Eigentlich wurde das Kapitel KNOCHENFABRIK bereits vor über zehn Jahren für beendet erklärt. Die Band aus Köln-Porz hatte es innerhalb von nur vier Jahren geschafft, zwei Alben aufzunehmen, die bis heute als absolute Klassiker des deutschsprachigen Punkrocks gelten, und sich nicht zuletzt aufgrund ihrer legendären, regelmäßig im Chaos und Alkohol versinkenden Konzerte unsterblich gemacht. Nach der Veröffentlichung des zweiten Albums war dann plötzlich Sense: Die Band wollte oder konnte nicht mehr so weitermachen wie bisher, KNOCHENFABRIK-Oberhaupt Claus Lüer musste zudem aufgrund psychischer Probleme eine komplette Auszeit nehmen, und die KNOCHENFABRIK starb ohne großen Tamtam einen tragischen Punkrock-Märtyrer-Tod.
An dieser Stelle hätte diese Geschichte also beendet sein können, wäre es im letzten Jahr nicht zu einer überraschenden Reunion der charmanten Edel-Asi-Punks gekommen. Eigentlich war die Wiedervereinigung als einmalige Sache geplant, doch seitdem die Band im letzten Sommer bei vier größeren Festivals gespielt hat, stolpert der geneigte Fan in unregelmäßigen Abständen immer wieder über neue Konzerttermine. Daher sollte man die im Vorfeld getätigte Ansage, dass es sich bei dem Gastspiel in der Hansestadt um das definitiv „letzte Hamburg-Konzert“ der Knochenfabrikler gehandelt haben soll, durchaus mit Vorsicht genießen… Wie auch immer. Aufgrund der relativ kurzfristigen Planung wurde mit dem Jazz-Club „Rennbahn“ eine für Punkkonzerte eher ungewöhnliche Location auserkoren, die sich im Verlauf des Abends allerdings mit ca. 250 Leuten bis zum Bersten füllen sollte. HIGHSCHOOL NIGHTMARE waren an diesem Abend die einzige Band, die nicht auf Deutsch gesungen hat und machten mit ihrem melodischen Streetpunk den Opener. Obwohl mich die Band, wie bereits bei der diesjährigen Mögenkladder-Tour, absolut überzeugen konnte, wirkte das Publikum zu dieser Zeit noch etwas zurückhaltend und stimmte sich lieber am Tresen auf den weiteren Verlauf des Abends ein. Die darauffolgende Band mit dem abenteuerlichen Namen 5 x 0,04L sorgte dagegen mit einer Mischung aus eingedeutschten EXPLOITED-Klassikern und Deutschpunk-Coversongs für Furore, auch wenn die Umsetzung meines Erachtens bestenfalls durchschnittlich war. Spielerisch überzeugender gingen dagegen die bisher noch nie in Erscheinung getretenen KLEINSTADT AUFSTAND zur Sache: Die sympathischen Hamburger von SMALL TOWN RIOT haben sich einen Scherz erlaubt und coverten sich zur Feier des Tages unter diesem Pseudonym und der Verwendung deutscher Texte einfach selbst. Da durfte auch schon mal ein TOTEN HOSEN-Stück oder ein ÄRZTE-Medley den Weg ins Programm finden. Als letzte Hürde galt es dann noch, ABSTURTZ zu überwinden, deren Metal-lastiger Deutschpunk überraschend gut gefiel und etwas an alte DRITTE WAHL erinnerte.
Dann war es soweit: KNOCHENFABRIK erklommen die Bühne, und der kleine Club verwandelte sich innerhalb von Sekunden in den sprichwörtlichen Hexenkessel. Während im Zuschauerbereich eine wüstes Mischung aus spritzendem Bier (die Veranstalter hatten längst an der Tankstelle Nachschub besorgt, nachdem der Tresen bereits während der Vorbands trocken gesoffen wurde), motorischen Ausfallerscheinungen und wildem Pogo vorherrschte, schienen die Kölner dagegen in der Form ihres Lebens zu sein und spielten ihr ausschweifendes Set weitestgehend fehlerfrei und souverän runter. Selbst ein eingefleischter Fan aus Dortmund, der seit der Reunion keinen einzigen KNOCHENFABRIK-Gig verpasst hat und natürlich auch extra wegen des Konzertes nach Hamburg gekommen war, versicherte mir, dass er die Truppe noch nie so fit wie an diesem Abend erlebt hat. Von der erlesenen Setlist, die von Liedern ihrer Anfangstage („Willie über Wiesen“), annähernd der kompletten „Ameisenstaat“-LP, Auszügen des zweiten Langspielers („Der nackte Golfer“, „Fuck off“, „Der Pfadfinder“…) bis hin zu selten gehörten Compilation-Tracks („Die Tochter vom Nachbarn“, „Toni Schuhmacher“) reichte, ganz zu schweigen. Nachdem im Zugabenteil auch endlich die Hits „Filmriss“ und „Grüne Haare“ zum Einsatz kamen, endete ein stark umjubeltes Konzert, bei dem die Band erstmalig in einer besseren Verfassung als ihr Publikum zu sein schien. Unglaublich, aber wahr.