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Manchester Punk Festival – 29.-31.03.2024

Ein Besuch des Manchester Punk Festivals stand schon seit Längerem im Raum. Aber irgendwie hat es die letzten Jahre nicht so wirklich gepasst. Corona, teure Flüge, solche Sachen halt. Umso größer war die Vorfreude, als sich irgendwann abzeichnete, dass es 2024 tatsächlich klappen sollte! Die Tickets waren geordert, die Flüge gebucht und das Appartement reserviert. Dass es dennoch mit etwas gemischten Gefühlen in den Flieger ging, lag hingegen an der politischen Lage in Nordost bzw. der mitunter ziemlich undifferenzierten Positionierungen einiger britischer Punk-Bands zu diesem Thema, die stellenweise aus deutscher Sicht die Grenzen zum Antisemitismus klar überschritten haben. Da sich hierbei auch so manche Band hervorgetan hat, die in der Vergangenheit Bestandteil des besagten Festivals war, haben beispielsweise einige Leute aus Deutschland beschlossen, dem Manchester Punk Festival in diesem Jahr fernzubleiben. Aber um es einmal vorwegzunehmen: Wir haben weder irgendwelche Ansagen zu dem Konflikt von der Bühne gehört, noch sonstige negativen Vorfälle mitbekommen. Generell war die Stimmung das ganze Wochenende sehr relaxt, und ich bin immer wieder überrascht, wie höflich und zuvorkommend die Menschen in Großbritannien im Allgemeinen sowie in der dortigen Punk-Szene im Speziellen sind.

Genaugenommen startete unser Programm bereits am Vorabend im ungefähr eine Zugstunde entfernten Leeds, da wir eine Show von HOT WATER MUSIC, A WILHELM SCREAM und CATBITE besucht haben. Das Konzert fand in einem kleinen ausverkauften Club vor 400  Leuten statt und wäre eigentlich einen eigenen Bericht wert, da es eines der besten Konzerte war, dem ich jemals beiwohnen durfte. Für mich war es das erste Mal, dass ich HOT WATER MUSIC in so einem kleinen Rahmen gesehen habe, und die Intensität, die die Band ausgestrahlt hat, ist mit ihren Konzerten in den üblichen Tausender-Venues nicht zu vergleichen. Abgesehen davon sollten wir zumindest die ersten beiden Bands bereits zwei Tage später wiedertreffen.

Tag 1

Der Freitag begann zunächst mit dem Abholen der Bändchen im „The Union“. Der Veranstaltungssaal ist Bestandteil der Universität und ist mit einem Fassungsvermögen von 800 Personen nicht nur das Headquarter des Festivals, sondern zugleich auch dessen größte Venue. Als wir ankamen, standen gerade 2 SICK MONKEYS auf der Bühne: Zwei nicht mehr ganz junge Herrschaften, die lediglich mit Schlagzeug und (voll verzerrtem) Bass ein unglaublich heftiges Hardcore-Punk-Brett hinlegten. Das Duo existiert wohl schon seit fast 25 Jahren und scheint einen gewissen Kult-Status in der britischen Punk-Szene zu besitzen, für meinen Geschmack war sein Sound aber auf Dauer zu monoton, so dass wir nach einer Handvoll Songs einen Ortswechsel vorzogen. Nächster Halt war der „Pink Room“, dem im oberen Stockwerk gelegenen Clubraum eines Restaurants namens YES. Der Raum trägt seinen Namen zurecht und erstrahlt komplett (!) in einem zarten Rosa – selbst Decke und Fußboden wurden in der Farbe gestrichen. Die Bandmitglieder der dort spielenden NOVACANE könnten vom Alter her wahrscheinlich auch die Söhne der zuvor gesehenen Punk-Veteranen sein, bevorzugten musikalisch hingegen eine Mischung aus Grunge und Punkrock. Ein wenig aus dem Rahmen fiel dabei ihr letzter Song, der mich irgendwie an die Frühwerke von SOCIAL DISTORTION erinnert hat. Anschließend übergaben sie die Bühne an IRISH HANDCUFFS, die inzwischen u.a. aufgrund diverser Auftritte beim Hamburger Booze Cruise Festival in den vergangenen Jahren bekannte Gesichter sind auch hier beim Blueprint schon einmal mit einem Review ihres Albums „Hits close to home“ gewürdigt wurden. Ein guter Start schon mal!

Als nächstes stand ein Abstecher zum „Zombie Shack“ auf dem Plan. Der mit einem Fassungsvermögen von 140 Personen kleinste Club des Festivals befindet sich in den Katakomben des Bahndamms direkt an der Oxford Road Station und ist über eine Wendeltreppe zu erreichen. Normalerweise handelt es sich um eine Tiki-Bar, die jedoch auch über eine kleine Bühne verfügt. Als wir den Laden betraten, spielten FLUFFY MACHINE gerade ihre letzten Lieder, und ich bedauere es etwas, nicht schon früher eingetroffen zu sein, denn die Schweizer waren ein richtiges Brett und strotzten nur so vor Spielfreude. Aber eigentlich waren wir ja wegen den darauffolgenden CUSTODY da. Die Finnen fühlten sich wahrscheinlich nicht nur aufgrund der saunaähnlichen Temperaturen in dem kleinen Laden wohl, sondern brennen regelrecht für Punkrock, was man auch daran erkennt, dass man die Bandmitglieder auch in den Folgetagen ständig bei Auftritten anderer Bands vor der Bühne angetroffen hat. Mit ihrem von Bands wie SAMIAM inspirierten 90er Jahre Punkrock kamen sie wiederum sehr gut beim Publikum an. Etwas aufbrausender wurde es danach bei COMRAD: Die Italiener lieferten eine überaus engagierte Emo-Hardcore-Show ab und sorgten für einen heftigen Pogo-Pit inklusive reichlicher Stagedives.

Custody im Zombie Shack

Dann wurde es wieder Zeit, den Standort zu wechseln. Das „Bread Shed“ ist ein idealer Punk-Club: Abgerockt, dunkel, mit Graffiti an den Wänden und stickerverzierten Toiletten. Hier erwarteten uns zunächst die mir bis dato unbekannten NOSEBLEED. Dem Trio aus Leeds eilt der Ruf voraus, zu den besten Live-Bands der Insel zu gehören, und sobald sie auf der Bühne loslegten, hatte ich auch eine Vorstellung warum. Ein unglaublich dreckiger Punk´n´Roll Bastard! Stellt euch eine Mischung aus THE HIVES und MOTÖRHEAD vor, dazu eine regelrechte Rampensau als Frontmann. Zur Mitte des Sets schnappten sich die beiden Saiteninstrumentenspieler ihre Mikrophonständer und verlagerten das Bühnengeschehen kurzerhand bis zum Rest des Auftritts mitten in den Pit, wodurch für den Rest der Show ein unglaublich geiles Chaos aus wogender Menschenmasse, Crowdsurfern und sogar einem enthusiastisch headbangenden Rollstuhlfahrer entstand. Ein Auftritt, der definitiv im Gedächtnis bleibt!

Entsprechend hoch lag die Messlatte für die folgenden BAR STOOL PREACHERS. Ich habe die Londoner bereits mehrmals live gesehen, zuletzt erst im Vorprogramm von COCK SPARRER. An diesem Abend lieferten sie jedoch den besten Auftritt ab, den ich bis dato von ihnen gesehen habe. Angeführt von einem hyperaktiven T.J. McFaull am Gesang gab es mit „Call me on the way home“, „Grazie Governo“, „Choose my friends“ oder „Trickledown“ einen ganzen Batzen Hits, der letztendlich mit der Mitgröl-Hymne „Flatlined“ sowie dem obligatorischen Rausschmeißer „Bar Stool Preacher“ schließlich einen krönenden Abschluss fand. So ganz zu Ende war der Abend für uns allerdings noch nicht, denn wir zogen noch weiter in das von den anderen Locations aus etwas abgelegene „Rebellion“, wo mit TOODLE & THE HECTIC PITY und TEENAGE HALLOWEEN zwei Vertreter der Emo-Pop-Punk-Schiene auf der Agenda standen. Erstere fielen vor mir vor allem durch Folk-Einflüsse sowie ihren Gitarristen auf, der nicht davor zurückschreckte, seine mit Tonabnehmer versehe Akustikgitarre durch den Distortion zu jagen. TEENAGE HALLOWEEN aus New Jersey waren hingegen erstmalig im UK unterwegs und freuten sich, ihren College-Sound erstmals dem britischen Publikum servieren zu dürfen. Eine durchaus interessante Band, die vor allem Fans von Acts wie THE WONDER YEARS oder AMBER PACIFIC durchaus mal auschecken sollten.

Tag 2

Der zweite Tag des Manchester Punk Festivals begann mit STU DALY etwas ruhiger. Der Singer/Songwriter ist vielen auch als Mitglied der irischen Indie-Punk-Band CHEWIE bekannt und zog demzufolge bereits zu verhältnismäßig früher Stunde zahlreiche Zuschauer*innen in den „Pink Room“ und erinnerte musikalisch an BILLY BRAGG oder WOODY GUTHRIE. Spätestens mit RECONCILER fanden wir uns dann aber im Punk-Segment wieder. Die Band aus Atlanta hatten wir bereits einige Tage zuvor auf der Hafenbarkasse MS Claudia in Hamburg gesehen, wo sie ihre Qualitäten aufgrund der improvisierten und beengten Rahmenbedingungen nicht komplett ausspielen konnten. Dies war im „Zombie Shack“ anders und sie lieferten einen überzeugenden Auftritt ab. Selbes galt für ihre Tour-Mates NEW JUNK CITY, die kurze Zeit später im für ca. 500 Leute ausgelegten und somit wesentlich größeren „Gorilla Club“ spielten. Vor allem die Südstaaten-Einflüsse in Lieder wie „High in the morning“ oder „Sinking ship“ kamen nun deutlich klarer zur Geltung als noch vor einigen Tagen auf dem Boot. Dass die Band mittlerweile auch in Europe ein Begriff ist, unterstreicht die Tatsache, dass auch der verhältnismäßig große Club außerordentlich gut gefüllt war.

New Junk City im Gorilla

Als nächstes stand eine Band auf dem Programm, auf die ich mich im Vorfeld ganz besonders gefreut hatte: THE PLANET SMASHERS! Die Kanadier surften in den 1990ern auf der großen Ska-Punk-Welle und standen trotz des geringeren Bekanntheitsgrads in musikalischer Sicht Vertretern wie LESS THAN JAKE, REEL BIG FISH oder MUSTARD PLUG in nichts nach. Für mich war es das erste Mal, dass ich die Band live gesehen habe, und ehrlich gesagt wirkte es etwas surreal, die Band mehr als ein Vierteljahrhundert später Songs wie „Can’t stop“ oder „Surfin‘ in Tofino“ spielen zu sehen. Aber sie hatte es noch immer drauf und brach im Union zur besten Tea Time eine große Party vom Zaun.

Nach einem kulinarischen Abstecher zum Burger-Laden „Grand Daddy’s Diner“ (ausdrückliche Empfehlung!) fanden wir uns frisch gestärkt wieder zu A WILHELM SCREAM und HOT WATER MUSIC im „Union“ ein. Und wieder einmal wurde deutlich, welchen Einfluss die Größe und Beschaffenheit einer Venue auf die Qualität eines Konzerterlebnisses hat. Wussten mich die Auftritte beider Bands, wie eingangs bereits angedeutet, zwei Tage zuvor in Leeds restlos zu begeistern, empfand ich die heutigen Auftritte trotz weitestgehend identischer Setlisten und ähnlich elanvoll vorgetragener Bühnenperformance lediglich als durchschnittlich. Während bei ersteren zumindest noch ein amtlicher Pogo-Pit vor der Bühne tobte, hatten HOT WATER MUSIC trotz ihres vor Hits wie „Trusty chords“, „Drag my body“, „Habitual“ oder „Wayfarer“ strotzenden Programms mit einem etwas reservierten Publikum sowie schlechtem Saal-Sound zu kämpfen. Sehr schade! Dennoch sollte der Abend noch ein unverhofftes Highlight für uns bereit halten: DØMT! Die Norweger:innen begeisterten das Publikum im „Zombie Shack“ mit Ska-beeinflusstem Anarcho-Punk, wie man ihn von Bands wie beispielsweise LEFTÖVER CRACK kennt. Kommt definitiv auf die Merkliste! Nach einem Abstecher ins „Rebellion“, wo noch eine DISTILLERS-Coverband spielte, ging es in den frühen Morgenstunden zurück ins Appartement.

Tag 3

Der letzte Tag des Manchester Punk Festivals startete zunächst einmal mit einem ausgedehnten Frühstück, bevor mit SPOILERS (mit SNUFF-Bassist Lee Batsford am Gesang) und ONE HIDDEN FRAME der musikalische Part des Tages eingeläutet wurde. Beides zweifelsfrei gute Bands, aber was die Musik angeht auch, offen gesagt, ziemlich austauschbar. Zumal der Umstand, dass die Formationen zur Mittagszeit im überdimensionierten und sterilen „Union“ performen mussten, auch nicht gerade dazu beitrug, dass der Funke übersprang. Dafür erwartete uns im „Bread Shed“ völlig unverhofft eines meiner persönlichen Festival-Highlights: MIDWICH CUCKOOS! Die sehr divers aufgestellte Band lieferte eine unglaublich mitreißende Live-Show ab und ballerte dem Publikum rotzigen Punkrock mit einer leichten Metal-Note und eingängigen Hooklines um die Ohren. Unglaublich gut! Von den sehr guten Dub/Reggae-Punks DAKKA SKANKS im „Union“ habe ich leider nur noch das Ende mitbekommen, aber eigentlich waren wir auch wegen der beiden darauffolgenden Bands da: Zunächst einmal die PIZZATRAMPS aus Wales. Ein unglaublich abgefucktes Hardcore-Punk-Brett, das nicht nur stilistisch, sondern auch in Sachen Attitüde an RICH KIDS ON LSD oder SCHEISSE MINELLI erinnert hat. Dazu hat der zwischen den Liedern nonstop vor sich hin pöbelnde Sänger noch den einen oder anderen Pint Bier auf der Bühne weggezogen. Das Publikum war jedenfalls bestens amüsiert. RISKEE & THE RIDICULE brachten anschließend mit ihrem Grime-Punk den Saal zum beben und unterstrichen, dass sie derzeit zu einer der angesagtesten Bands im britischen Punk-Sektor zählen.

Grade 2 im Bread Shed

Ähnliches gilt auch für DARKO, die mit ihrem melodischen Hardcore im Anschluss das rappelvolle „Bread Shed“ zerlegten. Unser Tageshighlight sollte jedoch mit GRADE 2 folgen. Das aktuelle Album des Trios zählt für mich zu den besten Alben des vergangenen Jahres und entsprechend groß war meine Vorfreude. Und ich sollte nicht enttäuscht werden: Mit einer guten Mischung aus Songs des besagten Albums („Judgement day“, „Celine“, „Doing time“, „Gaslight“…) und älterem Material („Tired of it“, „Graveyard Island“, „Turning the tide“, „Bowling green lane“…) ließen sie keine Wünsche offen und waren für mich der würdige Abschluss eines Punkrock-Festivals, dessen Reiz meiner Meinung nach gerade durch den Abwechslungsreichtum seiner Bands und Locations befeuert wird. Das schreit auf jeden Fall nach einer Wiederholung!

Bernd Cramer

Konzert-Junkie & Vinyl-Liebhaber. Schreibt über Musik, ohne zu Architektur zu tanzen.