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LESTER – Vom Melodycore zum Heavy Pop

Vor einigen Wochen kam hier das Debüt-Album „Die Lüge vom großen Plan“ der Band LESTER ins Haus geflattert und hat seitdem schon so manche Runde im CD-Player zurückgelegt. Bevor die Münchener in Kürze zu einer kleinen Release-Tour aufbrechen, haben wir Sänger Andy gebeten, uns ein paar Fragen über die Band und das besagte Album zu beantworten.

Vor ungefähr fünf Jahren habt ihr LESTER gegründet, zuvor wart ihr bereits bei PUNCHERS PLANT und DAILYSOAP aktiv. Was gab den Ausschlag, neben den bisherigen Bands ein weiteres Projekt zu gründen?
Die Gründungsmitglieder von LESTER – Jasper, Phil und ich – stammen alle aus PUNCHERS PLANT. Obwohl wir alle sehr stark durch englischsprachigen Cali-Punk und Melodycore sozialisiert worden sind, haben vor allem Jasper und ich nach und nach deutschsprachige Musik/Punk für uns entdeckt. Die Anfänge waren …BUT ALIVE, KETTCAR, MUFF POTTER und JUPITER JONES. Wir konnten auch Phil damit infizieren, und als bei PUNCHERS PLANT eine halbjährige Pause anstand, haben wir drei uns im Bandraum getroffen, jeder von uns ein neues Instrument in die Hand genommen und ganz naiv drauf losgeholzt. Das wurde dann tatsächlich recht schnell konkret, wir haben uns Hermann (DAILYSOAP) für die zweite Gitarre und Deutschpunk-Expertise dazu geholt und LESTER war geboren.

Was natürlich als erstes auffällt, ist der Umstand, dass ihr bei LESTER im Gegensatz zu euren vorherigen Bands auf Deutsch singt. Hattet ihr schon vorher eine Vorliebe für Bands mit deutschsprachigen Texten? Und war es von Anfang an klar, dass bei LESTER in der Muttersprache gesungen wird, oder gab es diesbezüglich bandinterne Diskussionen?
Nein, das war mit dem ersten Treffen klar. Wir wollten ja bewusst was Anderes als PUNCHERS PLANT machen. Jasper hat intuitiv auch sofort auf Deutsch getextet, und ich wollte sowieso nie auf Englisch singen. Das Gesangsding war ja komplettes Neuland für mich, wovor ich großen Respekt hatte, da wollte ich nicht noch Gefahr laufen, mich mit schlechtem Denglisch zu blamieren.

Kommen wir auf eure bisherigen Veröffentlichungen zu sprechen. Eure erste EP „Der Einöde zum Trotz“ sowie die Split-Single mit GLORIOUS THIEVES habt ihr als 7“-Vinyl veröffentlicht, die EP „Manöverkritik“ erschien als Tape, die aktuelle Single-Auskopplung „Zoofachgeschäft, Müllerstr. 17“ samt exklusivem Bonustrack erschien ausschließlich digital, und das Album kommt sowohl im CD- als auch im LP-Format raus. Abgesehen von einer 10“-Veröffentlichung hättet ihr somit alle gängigen Veröffentlichungsformate durch… Wolltet ihr bewusst mit den Formaten herumexperimentieren, oder hat es sich eher zufällig so ergeben? Welches ist euer persönliches Lieblingsmedium zum Musikhören?
Die Formatvielfalt war eher Zufall. Wir alle wollten unbedingt Vinyl machen, daher wurde die erste EP „Der Einöde zum Trotz“ dann eine 7“-Single. Bei der Split war das auch so geplant – ich finde so 7/10-Inch-Splits super! Das Tape war total aus der Situation heraus. Hermann musste leider nach Dubai abhauen, wir waren super happy, Schindl an den Drums dazubekommen zu haben, und Phil wechselte somit an die Gitarre. Das hat dem LESTER-Sound auch nochmal eine ziemlich andere Note verpasst. Um in der neuen Besetzung auch was Vorzeigbares in der Hand zu halten, haben wir die „Manöverkritik“-EP aufgenommen. Bei der Veröffentlichung wollten wir nicht all zu viel Kohle auf den Kopf hauen, weil wir schon die LP recht konkret anvisiert hatten. Die Songs dann schnell und recht unkompliziert auf Tape zu veröffentlichen, war also optimal. Wir sind alle dann doch so altmodisch, dass es uns schon wichtig ist, bei allen Veröffentlichungen auch eine haptische Version zu haben. Auch als Konsument ist Vinyl unser alle Lieblingsmedium, auch wenn man dann halt doch im Alltag mehr digital hört.

Mit Bakraufarfita Records habt ihr inzwischen auch ein ambitioniertes kleines Label im Rücken. Was war der Grund für euch, die Platte diesmal mithilfe eines Labels zu veröffentlichen, und wie kam der Kontakt zu Bakraufarfita zustande?
Bei den EPs haben wir nie bewusst nach Labels gesucht. Dass das Tape dann über Laserlife Records rauskam, war wieder eher Zufall. Beim Album jetzt war es schon von Anfang an unser Wunsch, ein Label als Partner mit im Boot zu haben, das uns etwas unter die Arme greift und man dann mit vereinten Kräften so ein großes Projekt schultern kann. Dass die Platte jetzt über drei Labels erscheint, ist für uns großes Glück. Harry von Laserlife und Bernd von 30KiloFieber Records kannten wir davor schon durch Shows persönlich. Zu Bönx (Bakraufarfita) bestand noch kein persönlicher Kontakt. Wir hatten denen einfach die Platte mal zugeschickt. Es freut uns sehr, dass Bakraufarfita dabei sind und in der ganzen Koordination und Planung der Veröffentlichung das Ruder in der Hand halten. Das Label bringt ja gerade echt viel raus, somit haben die da vollen Durchblick, und wir konnten uns im Zuge der Veröffentlichung mehr aufs Siebdrucken und Basteln konzentrieren.

Bei der Betrachtung der Tracklist von „Die Lüge vom großen Plan“ bin ich über zwei Titel gestolpert, die eine gewisse Hamburg-Affinität vermuten lassen: „Hamburger Berg“ und „Dackelblut“, wobei zumindest letzterer jedoch keinen direkten inhaltlichen Bezug zur Hansestadt zu haben scheint. Dennoch ist der Blick Richtung Norden für eine Münchener Band eher ungewöhnlich, wie ich finde. Welche Rolle spielt Hamburg für LESTER?
„Dackelblut“ hat bis auf den Titel tatsächlich keinerlei Hamburg-Anleihen. Aber ja, auch wenn das bescheuert klingen mag, Hamburg hat schon immer einen krassen Reiz auf uns ausgeübt. Es kommen so viele Bands aus Hamburg, die wir feiern und uns sicher auch ein Stück weit beeinflusst haben. Noch dazu ist es eine unglaublich schöne und interessante Stadt. Am Millerntor habe ich wiederentdeckt, dass Fußball-Fankultur auch angenehm anders sein kann – einzig das Wetter ist etwas gewöhnungsbedürftig. Jasper hat vor ein paar Jahren einige Monate beruflich in Hamburg verbracht, und der Text zu „Hamburger Berg“ entstand auch in dieser Zeit.

Generell drehen sich die Texte bei LESTER in erster Linie um persönliche Belange. Was spricht bei euch gegen politische und sozialkritische Themen?
Auch wenn wir alle politisch interessierte Menschen sind und aus dem Punkrock-Bereich kommen, war für uns LESTER nie eine sozialkritische Band. Wir hatten in den Demos zum Album einen sehr plakativ-politischen Song, aber es hat sich nicht richtig für uns angefühlt. So gern und aktiv wir über Politik reden und reflektieren, ist es immer schwierig, eine reflektiert-kritische Aussage in einem Song zu formulieren, ohne dass es total platt rüberkommt. Man läuft auch Gefahr, dass es in Richtung reine Selbstvergewisserung geht. Mit den meisten, die mit dieser Musikrichtung etwas anfangen können, ist man eh auf einer Linie. Und es ist die Frage, inwiefern man die anderen von einer Bühne aus erreicht. Das ist etwas, was wir lieber im persönlichen Gespräch tun als in einer Ansage vor einem Song, in der man Dinge nur ganz verkürzt darstellen kann. Andere Bands machen das sehr gut und souverän, bei uns ist es aktuell nicht so, dass wir da ein übergroßes Mitteilungsbedürfnis haben. Soll aber alles nicht heißen, dass wir auf der nächsten Platte nicht vielleicht doch ein paar politische Songs packen werden.

Kommenden Freitag erscheint euer Album offiziell. Wie geht es danach bei LESTER weiter?
Die Woche drauf geht es dann erstmal vom 1. bis 4. Juni auf eine kleine Release-Tour quer durch die Republik. Dann kommen ein paar Festivals über den Sommer, und im Herbst werden dann fleißig mit unserem Pampersbomber Kilometer runtergerissen und Konzerte gespielt.

Website:
http://neu.wirsindlester.de/

Termine Release-Tour:
01.06.2017 München – Hansa39 (mit Brightest Day)
02.06.2017 Berlin – Cortina Bob (mit Blinker Links & Frau Mansmann)
03.06.2017 Schwerin – Kultur Palast (mit Spandau)
04.06.2017 Hamburg – Astra Stube (mit Spandau)

Bernd Cramer

Konzert-Junkie & Vinyl-Liebhaber. Schreibt über Musik, ohne zu Architektur zu tanzen.