Die Voraussetzungen hätten besser nicht sein können, als wir am Freitagmorgen in Hamburg starteten. Das Maifeld Derby schien uns aus der Ferne betrachtet ein kleines, sympathisches Festival zu sein, die Wettervorschau versprach Temperaturen um die 25°C und genügend Sonne. Dazu ein Line-Up, das sich las, wie meine persönlichen Playlists: SOMETREE, RUE ROYALE, MODERAT, MINUS THE BEAR, KING KHAN & THE SHRINES, … Zu guter Letzt wurde für den Bierliebhaber auf fünf regionale Brauereien gesetzt mit so unbekannten Namen wie Palmbräu, Eichbaum, Weschnitztaler, Meckatzer und Woinemer. Was mehr kann sich das Festivalherz wünschen?
Doch wir hatten die Wette ohne den Verkehrsfunk gemacht. Eine Stunde Stau vor Hannover, Pfingstferienende in Baden-Württemberg und Bayern, und wer denkt, dass die Verkehrslage in Hamburg angespannt ist, sollte mal nach Mannheim fahren. Für eine Strecke von 2km brauchten wir eine geschlagene weitere Stunde. Also, Sachen schnell in unserer Herberge abladen und per Straßenbahn auf zum Maimarkt Gelände!
Erste Überraschung: ist der kleine Party-Pavillon da vorne der Haupteingang? Tatsächlich! Die zweite Überraschung war eine eigene Festivalwährung (Derby-Dollar). Dritte Überraschung: Schotterplatz. Mist. Das könnte in den nächsten drei Tagen unbequem werden…
Weil wir THE LYTICS leider knapp verpasst hatten und nur noch sahen, wie sie sich backstage zu einem gelungenen Auftritt abklatschten, begannen wir mit WHY?. Auf Platte konnte ich mit der Band aus Oakland nie so recht warm werden, aber live fällt das wesentlich leichter. Lassen sich die Amis musikalisch nur sehr schwer irgendwo zwischen den Sparten Neo-Folk, HipHop, Indierock und Folk einordnen, kommt ihre Musik dennoch sehr homogen rüber. Ein guter Start ins Festival auf der Hauptbühne. Auf dem Weg zum Derbydollar-Schalter verschafften wir uns einen schnellen Überblick über das Gelände. Die kurzen Wege zwischen den Bühnen sind definitiv ein Vorteil, und was ist das da vorne? Ein Stand von Frangelico? Großartig! Und das Allerallerbeste: es handelte sich um einen Promostand. Die Gratishaselnussschnapsversorgung war somit gesichert. Dafür musste man allerdings in den drei Tagen die animierenden Ansagen eines autoscooterartigen DJs ertragen. Irgendwas ist immer.
Weiter ging es im größeren der beiden Zirkuszelte – dem „Palastzelt“. Dort spielten CIGARETTES AFTER SEX aus El Paso, die nach einem Demo und einer EP soeben ihr Debütalbum veröffentlicht hatten. Doch was auf Tonträger durchaus eine romantisch-düstere Stimmung verbreitet und gelegentlich sogar an MAZZY STAR erinnert, ließ live eher an den schwülstigen Soundtrack von Twin Peaks zurückdenken. Also schnell zurück zur Fackelbühne, wo SOHN kurze Zeit später begann. Der Londoner, der zuletzt in Wien lebte und kürzlich nach L.A. ausgewandert ist, war bereits zum zweiten Mal auf dem Maifeld Derby. Vor drei Jahren noch im Zelt, nun also auf der Hauptbühne. Seine Mönchskutte von damals hatte er abgelegt und gegen einen großen Zimmermannshut getauscht, und passend dazu klingen die Songs seines kürzlich erschienenen zweiten Albums luftiger und befreiter als auf seinem bereits vielfach gelobten Debüt. Dabei verschließt SOHN auch keineswegs die Augen vor gelegentlichen Ausflügen in Richtung Pop, was mit seinem souligen Gesang perfekt harmoniert.
Auch wenn die Wege zwischen den Bühnen kurz waren, kam man gelegentlich in Entscheidungsschwierigkeiten, für welches Konzert man sich entscheiden sollte. Nach einer halben Stunde SOHN wechselten wir rüber zum Parcour d’Amour, dessen Name Programm war. Die Bühne im Reitstadion war der Ort für die ruhigen, intimen Konzerte, wo man auf der Tribüne entspannt zusammenrücken konnte. Für Konzerte, die andernorts in den kleinen, gemütlichen Clubs stattfinden, wo man den Atem anhält, um den Tönen zu lauschen. Hier spielten RUE ROYALE, die ich vor kurzem noch auf dem Lattenplatz vor dem Knust gesehen hatte. Inzwischen hat das anglo-amerikanische Duo nicht nur drei Longplayer auf den Markt gebracht, sondern auch seine zweijährige Tochter auf Tour mit dabei. Was bei anderen Bands nach einer Katastrophe klingen würde, wirkt bei dem Pärchen jedoch äußerst liebevoll und eher wie eine alternative Lebensform. Welchem anderen Kleinkind wird schon die Möglichkeit des Herumreisens quer durch Europa gegeben? Doch es geht auch musikalisch weiter. Die „Single eye and an echo“-EP bietet erste Einblicke in die neuen Stücke, wo die elektronische Komponente immer besser in die indiefolkigen Songs integriert und um mehr Schlaginstrumente als bisher ergänzt wird. Man darf gespannt sein, wann und wo ein neues Album folgen wird, offenbar war man mit der internationalen Vermarktung bei Sinnbus nicht ganz zufrieden.
Apropos Sinnbus: im Brückenaward, dem kleineren der beiden Zelte, spielten anschließend HEIM, die guten alten Indierock zwischen SONIC YOUTH, MARSONNE und anderen alten Sinnbus-Bands machten. Allerdings veröffentlichten sie vor kurzem auf Tapete Records, also dem Label, das ursprünglich für ziemlich poppige Indiemusik stand à la ANAJO, TELE und ERDMÖBEL. So ändern sich die Zeiten. Musikalisch gefiel das auch live ziemlich gut, allerdings war der Gesang eine ganze Spur zu laut und dafür leider zu schief.
Besser machten es hingegen WHITE WINE, die neue Band von Joe Haege (Ex-31 KNOTS, Ex-TU FAWNING, Ex-MENOMENA, Ex-THE DODOS). Zuvor nannten sie sich VIN BLANC, ganz zu Beginn handelte es sich dabei noch um Haeges Soloprojekt, 2014 war man dann als Duo unterwegs, und inzwischen sind sie zum Trio angewachsen. Wie ernst es Joe Haege mit der Band ist, zeigt die Tatsache, dass er vor drei Jahren aus Portland, Oregon nach Leipzig, Sachsen gezogen ist, um sich voll und ganz auf WHITE WINE konzentrieren zu können. Im September erscheint ihr neues Album mit dem Titel „Killer brilliance“, und im Brückenaward konnte man daran teilhaben, wie es klingen wird (hier geht es zum just veröffentlichten Video des Titeltracks). Musikalische Vergleiche zu ziehen, fällt dabei schwer. Am besten beschreiben lässt es sich mit einer Kreuzung aus Zirkus, Post-Jazz, Chansons und Schwarz-Weiß-Filmen aus den Zwanziger Jahren. Verglichen mit Haeges Vorgänger-Band 31 KNOTS, die mehr im Post-Hardcore zu verordnen waren, klingen WHITE WINE wesentlich eingängiger und minimalistischer, ohne dabei jedoch an Wahnsinn einzubüßen. Das wird dem ausgebildeten Schauspieler wahrscheinlich niemals widerfahren, dafür steckt er einfach zu voll mit kruden Ideen. Das Publikum war begeistert, wir auch, und so verabschiedeten wir uns für den ersten Abend ins Bett.
Ähnlich wie beim musikalischen Programm hat man in Mannheim auch noch andere Wahlmöglichkeiten. Bus oder S-Bahn? Frühstück am Rhein oder am Neckar? Oder doch lieber auf der anderen Rheinseite in Ludwigshafen? Wir entschieden uns am ersten Tag für S-Bahn und Rhein, morgen dann Ludwigshafen.
Auf dem Maimarktgelände starteten wir den Nachmittag mit BABY GALAXY auf der Hauptbühne. Was auf youtube noch nach schönstem old school Indierock klang, kam live eher wie eine pubertierende Schülerband rüber, die backstage vorab die gesamten Biervorräte weggetrichtert hatte. Jedenfalls wurden nach einer Viertelstunde bereits alle Schlagzeugsticks in Richtung Publikum verteilt und die Bassgitarre fünf Meter in die Höhe geschleudert. Leider überlebte der Bass den Sturz, und es ging weiter. Wir auch.
Zu KLEZ.E ins Palastzelt. Die Band aus Berlin gibt es schon seit 15 Jahren, und in dieser Zeit hat sich einiges getan. Startete man zu Beginn des neuen Jahrtausends noch als deutschsprachige Indiepoprock-Band, hat man mittlerweile die musikalische Ausrichtung ziemlich neu interpretiert und sich mit dem aktuellen Album „Desintegration“ nicht nur namentlich an THE CURE (1989 erschien ihr Album „Disintegration) orientiert. Zum Teil mit zwei Bassgitarren geht es wesentlich düsterer zu als zuletzt, und selbst die Optik von Sänger/Bassist/Gitarrist Tobias Siebert könnte als Lookalike eines Robert Smith durchgehen. Musikalisch zwar schön arrangiert, war der Auftritt am frühen Nachmittag im sommerlich temperierten Zirkuszelt doch etwas fehlplatziert.
So entschlossen wir uns dazu, draußen dem eigentlichen Highlight des Festivals, der Steckenpferd-Dressur, zu folgen. Was wie ein kleines Festival-Gimmick klingen mag, wird auf dem Maifeld Derby in alljährlicher Regelmäßigkeit mit absoluter Passion betrieben. So gibt es sogar eine eigene Homepage, auf der die Steckenpferd-Dressur als „neue Trendsportart für Menschen mit einem angeborenen Sinn für anmutige Bewegungen“ umschrieben wird. Und wenn man sich die Zahl der Zuschauer ansah, kommt man nicht drum herum, den Event der Steckenpferd-Dressur als das eigentliche Herz des Festivals zu bezeichnen. Was in seinem Ursprungsland Finnland schon seit einigen Jahren in regionalen Wettkämpfen und einer jährlichen nationalen Meisterschaft aufgetragen wird, wird auf dem Maifeld Derby jedoch um einige improvisatorische Einlagen erweitert. So kann der Reiter auf dem Horsewalk Michael Jacksons Moonwalk imitieren, am White Stripe Presley das Steckenpferd als Luftgitarre einsetzen und an der Station Edith Piaffe seine Gesangsqualitäten unter Beweis stellen. Am Ende entschieden vier Dressurexperten die Performance nach Präzision, Anmut, Dynamik und Kreativität mit bis zu zehn Punkten je Jurymitglied. Doch wehe, man nahm den Wettbewerb auf die leichte Schulter. Bei Teilnehmern wie „Pimmelreiter“ wurde während der Dressur vom Moderator die Wahl des Namens in aller Ausgiebigkeit auseinandergenommen, bei anderen Teilnehmern wurde darauf hingewiesen, was Alkohol aus Menschen machen kann. Eine kurzweilige Angelegenheit, um zwischenzeitliche Pausen im persönlichen Zeitplan unterhaltsam zu überbrücken.
Musikalisch ging es bei uns bei AMERICAN FOOTBALL weiter. Die Kinsella-Cousins aus Illinois, die Ende der Neunziger ihre Hochzeit erlebten und nach wie vor als Einfluss für viele spätere Bands gelten, fanden 2014 wieder zusammen und auf die Bühne. Doch nicht nur das, 2016 folgte 17 Jahre nach dem Debüt sogar ein zweites Album, das nahtlos daran anknüpft. Auch bei ihrem Auftritt fühlte man sich melancholisch an die eigene Jugend erinnert. Als wäre der Emocore nie weg gewesen.
Anschließend stellten METRONOMY unter Beweis, dass sie gerade als Live-Band unglaublich gereift sind und verwandelten das Palastzelt in ein wahres Discozelt. Ich war überrascht, wie viele Hit-Singles die Band aus dem Südwesten Englands schon veröffentlicht hat. Konnte man die Briten zu Beginn noch in die nerdige Indietronic-Ecke stellen ist ihr Sound inzwischen so gereift, dass sie nicht zu Unrecht als die ROXY MUSIC der Neuzeit gehandelt werden. Toller Auftritt!
Nicht ganz die Vorschusslorbeeren ernten konnte hingegen KATE TEMPEST. Spielte die Britin auf dem Reeperbahnfestival 2011 mit der Band SOUND OF RUM noch in der verhältnismäßig kleinen Prinzenbar, so wurde die öffentliche Aufmerksamkeit ihr gegenüber in der letzten Zeit immer größer. Gewiss hat KATE TEMPEST mit ihren gesellschaftskritischen Texten was zu sagen, für meinen Geschmack wurde für einen Main Act jedoch zu viel Zeit mit Spoken Word-Performances vertan.
Einen ähnlichen Start durch die Decke wie KATE TEMPEST legte zuletzt auch RYLEY WALKER hin. Vor zwei Jahren spielte er noch im mickrigen Hamburger Aalhaus, inzwischen tauchen seine beiden letzten Alben in nicht wenigen Jahresbestenlisten auf. Natürlich gehörte er auf dem Maifeld auf die intime Parcour d’Amour-Bühne. Mit seinen großartigen Fingerpickings auf der Akustikgitarre, die an diesem Abend aber durch seine Backing Band etwas in den Hintergrund traten, versetzte einen der junge Songwriter gedanklich zurück in die Siebziger Jahre. Kaum zu glauben, dass der gute Mann selbst erst 27 Jahre alt ist.
In eine komplett andere Richtung geht die Musik des Berliner Musikers Sascha Ring. Vor allem mit dem erfolgreicheren seiner beiden Projekte, MODERAT, das sich namentlich und personell aus den beiden Bands APPARAT und MODESELEKTOR zusammensetzt, wird hier das auf den Punkt gebracht, was die Berliner Clubkultur im letzten Jahrzehnt herzugeben wusste. Beeindruckend tiefe Bässe, kombiniert mit Rings zarter Stimme sorgen für tanzbare Momente, die mit ihren flächigen Sounds zugleich zum Träumen einladen, was zusammen mit den ausgeklügelten Lichteffekten für eine magische Stimmung im Palastzelt sorgte.
Die letzten beiden Bands des Abends zählen mittlerweile auch schon zu den Oldies. MINUS THE BEAR bringen es inzwischen auf sage und schreibe 13 LPs und EPs. Hatte man sich zwischenzeitlich etwas zu sehr im Prog-Rock verrannt, hat die Band aus Seattle nach diversen stilistischen Änderungen zuletzt seinen markanten eigenen Sound gefunden, der sich durch hymnenhaften Gesang, komplexes, aber zugleich sehr melodisches Songwriting und die glasklare Stimme Jake Sniders auszeichnet. Beeindruckend ist dabei vor allem, dass der Sound selbst live so perfekt klingt, als spielten die fünf nur Playback.
Auf derselben Bühne durften anschließend SOMETREE antreten, die sich bereits 1994 in Goslar gegründet und, man glaubt es kaum, als METALLICA-Coverband begonnen hatten. Ihren eigenen Sound hatten sie recht schnell gefunden, der zu Beginn noch etwas garagig und laut klang, mit der Zeit immer mehr um klassische Instrumente wie Klavier und Bläser ergänzt wurde. Nach sechs Jahren Bandpause spielten sie im letzten Jahr ihr erstes Konzert auf dem Alinae Lumr-Festival in Storkow, umso besser, dass dies nicht der einzige Auftritt blieb. Mit neuerdings zwei Schlagzeugern boten sie das gesamte Repertoire aus alten und neuen, aus ruhigen und lauten Songs. Ein Lied mussten sie neu beginnen, weil Sänger und Gitarrist Bernd vergessen hatte, wie das Stück beginnt und dies mit den Worten „Der Song ist zwanzig Jahre alt. Da darf man mal vergessen, wie er losgeht“ entschuldigte. Von mir aus darf gerne auch ein neues Album folgen. Der gut besuchte Auftritt zu später Stunde bestärkt meine Vermutung, dass ich nicht der Einzige wäre, der sich darüber freuen würde.
Der dritte Tag rief bereits zur Mittagszeit aufs Maigelände, weil KING KHAN & THE SHRINES bereits um 12:30 loslegten. Eine undankbare Zeit, sollte man meinen, doch die hochsommerlichen Temperaturen und die hochstehende Mittagssonne passten hervorragend zum King of Soul. Der betrat die Bühne in einem hautengen, tief dekolletierten Catsuit mit zwei Gucklöchern am Hintern, die natürlich perfekt zu seiner wohl genährten Figur passten. Zusammen mit acht Musikern an Gitarre, Bass, Schlagzeug, Percussions, Moog und Bläsern bot er einen bunten Mix aus 70s Soul, Funk, Garage und Blues und sorgte für eine ausgelassene Stimmung bis – plötzlich der Strom ausfiel. Mit einem Mal hörte man nur noch die Saxophone und Trompete und das Schlagzeug aus der Ferne, doch wo andere Bands vermutlich unwissend die Bühne verlassen hätten, machten die Shrines aus der Not eine Tugend und improvisierten mit Bläsern, Schellenkranz und sonstigen Percussions, bis der Sound wieder da war. Man darf fast sagen: leider. In der Festivalnachbetrachtung anscheinend für viele Zuschauer eines der besten Auftritte des gesamten Festivals.
Die Temperaturen und die auf Dauer doch etwas raren Sitzmöglichkeiten/Liegeflächen lockten uns am Nachmittag noch mal nach Ludwigshafen an den Rhein, bevor wir am Nachmittag wieder zu SPOON zurückkehrten. SONIC YOUTHs Legende Thurston Moore hatten wir leider verpasst, doch die Band aus Austin entschädigte dafür allemal. An der musikalischen Einordnung sind schon ganze Heerscharen von Journalisten gescheitert. Die einen nennen BECK als Referenz, andere BRANT BJORK, SUICIDE oder GUIDED BY VOICES, wiederum andere die STROKES. Fest steht jedenfalls, dass die meisten nur lobende Worte über den minimalistischen Indiepop der Texaner verlieren, der zum Teil auch noch im Postpunk verortet wird. Dies bestätigte sich auch am Sonntagnachmittag, wo SPOON trotz hochsommerlicher Temperaturen viele Zuschauer ins Zirkuszelt locken konnten.
Ein etwas ungewöhnlicherer Festival-Beitrag, zumindest für Nicht-Mannheimer, waren die Fuckup Nights, die am frühen Sonntagabend im Reitstadion stattfanden. Geboren wurde die Idee vor fünf Jahren in Mexiko, wo von misslungenen Geschäften oder Projekten berichtet wurde, wo man also das Scheitern kultivierte und nicht, wie sonst vor allem im Kapitalismus üblich, Erfolgsmodelle präsentiert bekam. Auf der Bühne des Parcour d’Amour saßen heute vier Personen, die aus den verschiedensten politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Bereichen kamen und ihre erfolglosen Projekte der Vergangenheit präsentierten. Dabei war zum Beispiel Markus Sprengler, besser bekannt als damaliger Sänger der BUSTERS, der davon berichtete, wie sie als Major-Sublabel das Unternehmen „Popwert“ gründeten, mit der Idee, werteorientierte Musik zu fördern. Seine Geschichte handelte von der Band SUNBURST und einer überteuerten Produktion in den Staaten und wie eine ursprünglich zugesagte finanzielle Unterstützung von Investoren plötzlich ausblieb. Dies führte dazu, dass Sprengler am Ende aus Unerfahrenheit eine Insolvenz verschleppte, diese als Geschäftsführer zu verantworten hatte und aus privater Tasche eine Strafe von 10.000€ zahlen musste. Geschichten wie diese oder die von einem Kulturpolitik-Neuling, der die Verflechtungen der Lokalpolitik mit der örtlichen Presse nicht durchschaute und aufgrund fehlender Kommunikation am Ende aus seinem Job manövriert wurde, klingen zwar nicht amüsant, jedoch wurden sie spannend und emotional vorgetragen und im Anschluss daran interaktiv mit dem Publikum besprochen und möglichen Lösungsvorschlägen ausgetauscht. Dass es bei den Fuck Up-Nights am Ende auch um die Vermeidung von Fehlern geht, wie man aus Rückschlägen lernt und daraus neue Kraft zieht, rückt die Veranstaltungsreihe letztendlich doch wieder näher in Richtung „Tipps für einen erfolgreichen Startup“ als man vielleicht bemerkt. Aber wahrscheinlich liegt dies an der Natur des Menschen, der nicht gerne verlieren möchte und lieber ein Happy End als eine aussichtslose Niederlage sieht.
Passend dazu ging es im Anschluss an die Fuckup Nights im Parcour d’Amour auch mit der Musik versöhnlich weiter. Zwar mag ANDY SHAUF in Deutschland noch nicht allzu bekannt sein, aber es lohnt sich, den Kanadier mit seiner sanften Stimme im Auge zu behalten. Mit einer Mischung aus Kammerpop, Indie und Folk findet der Singer/Songwriter seinen eigenen Stil, was auch an der ungewöhnlichen musikalischen Begleitung in Form von zwei Klarinetten (die hervorragend zur Musik passten!) liegt, die durch verträumte Synthies und dezente Drums unterstützt wurden. Tipp!
Wesentlich tanzbarer ging es bei PARCELS zu, die im Brückenaward spielten. Ein Jahr nach der Bandgründung zog es die Band aus Australien nach Berlin, wo sie aufgrund der engen Wohnsituation noch enger zusammenrückte und bereits zwei Monate später auf dem Dockville Festival auftrat. Dies alles geschah vor zwei Jahren, 2016 folgten 34 Konzerte und in diesem Jahr werden (Stand 1.7.2017) es mindestens 78 Konzerte werden. Wer diese Band noch nicht kennt, wird in nächster Zeit nur noch schwer an ihr vorbeikommen. Und das ist gut so, denn ihr Mix aus Funk und Elektro ist so herrlich sommerlich und luftig, dass man sich in einen Cabrio setzen und an die See brausen möchte.
Im Palastzelt läuteten SLOWDIVE schließlich den Ausklang unseres ersten Maifeld-Derbys ein. Der Stil der Briten wird gerne als Mischung aus Dreampop und Shoegazer umschrieben, ist dabei mit seinen hallenden Soundwällen stellenweise aber auch nicht allzu weit von MOGWAI entfernt. Der perfekte Sound für den Abschluss des Festivals, der sich auf dem Weg zur Straßenbahn bei untergehender Sonne nur langsam verabschiedete. Mannheim, wir werden uns bald wiedersehen!