Nebeneffekt hat diese kurze Episode schließlich noch: Keiner der nachfolgenden Regenschauer kann uns in den folgenden Tagen noch irgendetwas anhaben. Wir sind gestählt.
Am frühen Abend schließlich machen wir uns auf nach Ferropolis, dem Ort des Geschehens, um nach einigen wenigen Momenten bei GISBERT ZU KNYPHAUSEN das Festival mit überwiegend ruhigen Klängen von JAZZANOVA beginnen zu lassen. Ein toller Auftritt der Band, die, so ist zu lesen, zum ersten Mal als solche auftritt und begleitet wird von einem unglaublich charismatischen Sänger. Es klingt nach 70er-Jahre-Soul, Funk und Jazz in bester HERBIE HANCOCK-Manier. Super! Wir bleiben in der Nähe, denn es folgen BODI BILL, die ich schon im Vorfeld des Festivals als einen potentiellen Höhepunkt auserkoren habe. Und in der Tat enttäuschen sie mich nicht, ganz im Gegenteil, es gibt nur Hits von ihnen zu hören. Was nicht weiter verwundert, denn wer ihre Platten kennt, der weiß, dass es darauf nichts als Hits gibt, die live aber noch mal deutlich an Kraft und Intensität gewinnen.
Auch RÖYKSOPP, die im Anschluss daran auf der Hauptbühne spielen, sind hervorragend. Etwas flacher wird es anschließend mit TRAVIS, was meiner bescheidenen Ansicht nach zum einen daran liegt, dass es auf diesem überwiegend elektronisch ausgerichteten Festival Gitarrenbands erfahrungsgemäß schwerer haben, zum anderen aber sicherlich auch daran, dass die Herren TRAVIS mich auch sonst nicht sonderlich interessieren. Besser macht es das Synthie-Pop-Duo von LA ROUX, das sicherlich eine der größten und darüber hinaus charmantesten Entdeckungen in diesem Jahr sind.
Und dann kommt RICHARD D. JAMES, alias AFX, alias Analord, alias Causic Window, alias APHEX TWIN!! Unglaublich, was der Mann in Begleitung des mir unbekannten HECKER abliefert. Zu hören gibt es alles, was die elektronische Musik hergibt, über soundtrackhaft, düster, bis zu derbstem Drum ´n Bass über Techno, Electronica und zurück. Nur wer tanzen will, ist hier falsch, denn das interessiert den APHEX TWIN so gar nicht. Wenn sich tatsächlich einmal ein straighter Beat herausschält, so wird dieser mit Sicherheit nicht so lange durchgehalten, dass der Tanzwillige lange Freude daran hätte. Es wird aufgebaut und umgeworfen und das zwei Stunden lang. Wahnsinn! Wegen Müdigkeit machen wir uns nach diesem fulminanten Auftritt auf den Weg ins Zelt, ein bisschen ärgerlich, denn es sollen ja noch MODERAT kommen, und auf die wäre ich sehr gespannt. Doch das Schicksal meint es besser. Für dieses Mal. Kaum im Zelt angekommen, geht ein weiteres Unwetter nieder, das uns dieses Mal sicherlich das Zelt völlig hätte wegwehen lassen. Wenn nicht wir darin lägen. Und trotz des Sturmes bald schon friedlich schlummern.
Gräfenhainichen, 19.07.2009
Weit entfernt von ausgeschlafen, doch erstaunlich gut erholt beginnt der Samstag. Das Wetter ist freundlich, jedoch immer wieder von leichteren Schauern unterbrochen. Wir erfahren, dass aufgrund des nächtlichen Unwetters die Auftritte sowohl von MODERAT als auch das DJ-Set von TRENTEMÖLLER kurzfristig abgeblasen werden mussten. Nicht gesehen bleibt zwar nicht gesehen, aber wegen ausgefallen ist mir lieber als wegen zu müde, und so bin ich ein wenig beruhigt und ärgere mich nicht mehr. Und unser netter schwäbischer Nachbar versichert mir glaubhaft, dass wir das Festival-Gelände genau zur rechten Zeit verlassen hätten.
Der Abend, Bandtag Nummer zwei: THE WHITEST BOY ALIVE, denn leider kommen wir zu spät für den ersten Solo-Auftritt JOCHEN DSTELMEYERS nach der Auflösung von BLUMFELD, auf den ich sehr neugierig gewesen wäre. Die Herren um ERLEND OYE wissen einfach zu begeistern, und das live noch weitaus mehr als auf ihren Scheiben. Auf der myspace-Seite der KINGS OF CONVENIENCE steht unter der Rubrik „Klingt wie: music even your parents would like“ und mit TWBA verhält es sich ähnlich, nur dass sie darüber hinaus noch hervorragend tanzbar sind.
Anschließend ANIMAL COLLECTICE. Ein psychedelischer Leckerbissen, voller schräger Ideen und einer unglaublichen Lichtshow. Zwischendurch immer wieder mal Längen, doch interessant anzusehen. Dann ein weiterer Höhepunkt. PHOENIX. Wie ich sie liebe. Und das vom ersten Moment an. Wie auf diesem tollen Live-Auftritt. Ohne Umschweife kommen sie mit „Listomania“ zur Sache und es folgen Hits auf Hits, die mit einem echten Schlagzeuger nochmal einiges an Agilität gewinnen. Dass sie dabei mein Lieblingslied „Everything is everything“ auslassen, kann ich nicht verstehen, richtig übel nehmen kann ich es ihnen aber auch nicht. Denn PHOENIX machen mich glücklich!
Anschließend einen kurzen Blick bei FEVER RAY hineingeworfen, die sich, wie angesichts ihres Albums nicht anders zu erwarten, überwiegend von getragenen, atmosphärischen Klängen begleiten lässt und mir solo nicht ganz so gefallen will, wie mit ihrer Band THE KNIFE.
Auf zur BLOC PARTY. Mit denen ich in der jüngsten Zeit auch so meine Probleme habe. Zwar gefällt mir ihr Album „Intimacy“ immer noch recht gut, doch habe ich auf der anderen Seite lange schon das Gefühl, dass Sänger Kele Okereke im Grunde zu jedem Lied die gleiche Melodie singt. Und das nervt mittlerweile schon ein bisschen. Dazu kommt die Tatsache, dass ihre Musik ohne die mächtige Produktion im Rücken einfach sehr viel dünner wirkt als auf Konserve und es ihnen nicht recht gelingt, diese Stimmungen zu transportieren. Und schließlich lassen wir auch den zweiten Abend nicht auf dem Gelände, sondern bei einem gemütlichen Schlummertrunk am Zelt ausklingen.
Gräfenhainichen, Sonntag, 19.07.2009
Der letzte Festival-Tag und erste Ermüdungserscheinungen. Man ist schließlich keine 20 mehr. Wir lassen den Tag entspannt an uns vorbei gleiten und kommen schließlich glatt zu spät zu PATRICK WOLF, den ich sehr gern gesehen hätte und über dessen Livequalitäten sehr viel Gutes zu lesen und zu hören ist. Statt dessen beginnt der musikalische Teil des Abends mit GLASVEGAS, auf die ich ebenfalls mächtig gespannt bin und hinterher nicht mehr verstehe, warum eigentlich.
Dann POLARKREIS 18. Über die man ja nicht mehr richtig schimpfen darf, weil es dann ja immer heißt, „diese eingebildeten Indie-Hörer, sobald es mal eine Band geschafft hat, fangen sie an zu meckern und wollen plötzlich nichts mehr damit zu tun haben“. Ein bisschen albern ist es dennoch, denn zu Beginn des Konzerts spielen sie zuallererst ein Sample, „Allein allein“ natürlich, was wohl soviel bedeuten sollte, wie „kommt alle her, wir sind es“. Natürlich ist es ungerecht, eine Band auf einen Hit zu beschränken, doch im Grunde forciert es die Band mit solchen Aktionen selbst. Auch der Rest ihrer Songs kann mich so gar nicht vom Hocker reißen, auch wenn ihre Bühnenpräsenz ganz ordentlich ist. Und ihren Hit haben sie sich natürlich bis zum Schluss aufgehoben.
Eine Pause zum falschen Zeitpunkt. Wir verpassen KASABIAN, die, wie hinterher vielerorts zu hören war, sehr gut gewesen sind. Und kehren schließlich zu OASIS an den Ort des Geschehens zurück. Vorher mit meiner lieben Frau Gespräche wie dieses: „Was willst du denn da, du magst die doch gar nicht.“ „Stimmt! Aber wenn sie schon mal da sind, möchte ich sie mir auch ansehen. Vielleicht sind sie ja live besser.“ Sind sie nicht. Ihre Show ist blutleer und langweilig. Ich bin dennoch zufrieden, wenn auch nur deshalb, weil ich gern recht habe.
Gräfenhainichen, Montag 20.07.2009
Eine weitere gute, aber wiederum zu kurze Nacht im Zelt verbracht und beim ersten Blick nach draußen stellen wir fest, dass unser frisch gekaufter Camping-Tisch gestohlen ist. Schade, schade und eine Frechheit obendrein. Und so fahren wir ohne unsere gute Ausrüstung, aber um einige sehr schöne Tage reicher den langen Weg wieder nach Hause zurück. Und dort schlafen wir zwei Tage lang.