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Kurz & schmerzlos (April – Juni 2025) – CD-Besprechungen in aller Kürze

Neulich hat ein KI-generierter DRAKE-Song Millionen Plays auf TikTok kassiert, bevor er wieder gelöscht wurde – weil: Rechte, Authentizität, irgendwas mit Kunst. Während Plattenfirmen noch hektisch Faxgeräte aus dem Keller holen, um das Internet zu verklagen, stellen wir uns die eigentlich entscheidende Frage: Muss man das überhaupt alles anhören?
Hier kommt die Antwort. Denn „Kurz & schmerzlos“ ist unser musikalischer Beichtstuhl ohne Weihrauch: direkt, trocken, manchmal gemein – immer ehrlich. Singles, EPs, Album-Durchhörer am Rande des Nervenzusammenbruchs. Kein Blabla, kein Namedropping-Wettbewerb, nur schnelle Meinungen zu Musik, die zu gut (oder zu schlecht) ist, um sie einfach ungehört vorbeiziehen zu lassen.

ALI N. ASKIN – Livesoundfabrik (Label: Yatak Records, VÖ: 25.04.2025)
(jg) Auf seinem letzten Album „Up chute“ klang ALI N. ASKIN, als hätte er im Geiste mit TORTOISE gejammt – jenem Chicagoer Kollektiv, das einst mit „T.N.T.“ den Begriff „Postrock“ neu definierte. Diese Referenz kann man für sein neues Werk „Livesoundfabrik“ getrost wieder streichen. Geblieben ist allerdings Askins ungebrochene Lust an Klang und Bewegung. Ein Großteil des Albums entstand während eines Studiokonzerts – live eingespielt, mit einer jungen Band und Askin selbst am Keyboard, nicht dirigierend, sondern mittendrin. Das Ergebnis ist eine offene, vibrierende Musik zwischen Jazz, Soul, Elektro und Dub – und zwischen Komposition und Improvisation. Wo andere sich langsam dem Kamillentee widmen, bleibt der gebürtige Münchner neugierig und präsent. „Livesoundfabrik“ klingt nach genau dem, was der Titel verspricht: Werkstatt, Bühne, Leben.
https://www.askin.info/

ANOTHER-DAMN DISAPPOINTMENT – Bedlam (Label: Disappointed Records, VÖ: 25.04.2025)
(bc) Melodycore im Sommer – da kannste nix mit falsch machen! Und ANOTHER DAMN DISAPPOINTMENT wissen ganz genau, wie der Hase läuft, denn die Kalifornier verbinden auf ihrem vierten Album eingängige Melodien mit rauschender Geschwindigkeit und energiegeladenem Gesang. Durch das streckenweise technisch versierte Gitarrenspiel kommen leichte Erinnerungen an Bands wie STRUNG OUT, MUCH THE SAME oder BELVEDERE auf. Große Überraschungen sollte man auf „Bedlam“ nicht erwarten, den einen oder anderen Ohrwurm hingegen schon.
https://www.addsucks.com

AMAMERE – Man shall be free (Label: Afro Urban Project, VÖ: 04.04.2025)
(jg) Passend zur derzeitigen Hochsommerlage liefern AMAMERE den Soundtrack für den gepflegten Sundowner: Eine sonnendurchflutete Melange aus Afrobeat, 70s-Disco-Funk und Latin-Grooves. Der Opener „Konkonsani“ geht mit FOALS-artigen Gitarren und knackigen Bläsern direkt in die Beine, doch schon im zweiten Track weht der Wind eher in Richtung Pauschalurlaub: „You look so nice with me by your side“ – solche Zeilen kleben wie Sonnencreme. Trotzdem: AMAMERE versprühen ein Sommerfeeling, das schwer zu leugnen ist. Und das reicht manchmal ja auch schon.
https://amamere.bandcamp.com

BYDS – Our long weekend (Label: Eigenregie, VÖ: 20.06.2025)
(so) Ich bin mir nicht sicher, ob BYDS lieber ROBBIE WILLIAMS oder UB40 wären. Oder vielleicht doch SIOUXSIE AND THE BANSHEES? Abwechslung, schön und gut. Aber „Our long weekend“ klingt irgendwie unausgereift, unsicher, wohin es gehen soll, ob man nun den Pop- oder den Wave-Zug besteigen sollte – und dann fährt doch noch der Breakbeat-Express ein, der fährt uns ja auch noch zur nächsten Station. Vielleicht liest man es heraus: Mich verwirrt dieses Album. Es hat seine Stärken (so ab Song 4, „Regret“), aber ich derzeit nicht die Nerven, sie herauszufiltern.
https://byds.bandcamp.com

CONVERTIBLE – Favorite record (Label: Noise Appeal, VÖ: 25.04.2025)
(so) „JOHN LENNON und FREDDIE MERCURY hätten das sicherlich geliebt“, sagt die Presseinfo. Gut, das lässt sich jetzt nicht mehr nachprüfen, aber mich lockt „Favorite record“ nicht hinter dem guten, alten Ofen hervor und wird schon gar nicht meine „Favorite record“. Ja, das klingt tatsächlich nach vergangenen Tagen, reitet die Retrowelle tot, aber für mich klingen CONVERTIBLE dabei einfach viel zu wenig eigenständig, viel zu sehr nach einem Abklatsch dagewesener Tage und Melodien. Okay, die Mitglieder der Band waren bereits vor mehr als 30 Jahren teilweise als HP ZINKER bekannt. Dann kamen die Drogen. Die hört man heute noch raus.
https://www.facebook.com/Convertible/?locale=de_DE

DRUUGG – Lost (Label: Exag Records, VÖ: 04.04.2025)
(bc) „Lost“ ist eines dieser Alben, die musikalisch zwar nicht besonders komplex sind, aber die man dennoch erstmal einige Zeit auf sich wirken lassen sollte. Im Grunde genommen ist das, was DRUUGG hier abliefern, eine Mischung aus Noise, Punk, Psychedelic und Garage Rock, aber irgendwie verfügt ihr Sound über eine gewisse destruktive Eindringlichkeit. Keine Ahnung, ob es womöglich an den kratzig-rauen Gitarrenwänden oder an dem halligen, eher in den Hintergrund gerückten Gesang liegt, aber dieses Album verbreitet eine ziemlich eigenwillige Atmosphäre. Definitiv keine Gute-Laune-Musik.
https://druugg.com

ENVY OF NONE – Stygian Wavz (Label: Kscope, VÖ: 28.03.2025)
(so) Nach den Wellen des Styx ist dieses Album (zumindest meiner Einschätzung nach) benannt. ENVY OF NONE gibt es zwar schon länger, aber dass sie den Styx überqueren müssen, wünscht man ihnen natürlich nicht. Die drei älteren Herren haben sich hier nun eine junge Sängerin mit an Bord geholt. Die Musik erinnert dennoch sehr häufig an RUSH, was ja nun auch kein Wunder ist, ist der Gitarrist dieser Formation doch der Macher von ENVY OF NONE. Ansonsten klingt das Album nach hymnischem Pop mit Rockallüren, wobei Wynne am Mikrofon dem Ganzen noch etwas mehr Licht gibt. Für Fans sicherlich was, für mich eher was für nebenbei.
https://kscopemusic.bandcamp.com/album/envy-of-none

KINSELLA & PULSE, LLC – Open ing night (Label: Kill Rock Stars, VÖ: 18.04.2025)
(so) Diese Band hieß früher GOOD FUCK. Irgendwie deutlich mehr catchy als der jetzige Bandname. Über die vorherigen Veröffentlichungen kann ich allerdings nichts sagen. Dieses Album klingt wie ein psychedelischer Trip mit VANESSA PARADIS. Hier spratzt es, da klimpert es, aus jeder Ecke ist irgendetwas zu hören und dazwischen ertönt dann diese Stimme, die eher nach jungem Mädchen klingt. Ein Album, das sich den Oberbegriff Kunst redlich verdient und mir damit zeitweise den ein oder anderen Nerv raubt. File under: Anstrengend.
https://kinsella-pulse.bandcamp.com/album/open-ing-night

LOS PEPES – Out of the void (Label: Wanda Records, VÖ: 16.05.2025)
(bc) Dass die Verbindung von Punkrock und Powerpop kein rein amerikanisches Phänomen ist, sondern auch schon in frühen Tagen in Großbritannien Verbreitung fand, haben Bands wie THE BOYS oder die BUZZCOCKS bereits hinreichend bewiesen. LOS PEPES setzen diese Tradition konsequent fort, und das bereits seit sechs Alben. „Out oft he void“ heißt der neueste Streich und beinhaltet ein Dutzend Songs, dessen Spektrum von ramoneskem Drei-Akkorde-Punk bis hin zu melodischen Hymnen wie beispielsweise das mit Surf-Gitarre angereicherte „Undercover“ reicht. Wie formuliert es das Infoschreiben doch so schön: Es ist ratsam, dieses Album laut zu spielen!
https://lospepes.bandcamp.com

O.R.k. – Mask becomes the face (Label: Kscope, VÖ: 21.03.2025)
(jg) Musiker von PORCUPINE TREE und KING CRIMSON mit einer Mischung aus Hardrock, Grunge, Prog und Stonerrock. Ich höre hier vor allem Chris Cornell (SOUNDGARDEN) zu „Badmotorfinger“-Zeiten heraus, wie sich seine Stimme in immer höhere Gefielde schraubte. Dazu kreischen die Gitarren, wird das WahWah bedient, ganz so, wie sich die Musik vor rund 30 Jahren eben weiterentwickelt hat. Weiterentwicklung findet man bei O.R.k. hingegen kaum – hier wird alles noch ziemlich maskulin mit breiten Beinen präsentiert. Nein, da bin ich heute wirklich raus. Umso überraschender, dass O.R.k. nicht nur Mags wie Rock Hard, Classic Rock und Metal.de überzeugen können, sondern sogar in der Visions 10/12 Punkte ergattern. Nein, diese Musik hat ihre besten Tage längst hinter sich.
https://www.facebook.com/O.R.k.band/

THE LIGHT – s/t (Label: Fastball Music, VÖ: 11.04.2025)
(jg) „Schwer greifbar zwischen Rock und Metal“, heißt es im Pressetext. Tatsächlich feuert das süddeutsche Quartett auf seinem Debütalbum eine düstere Mischung aus wuchtigen Riffs, verzerrten Gitarrenflächen und 90er-Jahre-Grunge-Ästhetik ab. THE LIGHT klingen mal nach METALLICA in ihren „Enter Sandman“-Tagen, mal nach ALICE IN CHAINS im Alternative-Rausch – mit einem Hang zur melodischen Schwere. Das Rad wird hier zwar nicht neu erfunden, aber wer die Schnittmenge aus klassischem Heavy Rock und melancholischem Metal mag, könnte hier fündig werden.
https://www.facebook.com/thelightmusic

THE SECLUDED – Dreamscape (Label: Bellaphon, VÖ: 13.06.2025)
(so) Ein nettes Indierock-Album ist „Dreamscape“ – und das meine ich nicht abwertend. Es wandelt zwischen Britpop, Wave und der weit ausholenden Rockgeste, das tut es aber ziemlich zielsicher. Man merkt dem Album seinen professionellen, erfahrenen Hintergrund in der Produktion an, hier stimmen die Mischung und der Sound fraglos bei jedem Song. Aber vielleicht ist es gerade das, was „Dreamscape“ auch wieder zu perfekt, zu gestylt klingen lässt. Eben weil hier jeder Ton, jede Note da sitzt, wo sie sitzen soll. So klingt dieses Album manchmal auch etwas unterkühlt.
https://thesecluded.bandcamp.com

THE WANTS – Bastard (Label: STTT Records, VÖ: 13.06.2025)
(jg) Wer sich selbst als „No Wave / No Pop Techno Punk“ bezeichnet, macht es der Musikpresse nicht gerade leichter – oder vielleicht doch: Schließlich klingt diese kryptische Genrebezeichnung nach Brooklyn-Studiengang und Berlin-WG in einem. Dass THE WANTS aus New York stammen, überrascht dabei wenig. Tatsächlich wirkt „Bastard“ wie ein Referenz-Buffet für alle, die sich mit dunklen Synths und doppeltem Boden wohlfühlen. DEPECHE MODE, JOY DIVISION, THE CURE – das sind die offensichtlichen Namen, die auf dem Dancefloor mitschwingen. Doch THE WANTS wollen mehr als düstere Coolness: Zugänglichkeit à la THE NATIONAL oder PLACEBO ist ihnen ebenso wichtig wie ein Schuss Artyness, irgendwo zwischen DREDG und EVERYTHING EVERYTHING. Ein Album, das sich bewusst der Eindeutigkeit entzieht, aber trotzdem sofort weiß, wohin es will. Vielleicht also doch kein Bastard – sondern eher ein sehr wohlgeplanter Bastard.
https://thewantsnyc.bandcamp.com/album/bastard

TRILOK GURTU – Mirror (Label: Jazzline, VÖ: 25.04.2025)
(jg) TRILOK GURTU gilt als einer der profiliertesten Perkussionisten unserer Zeit – ein Musiker, der früh begann, die Grenzen zwischen indischer Tradition und westlicher Musik zu überschreiten. Seine Diskografie liest sich wie ein Streifzug durch die Musikgeschichte: ARCHIE SHEPP, PAT METHENY, YO-YO MA, ANNIE LENNOX, NENEH CHERRY – kaum ein Genre, dem er nicht begegnet wäre. Auf „Mirror“ blickt Gurtu zurück – und vielleicht auch ein wenig in sich hinein. Mit dem italienischen ARKÈ STRING QUARTET, mit dem er schon vor zwei Jahrzehnten arbeitete, entsteht eine gediegene Mischung aus Weltmusik, Jazz und kammermusikalischer Klassik. Das Zusammenspiel ist stimmig, das Klangbild kontrolliert. Funk-Anleihen blitzen gelegentlich auf, bleiben aber eher im Hintergrund. Trotz aller handwerklichen Souveränität wirkt „Mirror“ über weite Strecken eher zurückhaltend als überraschend. Die kreative Neugier, die viele seiner früheren Arbeiten auszeichnete, scheint hier etwas gebremst. Kein schlechtes Album – aber eines, das eher kontempliert als wirklich fordert.
https://www.trilokgurtu.com/