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KARATE – Schluss mit Rumgepose!

„Mach mal das grelle Licht aus und stattdessen das rote Puff-Licht an“, rief Mario noch kurz vor Einlass Natascha zu. Aber die Bandbeauftragte des Molotows antwortete, dass die Band dies ausdrücklich so wünsche, woraufhin der Booker etwas verdutzt guckte. Das heißt konkret, dass das helle Licht, das eigentlich nur zum Aufbau der Instrumente dient, während des kompletten Konzerts direkt auf Geoff Farina und seine Gitarre schien. Rock’n’Roll geht anders…
Nun gut, Rock’n’Roll ist definitiv was anderes als KARATE. Dafür machen die drei Bostoner seit mittlerweile mehr als elf Jahren erfolgreich ihr eigenes Ding, das zum einen den eigenen Anspruch erfüllt, den sie als Musikstudenten an ihre eigene Arbeit stellen, zum anderen aber auch regelmäßig für volle Clubs sorgt. Irgendwo in der Mitte zwischen Jazz, Blues und Indierock ist die Musik KARATEs anzusiedeln, aber los ging es bei Geoff ganz anders:
„Als ich noch jung war, mit 14 oder so, habe ich angefangen, Bass zu spielen. Zunächst in Punkrock-Bands, und als es dann ernster wurde, bin ich zur Musikschule gegangen und habe dort vernünftig Bass gelernt. Gitarre habe ich bis dahin nur nebenbei gespielt, aber auch damals schon Songs darauf geschrieben. Nach der Schule habe ich mich dann auf die Gitarre konzentriert und eine neue Band gegründet. Und das ist noch immer meine Lieblingsbeschäftigung und was ich täglich mache. Eine Art Herausforderung und angestrebtes Ziel.“
Die erste Band nach der Schule war aber noch nicht seine jetzige. KARATE gründeten sich erst ein wenig später. „Wir lebten alle in Boston, hatten gemeinsame Freunde und gleiche musikalische Interessen und so kamen wir zusammen. Eigentlich eine ziemlich langweilige Geschichte und keine gute Story, wie alles begann.“
Dafür ist das Resultat umso besser. Doch wo sich durch alle bisher veröffentlichten Alben ein roter Faden zu ziehen scheint, weisen die einzelnen Platten doch deutliche Unterschiede voneinander auf. Während das vorletzte Album „Some boots“ schon sehr stark in die Bluesecke abdriftete und die Gitarre von kritischen Journalisten gar mit nervigen Soli à la Knopfler und Springsteen verglichen wurde, schien man sich mit dem letzten Album „Pockets“ wieder etwas mehr auf die Zeit davor zu besinnen. Dies war aber laut Farina keine durch die Medien beeinflusste Entscheidung. „Nach unserem Wissen waren die Reaktionen und auch der Verkauf der „Some boots“ gar nicht so anders als von den übrigen Alben. Vielleicht mag das für Deutschland zutreffen, aber grundsätzlich gab es da keine großen Unterschiede. Auf „Pockets“ sind wir songorientierter vorgegangen als auf der „Some boots“, wo noch die instrumentellen Seiten im Vordergrund standen. Wir hatten zwar noch mehrere ähnliche Stücke in petto, aber wollten eine etwas andere Richtung mit knapperen Songs einschlagen, um es auch für uns selbst interessant zu halten. Es war also zur Hälfte eine bewusste und zur Hälfte eine natürliche Entscheidung. Allgemein kann man aber festhalten, dass sich die Reaktionen auf die einzelnen Alben länderspezifisch zu unterscheiden scheinen. Wir haben ja schon in mehr als zwanzig Ländern gespielt, und überall gibt es wieder andere Favoriten.“
In der Tat haben KARATE insgesamt schon mehr als 600 Shows gespielt. Ans Aufhören denkt man aber noch längst nicht. „Keine Ahnung, wie lange das noch so weitergeht. Haha! Wir nehmen’s halt Jahr bei Jahr und wissen nicht, wann unsere letzte Tour stattfinden soll. Wenn wir ein Album aufgenommen haben, wollen wir in den Staaten und den ganzen anderen Ländern auf Tour gehen, und das dauert insgesamt etwa ein Jahr. Dies ist unsere letzte „Pockets“-Tour, es folgen noch ein paar Shows im Sommer in Italien, und dann ist das Kapitel durch.“

Durch ist das Kapitel eigentlich schon länger – nach der „Pockets“, die im letzten Jahr erschienen ist, veröffentlichten KARATE im Frühjahr ihren Beitrag zur „Fishtank-Sessions“, bei der in der Vergangenheit bereits Bands wie NOMEANSNO, LOW, JUNE OF 44 oder auch MOTORPSYCHO vertreten waren. Doch während diese Bands den Studioaufenthalt zum freien Jammen nutzen, und dabei Kollaborationen mit anderen Bands anstrebten (MOTORPSYCHO vs. JAGA JAZZIST, LOW vs. DIRTY THREE, etc.), entschlossen sich KARATE alleine ins Studio zu gehen und Amerika-kritische Songs von MARK HOLLIS, BILLIE HOLIDAY und anderen Künstlern zu covern. „Wir haben da definitiv nicht improvisiert. Das braucht man bei Songs wie „Tears of rage“ auch gar nicht – das ist ein wunderbarer Song, von einem tollen Künstler (BOB DYLAN, Anm. d. Red.). Es gab viele Gründe, dort mitzumachen; es war etwas anders als alles, was wir bisher gemacht haben und vielleicht hätte man das auch nicht von uns erwartet. Viele Bands gehen dort hin, um zu improvisieren, aber ich denke, wir haben das in der Vergangenheit bereits häufig genug gemacht. Es hat auf jeden Fall viel Spaß gemacht!“
Warum man allerdings nur alleine im Studio war, lässt auch Geoff relativ offen. Dies sei nie geplant gewesen, und angeblich wusste er auch nicht von den Kollaborationen, bzw. warum die anderen Bands zu zweit im Studio waren. Dafür kamen wir später in dem Interview erneut auf BOB DYLAN zu sprechen, den er als Songwriter insbesondere aufgrund seiner Lyrics sehr verehrt. Und dass dies auch auf KARATE abfärbt, lässt sich an ihren Texten erkennen, die zwar ziemlich persönlich, aber gleichzeitig sehr durchdacht und mit einer eindeutig politischen Stellung ausfallen. „Auf jeden Fall denke ich viel über unsere Texte nach. Ich schreibe auch gern für mich selbst und lese häufig. Viele meiner Lieblings-Songwriter haben tolle bildhafte oder abstrakte Texte geschrieben, wie z. B. BOB DYLAN oder NEIL YOUNG. Bei Songs achte ich auf zwei verschiedene Dinge: zum einen auf die Musik und zum anderen auf die Texte. Musikalisch höre ich momentan viel Blues, Jazz und Solo-Gitarristen, aber auch einige Rockbands, die sich aus diesen Bereichen bedient haben. Jazzgitarristen, die ich liebe, sind JOHNNY SMITH und JOE PASS, die nicht wie klassische Jazz-Spieler klingen, sondern nur Songs interpretierten. Und ALBERT KING ist neben B. B. KING wohl der beste Bluesgitarrist. Schon allein die Art, wie B. B. KING auftritt, das Publikum beherrscht und Geschichten erzählt, ist unglaublich.“ An dieser Stelle sei noch mal besonders auf JOE PASS hingewiesen, für die sich vor allem Fans der Solo-Sachen von GEOFF FARINA begeistern könnten, da sie meiner Meinung nach nicht unerheblich von ihm beeinflusst wurden. Auf die Frage, ob Farina sich auch für andere Musikrichtungen als Blues und Jazz begeistern kann, erhalte ich ein klares „Sicher! Eine Band, die ich bestimmt schon 200 Mal gesehen habe, ist FUGAZI. Ich war auf ihrer fünften Show und war seitdem total begeistert. Sie waren eine großartige Band, total auf ihre Gitarren versiert und gleichzeitig absolute Punkrocker! Alle Bands, die klingen wollten wie sie, kamen nicht ansatzweise an sie heran.“

Und eben diese Band sei auch mit dafür verantwortlich, warum der Großteil der KARATE-Fans eindeutig in der Hardcore/Emo-Szene zu finden ist, obwohl sie musikalisch ja doch ein ziemlich anderes Spektrum bedienen „Ich denke, dass hängt damit zusammen, dass unsere ersten Shows zusammen mit FUGAZI usw. stattfanden. Ich lebte eine Zeitlang in Washington und bin mit vielen der 80er DC-Bands aufgewachsen. Das hat uns schon in gewisser Weise beeinflusst, und ich denke, dass unsere Anfänge dies auch noch in einem bestimmten Maße widerspiegeln – auch wenn wir nie mit lauten Wall of Sounds gearbeitet haben. Wir haben das zwar zu Beginn mal kurz versucht, aber das war die schlechteste Musik, die wir je verzapft haben. Stattdessen haben wir es geschafft, dass die Musik uns selber besser reflektiert.“

Dieser Zwiespalt scheint auch das Geheimnis im Songwriting einer Band wie KARATE zu sein. Denn wo viele Musikstudenten letztlich Probleme haben, Musik mit einer eigenen Band zu machen, da diese häufig nicht dem eigenen Anspruch gerecht wird, scheint es den drei studierten Musikern bestens zu gelingen. „Es gibt da zwei Seiten: man kann sich einerseits viel theoretisches Wissen aneignen, und auch lernen, dies technisch umzusetzen, und andererseits gibt es die Welt des Punkrock. Ich kenne viele Bands, die sich auf einer der beiden Seiten bewegen, aber nur wenige, die es schaffen, beides zu vereinen. In der Schule lernt man, wie man spielt und wie alles zusammengehört. Aber es gibt einen Unterschied zwischen einer Reihe von Akkorden und einem guten Song. Selbst wenn Du immer mit einem Stift und Zettel da sitzt und weißt, wie Du Akkorde zusammenfügst, kannst Du nicht lernen, Stücke zu schreiben. Daran scheitern viele Bands, die letztlich nur durch einen guten Sound beeindrucken können. Und andererseits ist es wichtig zu lernen, wie eine Gitarre wirklich klingt und wie viel Kraft in einem einzelnen Akkord stecken kann. Den Punkrock-Sound kann man nicht im Unterricht vermitteln. Dafür muss man auf Konzerte gehen, selber spielen und sich viele Bands anhören. Allerdings verliert man sich nur allzu schnell auf einer dieser beiden Seiten. Als ich Musik studierte und Songs schrieb, die formell ganz interessant waren, fiel mir zunächst noch nicht auf, dass sie keine Live-Atmosphäre herüberbrachten. Und es brauchte viele Tourneen und Proben mit KARATE, bis ich verstand, was das Gute daran ist, in einer lauten Rockband zu spielen und eine Art visuellen Sound zu kreieren. Aber wenn man es schafft, beides zu vereinen, kann man eine wirklich gute Band werden.“
Ist es denn schwer, diese beiden Parts zusammenzufügen?
„Ja, sie scheinen sich manchmal gegeneinander aufzubäumen. Meine Gitarre ist beispielsweise schwer zu spielen, aber dafür klingt sie super. Das hat aber zur Folge, dass ich oft die Noten durcheinander haue, und dass ich während jeder Show rauskomme oder nicht schnell genug spielen kann. Und genauso passiert es, dass etwas missglückt, wenn ich versuche, über simple Stellen komplizierte Akkorde zu spielen. Diese Dinge miteinander zu kombinieren, ist schon sehr schwer. Manche Bands kriegen es hin, raus zu gehen, zu touren und zusammen Stücke zu schreiben, während ich mich meist in mein Zimmer setze, alleine an den Songs schreibe, sie aufnehme, drüber nachdenke und höre, ob alles passt. Oft stehen die Akkorde und Texte dann schon, bevor wir die Songs als Band ausarbeiten. Aber das Gute an KARATE ist, dass wir danach noch lange zusammen an den Songs herumfeilen, bis die Arrangements stimmen und bis wir, in unseren Augen, etwas Besonderes geschaffen haben. Dabei sprechen wir mehr über die verwendeten Tonarten, Sequenzen, Takte und Melodien, als dass wir musizieren. Ich denke, wir gehen da rationaler und überlegter vor als die meisten Rockbands.“
Dabei ist den Bostonern die Live-Umsetzung ihrer Stücke mindestens genau so wichtig wie das Songwriting. In einem bekannten Mailorder las ich, dass Geoff vor der Show lieber stundenlang auf der Bühne steht und an seiner Gitarre und dem Sound herumtüftelt, statt sich wie viele andere Bands direkt nach der Ankunft auf das Catering zu stürzen. Tatsächlich ließ er es sich auch vor dem Konzert nicht nehmen, während eines anderen Interviews gleichzeitig neue Saiten auf seine Gitarre zu ziehen. „Deshalb sind wir doch hier. Der Sound usw. sind die wichtigsten Sachen. Wir versuchen, das Beste zu geben, was wir können. Ich sehe das als eine Art Job an. Das Ätzendste ist, wenn mit der Musik was schief läuft. Warum sollten wir sonst hierher kommen und die ganzen Strapazen auf uns nehmen?“

Auf die erwähnten Strapazen kommen wir auch an einer anderen Stelle des Interviews zu sprechen, als ich ihn nämlich nach den besten Shows bzw. den besten Erlebnissen in ihrer Bandgeschichte frage. „Manche Auftritte waren besonders. Heute Abend war eine gute Show. Es waren viele Leute da, die scheinbar drauf warteten, uns endlich wieder live zu sehen und die unsere Songs kannten. Das ist eine nette Reaktion, wenn man 8.000 km hierher reist und so empfangen wird. Das lieben wir am Touren, und an solche Dinge erinnert man sich gerne.
Es gab aber auch viele schlechte Shows. Heute war es beispielsweise hart, weil die Bühne und der Club so klein sind und so viel Rauch da war, dass ich Probleme beim Singen hatte. Und es war so laut, dass meine Ohren jetzt und auch morgen noch piepen werden. Ich habe im allgemeinen Probleme zu touren und zu verreisen. Mir wird oft schlecht und es wird umso ungemütlicher, je älter man wird. Wir müssen hier jetzt glücklicherweise nicht mehr auf dem Boden pennen, sondern übernachten in Hotels, aber als wir vor sieben Jahren das erste Mal in Europa waren, sah das noch anders aus. Das strengte an, wenn man nach dem Konzert die ganze Nacht nicht schlafen konnte. In Amerika müssen wir zwar noch immer auf dem Boden schlafen, aber die Shows sind dort nicht so hektisch, es sind weniger Leute dort, man muss nicht fliegen und hat keinen Jetlag.“

Die Sache mit dem Rauch erinnerte mich an ein Jazz-Konzert in einem kleinen Göttinger Club, wo die Sängerin das Publikum bat, wegen ihrer Stimme nicht zu rauchen. Als ich Geoff das erzähle, muss er lachen: „Manchmal mache ich das auch. Es ist nur schwer, den Leuten etwas zu verbieten, wenn sie so enthusiastisch sind und Dir zujubeln wie heute Abend. Aber ich war kurz davor, der lahme Spielverderber zu sein.“
Neben KARATE ist Geoff, wie bereits weiter oben erwähnt, auch solo unterwegs, wobei der Jazz bei seinem Ein-Mann-Projekt noch mehr im Vordergrund steht. Das Ganze scheint eine Art anspruchsvoller akustischer Ausgleich für den doch eher rockigen Gegenpart KARATE zu sein. Geoff: „Die zwei Sachen erfüllen in der Tat zwei verschiedene musikalische Bedürfnisse. Ich muss das nicht unbedingt machen, aber beide Sachen machen mir Spaß. Ich spiele nebenbei noch mit anderen Gruppen bzw. kleineren Projekten, weil ich gerne in verschiedenen Zusammenhängen musiziere und immer eine gewisse Herausforderung suche. Ich toure gerne mit KARATE, aber könnte das nicht andauernd machen.“ Die Frage, ob er sich vorstellen könne, jemals aufzuhören, Gitarre zu spielen, beantwortet er überraschend schnell mit einem „Ja, könnte ich. Ich bin zwar sehr auf die Gitarre fokussiert, und liebe es jedes Mal, wenn ich spielen kann. Aber die Gitarre könnte ich genauso gut durch etwas anderes ersetzen. Vielleicht durch ein Schlagzeug oder so.“ Dabei muss sich der Ersatz nicht mal auf Musik beschränken: „Nee, ich glaube, es könnte alles Mögliche sein. Ich komme aus einer Familie mit visuellen Künstlern. Wenn mir als kleiner Junge jemand ein Blatt Papier gegeben hätte, hätte ich vielleicht angefangen zu malen, statt Gitarre zu spielen.“
Na, da können wir uns doch glücklich schätzen, dass Herr Farina im rechten Moment zur Gitarre griff und bis heute noch munter dabei ist. Das Molotow war jedenfalls gut gefüllt, die Menge begeistert und auch die unspektakuläre Beleuchtung tat der Stimmung keinen Abbruch. Bis bald, Boston!