Das Leben des Dr. Ludwig Dressler ist wahrlich kein Zuckerschlecken. Zwar lebt er in einer feinen Münchener Drei-Zimmer-Wohnung ein gutbürgerliches Leben im Ruhestand, genießt seinen Job als ehrenamtlicher Telefonseelsorger und Ratgeber in allen Lebenslagen und pflegt, trotz der patriarchalischen Distanz zu seiner vietnamesischen Haushaltshilfe, eine enge Freundschaft mit dieser. Von der Nachbarschaft und seinen Freunden wird er als ruhig und besonnen geschätzt, und dennoch gibt es diese innere Nervosität, die in unregelmäßigen Abständen aus ihm ausbricht. Sicherlich ist diese Unruhe in mehreren Schicksalsschlägen begründet, ist er doch seit seinem 66. Lebensjahr an einen Rollstuhl gefesselt. Zuvor verlor er seine damalige Frau bei einem Autounfall, hatte eine späte Scheidung zu verkraften und sah dabei zu, wie sein Sohn aufgrund einer Tablettensucht seinen Job als Arzt aufgeben musste. In der Regel hat sich Dr. Dressler sehr gut unter Kontrolle und kompensiert seine Erregung gerne mit Klassik. Dabei darf es gern laut, opulent und pompös oder auch düster zugehen – sozusagen als Spiegelbild seiner Seele, die in solchen Momenten aus ihm herauszutreten scheint.
Das Ensemble LES FRAGMENTS DE LA NUIT wäre dafür genauso gut geeignet, erschaffen sie doch mit drei Geigen, einem Cello und einem Piano ein ebenso finsteres Szenario, das fast beklemmend wirkt. Dass die Franzosen bisher den Soundtrack für einen Film lieferten und auf diversen Gothic-Festivals auftraten, erscheint zwar passend, doch drängt es sie zu sehr in eine vorgefertigte Schublade und wird dem Können der fünf Musiker somit nicht vollständig gerecht. In der Tat ist es schwierig, LES FRAGMENTS DE LA NUIT einem passenden Szenario zuzuordnen, und selbst das mit klassischen Elementen besetzte Post-Rock Genre mag hier nicht richtig greifen. Die im Presseinfo vorgenommene Einordnung zwischen STEVE REICH und PHILIP GLASS trifft es jedoch schon ganz gut. „Musique de nuit“ ist jedenfalls großartige, ernste Musik für gewollt melancholische Momente, wobei der Bandname es ganz gut umschreibt, aber leider auch als einzige Kritik herhalten muss: die Stücke werden mit einer durchschnittlichen Länge von zwei Minuten Spielzeit eher nur angerissen. Hier wäre etwas mehr durchaus mehr gewesen.