Welcher musikbegeisterte Fußballfan kennt dieses Dilemma nicht: nimmt man das Konzert seiner Lieblingsband mit oder schaut man pflichtbewusst seinem Herzensverein zu, wenn beides zeitgleich stattfindet? Gerade am Wochenende, in englischen Wochen oder wenn der eigene Club international vertreten ist, stellt sich diese Frage das eine oder andere Mal. Wäre doch super, wenn sich beides miteinander kombinieren ließe.
Diese Idee hatten auch MATTHEW HERBERT und das ENSEMBLE RESONANZ, die zusammen in die Laeiszhalle einluden, um das Spiel vom FC St. Pauli gegen den VfL Osnabrück live zu vertonen. MATTHEW HERBERT dürfte dem einen oder anderen Elektrofan bekannt sein, andere haben vielleicht unbewusst seinen Filmkompositionen gelauscht, zuletzt arbeitete er gerne mit Big Bands und klassischen Ensembles zusammen, war 2010 auch beim Überjazz dabei.
Das ENSEMBLE RESONANZ ist vor allem in der Hansestadt sehr umtriebig, verbindet seit 2011 unter dem Namen „Urban Strings“ klassische Musik mit Clubmusik und hat zuletzt u.a. mit Künstlern wie JIMI TENOR, BRYCE DESSNER (THE NATIONAL) und DERYA YILDIRIM zusammengearbeitet.
Zwei scheinbar gegensätzliche Komponenten, die aber durchaus zusammenpassen könnten. Und so veranstalteten das Reeperbahn Festival und der FC St. Pauli zusammen das Projekt „The Game“, das die Spannung eines Fußballspiels mit einer improvisierten Komposition unterlegen sollte.
Alexander Schulz, Geschäftsführer des Reeperbahn-Festivals, moderierte die Veranstaltung an, die bereits seit sieben Jahren geplant wurde, wegen Corona und unpassenden Spielplänen aber immer wieder verschoben werden musste. Dass sich nun aber diese besondere Konstellation ergab, wo Sankt Pauli den Aufstieg in die erste Bundesliga sichern konnte, war dann doch eher glücklichen Umständen geschuldet. Da das letzte Heimspiel der Saison bereits seit langem ausverkauft war und Tickets zu unmoralischen Preisen bei nicht-unterstützenswerten Plattformen gehandelt wurden, nutzte so mancher St. Pauli-Fan die Gunst der Stunde, diesem ungewöhnlichen Format beizuwohnen. Tickets gab es für Reeperbahn-Festival-Gänger sogar zum ermäßigten Preis von 12€, und so füllte sich das Parkett der Laeiszhalle ganz ordentlich mit ca. 650 Zuschauern. Darunter waren selbstverständlich viele Totenkopf-Utensilien zu sehen, ein paar braun-rot-weiße Flaggen, einige St. Pauli-Trikots aus lange zurückliegenden Tagen, aber auch das eine oder andere violette Osnabrück-Jersey. Bevor das Spiel angepfiffen wurde, gab es sogar vereinzelte St. Pauli-Wechselgesänge unter den Zuschauern, und dann ging es los. Das ENSEMBLE RESONANZ unter der Leitung von Friederike Scheunchen vertonte dabei die Spielzüge von St.-Pauli, während MATTHEW HERBERT mit seiner Backing Band die Vorwärtsbewegungen der Osnabrücker untermalte. Die Musiker verfolgten das Spiel auf mehreren Bildschirmen, das Publikum auf einer großen Leinwand hinter ihnen. Die Standards wurden durch wiederkehrende, von Matthew Herbert komponierte Klangbilder vorgegeben, lange Bälle von langgezogenen Tönen unterlegt. Auch Zeitlupen, Fouls und Passstafetten wurden entsprechend musikalisch begleitet und sorgten für so manchen Lacher. Besonders gelungen schien mir dabei der Aufbau von Dynamiken, wenn St. Pauli beispielsweise in bester Guardiola-Manier den Ball um den Osnabrücker Strafraum zirkulieren ließ und dies durch ein Crescendo vom ENSEMBLE RESONANZ unterlegt wurde, das im Falle eines Tores zu lauten Jubelstürmen inmitten des Publikums, aber auch auf den Instrumenten führte. Dass von der Bühne gelegentlich auch Fangesänge musikalisch intoniert, vom Publikum aber nicht zurückgespielt wurden, ist schade. Hier hätten ein paar Ultras sicherlich für mehr Stimmung sorgen können. Aber auch so blieb es ein ungewöhnliches, sehr unterhaltsames Konzert, das mit dem Aufstieg in die Erste Liga und den damit verbundenen Jubelgesängen endete.