„Dass ich das noch erleben darf“, entfuhr es mir, als ich vernahm, dass LES SAVY FAV sich für die erste Deutschland-Tour nach sechs Jahren ankündigen. So lange liegt nämlich auch schon ihr letztes offizielles Album zurück, und da ich die New Yorker Weirdo-Art-Punks und Postcore-Veteranen bislang noch nie live gesehen habe, war die Freude natürlich umso größer. Jaja, der Vorteil der Großstadt – hier spielt eben fast alles direkt um die Ecke.
Als Vorband durften ME SUCCEEDS aus Hamburg ran. Kein leichter Job, für eine als Kultband gehandelte Größe zu eröffnen. Aber geschickterweise kamen sich beide Bands musikalisch auch nicht ins Gehege, nur optisch versuchte der eine Musiker im MISFITS-Skelett-Oberteil ein wenig mitzuhalten. Scheiterte aber logischerweise spätestens als Sänger Tim Harrington am Ende des Konzertes sein selbstgemaltes hautenges Körperkostüm präsentierte. Aber bleiben wir noch kurz bei der Musik von ME SUCCEEDS: knarzige bis verspielte Indietronics mit ziemlich gutem weiblichen und männlichen Gesang, die man mit seinem Schubladendenken normalerweise eher in Schweden ansiedeln würde. Zum Ende des Gigs kam zwar ein wenig Langeweile auf, aber im Großen und Ganzen durchaus beachtenswert und nicht zu unrecht auf Sunday Service Records gelandet.
Vorhang zu, Bier weggebracht und neues geholt und gestaunt, dass sich das durch Vorhänge geschickt abgehängte Uebel & Gefährlich mittlerweile so beachtlich gefüllt hat. Zum größten Teil übrigens von der Indie-Fraktion des gehobeneren Alters. Scheinbar sind LES SAVY FAV für die jungen Emo-Kids doch noch zu unbekannt oder einfach zu unattraktiv. Kennt zufällig jemand Sebastian Chabal? Den französischen Rugby-Spieler, der mit seinem langen Haar, Zottelbart und sehr maskuliner Physis auf der einen Seite zwar als neues Sexsymbol (zumindest bei einem Teil der französischen Damen) gilt, andererseits aber auch den Namen „der Anaesthesist“ trägt? Spätestens, wenn man oben bereits erwähnten Tim Harrington mit seinem langen Haarkranz, dem Bierbauch und Rauschebart sieht, der zu Beginn mit einer großen, schwarzen Nickelbrille die Bühne betritt und das Publikum beschwört, müsste man darüber nachdenken, den Titel an jemand anders zu verleihen. Kaum vorstellbar, dass die selbe Person nur wenige Minuten später wie ein Derwisch über die Bühne rennt und springt und zu dem DC-Sound seiner Kollegen eine Stimme an den Tag legt, die besser nicht passen könnte. Da flippen sogar die alten Indie-Jungs vor der Bühne noch mal richtig aus. Aber LES SAVY FAV bieten auch allen Grund dazu. Denkt man im einen Moment noch, dass die Musik der Jungs mittlerweile auch nicht mehr allzu erfrischend ist, bemerkt man im nächsten Moment, was die alten Haudegen da oben ihren ganzen Mitstreitern voraushaben: ein absolut tightes Zusammenspiel, das ohne unnötigen Schnickschnack auskommt, aber auch geschickt zwischen 4/4 und 5/4-Takt hin- und herwechselt, die passenden Melodien, die man besser kaum wählen kann und eben… Tim Harrington als Frontmann. Der macht keine Show für sein Publikum, sondern seines selbst wegen. Da sucht die Band auch mal verzweifelt, wo der Sänger den nun schon wieder steckt, aber entweder holt er sich gerade vom Mischer ein neues Mikro-Kabel oder sucht hinter der Bühne ein Schaumstoff-Möbelstück, mit dem er anschließend über die Menge surft, um vor einer Zuschauerin in Stripdance-Manier
auf dem Geländer der Seitentribüne zu posieren. Wahnsinn. Nach einer guten Stunde und ein paar Zugaben ist Schluss, und ich werde das Gefühl nicht los, hier eines der spannendsten Postcore-Konzerte der letzten Jahre gesehen zu haben. Wer die Band noch nicht kennt, zu Hause aber die HOT SNAKES, THE BRONX und NORTH OF AMERICA in seinem Regal der Lieblingsbands stehen hat, sollte dies schleunigst nachholen!